Hamburg. Ärzte, Pfleger und Krankenschwestern erklären, warum sie ihren Urlaub opfern, um Menschen in Afrika zu helfen.

Sie helfen nicht, weil sie müssen. Sondern weil sie es möchten: Hunderte Hamburger, die Jahr für Jahr ihren Urlaub opfern, um in den Krisengebieten der Welt hilfsbedürftige Menschen zu versorgen. Warum sie das tun? Auf diese Frage haben uns vier Helfer dieser Stadt eine Antwort gegeben.


Theresa Harbauer, Oberärztin auf der Kinderintensivstation, UKE
Spina Bifida ist eine Fehlbildung der Wirbelsäule und des Rückenmarks, auch offener Rücken genannt. In Tansania im Osten Afrikas tritt dieses Krankheitsbild deutlich häufiger auf als hier, weil den Frauen oft die nötige Versorgung mit Folsäure in der Schwangerschaft fehlt.

Eigentlich kann Kindern, die mit diesem Geburtsfehler zur Welt kommen, relativ schnell und gut mit einer Operation geholfen werden. Aber zum einen gibt es keine funktionierende Nachsorge für die operierten Kinder. Und zum anderen ist in Tansania der Aberglaube weit verbreitet, dass Kinder mit Spina Bifida verflucht sind, sodass sie aus der Dorfgemeinschaft verstoßen werden, mitsamt ihren Müttern, was im Grunde einem Todesurteil gleichkommt. Man sieht diese Kinder auch selten, oft werden sie von ihren Müttern versteckt.

Hamburger Ärzte helfen am Haydom Lutheran Hospital in Tansania.
Hamburger Ärzte helfen am Haydom Lutheran Hospital in Tansania. © Theresa Harbauer | Theresa Harbauer

Seit zehn Jahren unterstütze ich das Haydom Lutheran Hospital in Tansania über den von mir gegründeten Hilfsverein Haydom-Friends. Ich mache das meist in meiner Freizeit. In den letzten Jahren hat sich viel verändert. Das Bewusstsein, dass es eine Möglichkeit der Therapie gibt, spricht sich herum. Familien schöpfen Hoffnung. Im Zentrum steht die Nachsorge. Wir unterrichten Eltern im Katheterisieren und sensibilisieren die Gesellschaft dafür, dass auch Kinder mit solch einer Beeinträchtigung dazugehören. Mithilfe von Physiotherapie und einfachen Hilfsmitteln wie Rollstühlen kann man ihnen neue Wege eröffnen. Die Gewissheit, dass man mit solcher Zuwendung vieles bewirkt, motiviert mich immer wieder aufs Neue.

Eine gemeinnützige Wanderung im Jahr 2020

Woran es derzeit am meisten fehlt, ist ein zusätzlicher Ort in Haydom, an dem die Kinder mit ihren Eltern nach der Operation bleiben können – für weitere Untersuchungen und Schulungen. Ein Ort der Zuflucht, der frei ist von gesellschaftlichen Stigmata. Haydom-Friends setzt sich deshalb für den Bau eines „House of Hope“ (Haus der Hoffnung) in der Nähe der Klinik ein. Dafür planen wir im Januar 2020 eine gemeinnützige Wanderung auf einen der höchsten und schönsten Berge Ostafrikas: den Mount Meru. Wir benötigen dringend Teilnehmer sowie Unterstützer und Sponsoren. Die Wanderung soll gemeinsam mit dem Team aus Haydom, der Klinik sowie betroffenen Familien stattfinden.

Was ich in Tansania gelernt habe? Grenzen erkennen. Zu akzeptieren, dass es nicht für jedes medizinische Problem eine Therapie oder gar Lösung gibt. In einer Welt der maximalen medizinischen Versorgung wie am UKE ist einem dieser Gedanken oft fremd. Gleichermaßen habe ich aber auch gelernt, dass es Momente gibt, in denen es sich zu kämpfen lohnt und man unverhofft viel erreicht – wenn man bereit ist, die persönlichen Grenzen und die eigene Komfortzone zu verlassen.

