Hannegret Diaw wechselt alle drei Monate ihren Arbeitsplatz: Sie arbeitet im Mariahilf und im Senegal baut sie ein Gesundheitszentrum

Es sind Momente wie diese, an denen Hannegret Diaw an ihre Grenzen stößt. Im OP des städtischen Krankenhauses der senegalesischen Stadt Diourbel liegt eine schwangere Frau mit Komplikationen. Sie verliert viel Blut. Aber es gibt keine Blutkonserven. Also rennt die Ärztin selbst ins Labor zur Spende. Sie hat Blutgruppe null positiv. Das passt fast immer. Doch es gibt keine Entnahmebeutel. Hannegret Diaw kann nichts mehr tun. Die Patientin überlebt die Schwangerschaft nicht. Als die Verwandten der Ärztin dennoch ihren Dank aussprechen, spürt die Hamburgerin, dass sie so nicht weitermachen kann.

Und dennoch macht sie weiter — als deutsche Ärztin im Senegal. Weil sie spürt, dass man nicht mehr wegschauen kann, wenn man einmal hingesehen hat. Und weil sie weiß, dass in diesem Entwicklungsland Menschen wie sie dringend gebraucht werden. Fachärzte, die ihre medizinischen Kenntnisse einbringen und die wissen, dass man mit wenig Möglichkeiten schon viel erreichen kann.

Hannegret Diaw ist 55 Jahre alt. Mutter von drei Kindern. Verheiratet mit einem Senegalesen. Oberärztin der Geburtshilfe in der Helios Mariahilf Klinik auf der einen Seite. Und sie ist Leiterin eines Gesundheitszentrums im senegalesischen Städtchen Lourda. Eine Medizinerin, die auf zwei Kontinenten für die Gesundheit der Frauen und ihrer ungeborenen Kinder kämpft. Im Vierteljahresrhythmus wechselt sie den Standort: drei Monate ist sie in den OP-Sälen der Helios Klinik an der Buxtehuder Straße im Einsatz, dann wieder engagiert sie sich drei Monate lang in einem Gesundheitszentrum im Senegal.

Hannegret Diaw verabschiedet sich 2008 vom Krankenhaus in Diourbel und wechselt ins städtische Gesundheitszentrum
Hannegret Diaw verabschiedet sich 2008 vom Krankenhaus in Diourbel und wechselt ins städtische Gesundheitszentrum © Hanna Kastendieck | Hanna Kastendieck

„Zwei völlig verschiedene Welten sind das“, sagt sie. „In Deutschland ist für einen arbeitslosen Menschen eine vernünftige Gesundheitsversorgung eine Selbstverständlichkeit. Im Senegal gibt es diese selbst für einen hart arbeitenden Bauern nicht.“ Eine Ungerechtigkeit, die sie kaum aushalten kann. Dennoch hat sie sich für diesen Spagat zwischen Industriestaat und Entwicklungsland entschieden.

Sie ist 42 Jahre alt, als sie beschließt, mit ihrem Mann in den Senegal zu ziehen. Das ist im Oktober 2004. Ein halbes Jahr zuvor hat die Hamburgerin, die in Italien studiert und promoviert hat, ihre Facharztprüfung im AK Wandsbek bestanden. Jetzt will sie ihre Kenntnisse in Afrika einbringen und das tun, wovon sie immer geträumt hat: Menschen in Not zu helfen. Die gemeinsamen Kinder sind damals 5, 9 und 14 Jahre alt. Auch für sie ist es ein großer Schritt.

Zehn Hebammen und zwei Ärzte für 2000 Geburten

Ihr erster Arbeitsplatz im Senegal ist das städtische Krankenhaus in Diourbel, 122 Kilometer westlich von Dakar. Doch die Zustände in der Klinik sind katastrophal. Es fehlt an allem, Diagnostik, Blut, Manpower. 2000 Geburten pro Jahr werden von zehn Hebammen und zwei Ärzten betreut. Eine davon ist sie. „In Deutschland ist es eine Selbstverständlichkeit, dass man ins Krankenhaus geht und gesund wieder herauskommt“, sagt sie. „Im Senegal ist das anders. In guten Monaten sterben nur zwei, drei Schwangere, sonst sind es zehn und mehr. Und die Kindersterblichkeit liegt noch viel, viel höher.“

Ein guter Moment: Hebamme Celestine, eine Kollegin von Hannegret Diaw im Senegal, trägt ein gesundes Baby aus dem Kreisssaal
Ein guter Moment: Hebamme Celestine, eine Kollegin von Hannegret Diaw im Senegal, trägt ein gesundes Baby aus dem Kreisssaal © Hanna Kastendieck | Hanna Kastendieck

Es sind die Menschen vor Ort, die sie motivieren weiterzumachen, trotz aller bitteren Erfahrungen. „Bevor du da warst, war er noch viel schlimmer“, sagen die afrikanischen Hebammen zu ihr. Also bleibt sie. Obwohl sie es manchmal kaum aushalten kann, dieses Gefühl der Ohnmacht. Täglich zu erfahren, wie ungerecht die Welt ist.

