Hamburg. Ein halbes Jahr vor der Wahl nehmen die Spannungen zwischen SPD und Grünen zu – vor allem wegen einer einmaligen Konstellation.
Viel schöner hätte man die rot-grüne Harmonie nicht in Szene setzen können. Strahlend blauer Augusthimmel, ein Ponton auf der Elbe, Blick auf die Werft Blohm + Voss und den Hafen: Das Café Watergate an den Landungsbrücken lieferte am Freitag die perfekte Postkartenkulisse für die Fraktionschefs Dirk Kienscherf (SPD) und Anjes Tjarks (Grüne), um ihren Plan für einen klimaneutralen Hafen zu präsentieren.
Spannend daran war nicht nur der Vorstoß an sich, sondern auch und vor allem, dass die beiden Anführer der rot-grünen Koalition in der Bürgerschaft ihn wie gewohnt gemeinsam und in großer Eintracht präsentierten – als wäre nichts geschehen. Dabei ist einiges geschehen in den zurückliegenden Monaten.
Eine in der Nachkriegszeit einmalige Situation
Der anhaltende Höhenflug der Grünen in den Umfragen sowie die erdrutschartigen Veränderungen bei den Bezirkswahlen im Mai, als die Ökopartei erstmals hamburgweit stärkste Kraft wurde und der SPD in vier von sieben Bezirken die Mehrheit abluchste, haben eine in der Nachkriegszeit einmalige Situation geschaffen: Erstmals dürften bei der Bürgerschaftswahl im Februar die beiden Regierungspartner die Hauptkonkurrenten sein. Konkret läuft es auf die Frage hinaus: Führt auch künftig die SPD um Bürgermeister Peter Tschentscher den Senat an? Oder schaffen es die Grünen um ihre Zweite Bürgermeisterin Katharina Fegebank in die Führungsrolle?
Die verlockende Aussicht bringt die Grünen jedoch zunehmend in eine Zwickmühle, die die GroKo-geplagte SPD auf Bundesebene nur zu gut kennt: Einerseits gilt es, seriös zu regieren – was die Gefahr birgt, als pflegeleichter Juniorpartner in der Wahrnehmung unterzugehen. Das Ziel, den Regierungschef zu stellen, gebietet es hingegen, sich personell und inhaltlich zu profilieren und dabei, wenn nötig, auch vom großen Partner abzugrenzen – was wiederum die Gefahr birgt, in der Öffentlichkeit als übermäßig ehrgeizig und streitlustig wahrgenommen zu werden.
Das Bündnis bekommt deutliche Risse
Bis zur Sommerpause hatten beide Seiten eine geschmeidige Sowohl-als-auch-Strategie verfolgt: Zwar gab es seit der Regierungsbildung 2015 schon immer mal kleinere Unstimmigkeiten und verbale Spitzen gegen den Koalitionspartner. Aber das blieb alles im normalen Rahmen einer ansonsten gut funktionierenden Koalition. Mit Ende der Ferien bekam dieses Bündnis nun aber doch deutliche Risse, wofür vor allem zwei Paukenschläge auf grüner Seite sorgten.
Da war zunächst die Entscheidung der Eimsbüttler Grünen, die seit 25 Jahren bestehende Koalition mit der SPD auf Bezirksebene nicht fortzusetzen. Stattdessen streben die Grünen als neue stärkste Kraft in der Bezirksversammlung nun ein Bündnis mit der CDU an. Die Tage von Bezirksamtsleiter Kay Gätgens (SPD) wären damit gezählt. Das an sich ist weder verboten noch allzu ungewöhnlich. Auch die SPD hatte nach ihrem großen Wahlerfolg 2011 sukzessive alle Bezirksamtsleiter ausgewechselt, die nicht ihr Parteibuch hatten.
Neue Machtperspektive für CDU und FDP
Bemerkenswert ist der Vorgang vor allem, weil er das rot-grüne Bündnis auf Landesebene zunehmend belastet. Die SPD wirft den Grünen vor, inhaltliche Differenzen nur vorzuschieben und in Wahrheit von Anfang an nur die Leitung des Bezirksamts im Fokus gehabt zu haben. Bei einem ersten Sondierungstreffen vor der Sommerpause hätten die Grünen vier Stunden lang nur darauf beharrt, dass der Bezirksamtsleiter ausgetauscht werden müsse – ohne das näher zu begründen. Ein zweites Gespräch sei nur noch auf Drängen der SPD zustande gekommen und von grüner Seite reichlich lustlos geführt worden.
Der Vorwurf der Genossen: Die Grünen um den Kreisvorsitzenden und Justizsenator Till Steffen hätten es von Anfang an auf diesen Knall angelegt, weil sie sich davon große Signalwirkung für die Bürgerschaftswahl versprechen – könnten sie so doch demonstrieren, dass sie auch Bündnisse jenseits der SPD schmieden können. Was im Übrigen auch CDU und FDP plötzlich wieder eine Machtperspektive verschafft, Stichwort Jamaika. In Kiel regiert so ein Bündnis bereits.