„Haydom Friends“ist ein gemeinnütziger Verein zur Unterstützung des Haydom Lutheran Hospital in Tansania. Für weitere Infos zur Charity-Reise bitte harbauer.theresa@yahoo.com direkt kontaktierten. Spendenkonto: Haydom Friends e.V., IBAN: DE71 1203 0000 1020 0278 66, BIC: BYLADEM1001. www.haydomfriends.de

Amadeus von der Oelsnitz, Krankenpfleger am Drogenhilfezentrum Drob Inn in St. Georg

Seit 16 Jahren bin ich als Krankenpfleger für Ärzte Ohne Grenzen im Einsatz, zuletzt in der Zentralafrikanischen Repu­blik. Das Land ist vom Bürgerkrieg zerrissen und so unbegreiflich arm, dass ich mich jedes Mal wieder daran gewöhnen muss. Mit der Zeit gelingt mir das immer besser. Woran ich mich nie gewöhnen werde, ist das Leid der Menschen zu sehen, vor allem der Kinder. Das Sterben.

Manche Bilder sind aus der Seele schwer zu löschen

Ich erinnere mich, wie ich vor einigen Jahren ein fünfjähriges Mädchen in der Demokratischen Republik Kongo von einem Boot aus dem Sumpfgebiet bereits bewusstlos und mit Fieberkrämpfen zu unserem Krankenhaus getragen habe. Auf dem Weg starb das Kind in meinen Armen. Ich habe danach lange mit einem einheimischen Kollegen schweigend vor der Klinik unter den Angehörigen gesessen. Niemand sprach ein Wort. Nach einer Weile habe ich die Hand meines kongolesischen Mitarbeiters auf meiner Schulter gespürt. Wenn ich nach Hamburg zurückkomme, dauert es meist nicht lange, bis ich mich körperlich wieder erholt habe. Auch darin habe ich inzwischen Erfahrung. Ich suche dann die Nähe meiner Familie und genieße die Sicherheit hier, das gute Essen.

Amadeus v. der Oelsnitz hilft als Krankenpfleger.
Amadeus v. der Oelsnitz hilft als Krankenpfleger. © Ärzte ohne Grenzen | Ärzte ohne Grenzen

Manche Bilder sind aus der Seele und aus dem Herzen schwer zu löschen. Aber sie sind es ja auch, die mich antreiben, die mir sagen, wofür ich da bin. Solange ich kann, werde ich all meine Kraft und Energie dafür einsetzen, dass ich diesen Menschen helfe. Das wäre auch mein Wunsch an alle Hamburger: Seht nicht weg. Nehmt das Leid wahr, in dieser Stadt und über ihre Grenzen hinaus. Schaut hin, wenn Menschen im Mittelmeer ertrinken, und nehmt es nicht einfach hin.

„Ärzte Ohne Grenzen“ leistet in Krisen- und Kriegsgebieten medizinische Nothilfe. 1999 gewann sie den Friedensnobelpreis. Spendenkonto: Bank für Sozialwirtschaft, IBAN: DE72 3702 0500 0009 7097 00, BIC: BFSWDE33XXX oder unter www.aerzte-ohne-grenzen.de/spende


Kirsten Graubner, Leitende Oberärztin am Diakonie-Klinikum
In Eritrea leben 4,5 Millionen Menschen, die von 150 Ärzten versorgt werden. Sieben Gynäkologen sind darunter, vier von ihnen arbeiten am Uniklinikum in der Hauptstadt Asmara. 2011 begann das Hilfsprojekt „For Eritrea - Medical Support in Partnership“, zunächst mit einem Schwerpunkt auf der Behandlung von Frauen mit Krebserkrankungen. Bis heute operiert in Asmara niemand Frauen mit Tumoren. Weil es in Eritrea so etwas wie Krebsvorsorge nicht gibt, Tumore also gar nicht erkannt werden, kommen die Frauen meist erst ins Krankenhaus, wenn der Krebs im Endstadium ist. Das Hilfsprojekt begann als rein operative Ausbildung der Frauenärzte.