Sie weiß, dass sie die Strukturen nicht im Großen verändern kann. Aber dass sie im Kleinen ihren Beitrag leisten kann, um die Welt ein Stückchen besser zu machen. 2012 zieht sie mit der Familie nach Louga im Norden Senegals. Sie kaufen Land, fünf Hektar, bohren einen Brunnen, pflanzen 150 Bäume, Grapefruits, Zitronen, Zimtäpfel, Mangos, halten Schafe, Kühe, Pferde, Truthähne und Hennen. Und verwirklichen damit einen Lebenstraum. „Morgens stehe ich im Kittel bei den Patientinnen, nachmittags mit dem Spaten auf dem Feld“, sagt sie.

Auch ohne teure Technik kann man erfolgreich behandeln

Doch als es ihren Eltern in Hamburg schlechter geht, muss die Ärztin eine Entscheidung treffen. Sie beschließt, ihren Lebensmittelpunkt zu splitten, sucht sich eine halbe Stelle in einer Hamburger Klinik, damit sie sich regelmäßig um ihre pflegebedürftigen Eltern kümmern kann. Sie hat Glück. In der Helios Mariahilf Klinik findet sie einen Arbeitsplatz, der zu ihrer Idee passt. Gemeinsam mit Oberärztin Gesa Heierberg, die sich für „Ärzte ohne Grenzen“ engagiert, teilt sie sich eine Stelle. Drei Monate im Jahr ist die eine im Ausland, drei Monate die andere. Immer im Wechsel.

So bunt sieht das Krankenhausleben im Senegal aus. Die Warteschlange ist immer so lang
So bunt sieht das Krankenhausleben im Senegal aus. Die Warteschlange ist immer so lang © Hanna Kastendieck | Hanna Kastendieck

Im vergangenen Jahr hat Hannegret Diaw ein neues Projekt im Senegal in die Hand genommen. Mit Unterstützung einer wohlhabenden Familie vor Ort baut sie in Louga ein Gesundheitszentrum für Frauen auf. Zwei Ärzte, eine Hebamme, eine Pflegekraft kümmern sich um Schwangere und gynäkologische Probleme.

Für die Harburger Helios-Klinik sind die beiden Oberärztinnen mit Auslandserfahrung eine große Bereicherung. Weil ihre Erfahrungen letztendlich den Patientinnen zugute kommen. „Ich habe in Afrika viele medizinische Fälle erlebt, in denen wir in Deutschland schon längst die Notbremse gezogen und einen Kaiserschnitt gemacht hätten“, sagt Dr.Diaw. „Dabei ist oftmals noch viel Luft nach oben.“

Was sie in Afrika aber vor allem gelernt hat, ist, auch ohne große Technik und breites Equipment erfolgreich zu behandeln. Und dass es oftmals ausreicht, sich den Menschen genauer anzuschauen, mit ihm zu sprechen und zuzuhören. „Wir verlassen uns in Deutschland zuviel auf Blutergebnisse und Diagnostik — und schauen uns die Patienten häufig gar nicht mehr genau an, weil dazu die Zeit fehlt“, sagt sie. „Hier müssen wir wieder besser werden.“

Der Senegal

Der Senegal ist ein Staat in Westafrika. Er hat gut 14,3 Millionen Einwohner (Stand Ende des Jahres 2016). Die Hauptstadt ist die Millionenstadt Dakar, weitere bedeutende Städte sind Pikine, Touba, Guédiawaye und Thiès.

Die medizinische Versorgung im Senegal zählt zwar zu den besten im westlichen Afrika, ist aber mit dem europäischen Standard nicht zu vergleichen. Die besten Behandlungsmöglichkeiten hat man in der Hauptstadt Dakar. Dort findet man auch französisch sprechende Ärzte.

In der Gesundheitsversorgung gibt es zahlreiche Mängel. Besonders die hygienischen Bedingungen sind in Stadt und Land oft problematisch. Desweiteren fehlt es den Krankenhäusern häufig an einer ausreichenden apparativen und technischen Ausstattung. In den ländlichen Regionen des Landes ist eine medizinische Versorgung häufig sogar überhaupt nicht gewährleistet.