Es wurde zügig auf weitere Berufsgruppen ausgedehnt. Ziel ist, die eritreischen Ärzte und Schwestern so auszubilden, dass sie erkrankte Frauen behandeln können, die oft jung sind und kleine Kinder haben. Gebärmutterhalskrebs trifft ja oft jüngere Mütter. Wenn diese Frauen sterben, zerbricht oft die Familie, Kinder werden zu Halbwaisen, was in einem Land wie Eritrea dramatische Auswirkungen hat.

Zwei- bis dreimal jährlich ist ein Team von „For Eritrea“ in Asmara

Durch die Operation am Klinikum in Asmara kann das Leben der Frauen oft um einige Jahre verlängert werden, zumal im Rahmen des Hilfsprojektes auch Chemotherapien verabreicht werden. In diesen Jahren können sie für die Zukunft ihrer Kinder sorgen, sie zumindest vorbereiten. Wichtig ist vor allem, dass der Schwerpunkt auf der Aus- und Weiterbildung der eritreischen Kollegen liegt. Das Hauptaugenmerk liegt darauf, die Situation vor Ort nachhaltig zu verbessern. Vor allem Improvisationstalent ist gefragt. Es gibt beispielsweise keine Drainagen, keine morphinhaltigen Schmerzmittel, kaum Infusionen.

Durch die Arbeit in Eritrea lernt man sehr zu schätzen, wie gut die Möglichkeiten in Deutschland sind. Zwei- bis dreimal jährlich ist ein Team von „For Eritrea“ in Asmara. Die Menschen haben eine sehr herzliche, gastfreundliche und zugewandte Art. Bemerkenswert ist, wie gut die Kollegen dort improvisieren können und wie geschickt sie sind. Die Arbeit in Eritrea ist eine Bereicherung.


Sabine Schwenkner, Krankenschwester am Diakonie-Klinikum
Seit sieben Jahren gehöre ich zum Team von „For Eritrea“, es war meine eigene Idee und auch mein Wunsch. Im Grunde hatte ich schon immer Fernweh, vielleicht, weil mein Vater zur See fuhr, ich weiß es nicht. Jeder Einsatz in Asmara bedeutet harte Arbeit und kostet mich zwei Wochen Urlaub oder Überstunden. Doch sobald ich da bin, ist das alles vergessen. Auch weil ich sehe, was wir in sieben Jahren alles geschafft haben. Wie anfangs zum Beispiel der OP-Saal im Uniklinikum aussah, in dem wir noch heute unsere Operationen durchführen: Da fielen die Kacheln von der Wand, es gab keine funktionierenden OP-Lampen, die Schränke waren völlig verrostet.

Das ist inzwischen nicht mehr so. Zum einen konnten wir 2011, nachdem es den Neubau am Diakonie-Klinikum gab, das gynäkologische Instrumentarium der alten Klinik mitnehmen – was für ein unglaubliches Geschenk. Und dazu kamen die ersten Spenden. Jedes Jahr wird der OP-Trakt ein wenig schöner.

Erfahrungen, die ich nicht missen möchte

Wie anders das Arbeiten in Asmara ist. Ich schätze das, obwohl es mich körperlich sehr fordert. In Deutschland wird die OP-Zeit in Minuten berechnet. Dadurch entstehen Kosten- und Leistungsdruck. In Eritrea wird so noch nicht gerechnet. Natürlich ist auch dort das Arbeiten sehr konzentriert. Aber wenn das OP-Programm geschafft ist, gibt es einfach mal eine eritreische Kaffeezeremonie für uns.

Da wird dann in der Küche am anderen Ende des OP-Traktes ein kleiner Kohleherd angemacht und traditionell Kaffee zubereitet, herrlich ist das. Diesen Kontrast zur hochtechnisierten Arbeitswelt in Hamburg finde ich wundervoll. Auch die Wärme, die Nähe und die Freundlichkeit der Kollegen und des eritreischen Volkes überhaupt berühren mich sehr. All das sind Erfahrungen, die ich nicht missen möchte.

„For Eritrea“ arbeitet seit 2012 daran, die Gesundheitsfürsorge für Mütter, Kinder und Frauen zu verbessern. Spendenkonto: Deutsche Bank Hamburg, IBAN: DE22 2007 0024 0337 8247 00, BIC: DEUTDEBHAM. Mehr Infos unter unter www.foreritrea.de/spenden

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