Kein Loblied auf die rot-grüne Koalition
Die Grünen erzählen die Eimsbüttler Geschichte hingegen ganz anders. Demnach habe die SPD die geänderten Machtverhältnisse bis heute nicht verinnerlicht. Zwar hätten die Sozialdemokraten wohl auch als kleinerer Partner gern weiterregiert. Doch alle Vorschläge der Grünen, etwa für mehr Radverkehr oder weniger Parkplätze, seien in den Sondierungen abgeblockt worden. Die CDU sei da sehr viel beweglicher gewesen. Und das Argument der SPD, man habe den eigenen Bezirksamtsleiter nicht abwählen wollen, stimme auch nicht, so die Grünen. Die Genossen seien sehr wohl bereit gewesen, Gätgens im Laufe des kommenden Jahres abzulösen.
Dass der Vorgang die Stimmung im Rathaus nicht gerade hebt, liegt auf der Hand. Vielsagend war die Antwort von Schulsenator Ties Rabe (SPD), als er am Dienstag nach der Senatssitzung gefragt wurde, wie sich die grün-schwarze Liaison ausgewirkt habe: „In der Sitzung nicht.“ Nachfrage: Und außerhalb? Rabe: „Kommt auf die Beteiligten an.“ Wenige Worte, in die sich viel hineininterpretieren lässt. Klar war aber: Die Chance, ein Loblied auf die rot-grüne Koalition zu singen, hat der erfahrene Senator nicht aus Versehen verstreichen lassen.
Konflikt um „weitgehend autofreie Innenstadt“
Für reichlich Zündstoff sorgt auch das kürzlich vorgestellte Konzept der Grünen für eine „weitgehend autofreie Innenstadt“. Obwohl dieser weitgehende Vorstoß ganz offensichtlich nicht mit dem SPD-Ansatz vereinbar ist, Politik „für alle Verkehrsteilnehmer“ zu machen und ohne Verbote oder Drangsalierungen auszukommen, versuchte Fraktionschef Kienscherf den Konflikt am Freitag herunterzuspielen. Der Autoverkehr in der City gehe doch bereits zurück, man liege nur „Nuancen“ auseinander, sagte er, um dann wortreich zu bemänteln, dass er sich eine „weitgehend autofreie Innenstadt“ doch nicht vorstellen kann.
Heftig umstritten ist auch der Klimaplan, den der Senat bis Ende des Jahres verabschieden will. Ein urgrünes Thema, das durch Greta Thunberg und ihre Fridays-for-Future-Bewegung enorm an Bedeutung gewonnen hat. Umso argwöhnischer beobachten die Grünen, wie Bürgermeister Peter Tschentscher das Thema zunehmend besetzt – etwa indem er Klimaschutz ins Zentrum seiner Rede vor dem Übersee-Club stellte und als „Megatrend“ unserer Zeit bezeichnete.
Beim Klimaschutz geht es um die Deutungshoheit
„Es geht um die Deutungshoheit“, heißt es im Rathaus. Das Ringen darum fand am Montagabend einen ersten Höhepunkt. 32 Personen – Senatsmitglieder, Staatsräte, die Fraktionsspitzen – hatten sich im Gästehaus des Senats an der Außenalster versammelt. Bis in die Nacht wurde darum gerungen, wie die CO2-Emissionen auch in Hamburg bis 2030 gegenüber 1990 um 55 Prozent reduziert werden können.
SPD-Vertreter berichteten danach genüsslich, das ausgerechnet Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) schlecht vorbereitet gewesen sei und mehrfach seinen Staatsrat Michael Pollmann um Hilfe bitten musste. Einige Sozialdemokraten unken sogar, Kerstan und die Grünen wollten gar keinen Klimaplan in diesem Jahr verabschieden, sondern lieber im Wahlkampf die Geschichte erzählen, dass die SPD ihn verhindert habe. Doch den Gefallen werde man den Grünen nicht tun. Wie zum Beweis twitterte die Senatskanzlei nach dem Klima-Gipfel ein Foto vom grünen Stadtpark mit der Botschaft „Hamburg for future“.
Wahlkampf wirft seine Schatten voraus
Bei den Grünen wird die Unterstellung, ausgerechnet bei ihrem Leib-und-Magen-Thema nur zu taktieren statt auf echte Fortschritte zu setzen, naturgemäß als Affront empfunden. Der Klimaplan sei „keine Frage von Parteipolitik“, sagte Kerstan am Dienstag. „Wir brauchen eine neuen Gesellschaftsvertrag. Da ist völlig wurscht, wer regiert und wer mit wem regiert.“ Er wolle das Thema jedenfalls „in der Koalition mit der SPD“ mit Hochdruck verfolgen.
Dass das nicht einfacher wird, räumte auch Katharina Fegebank ein. Die Deutsche Presse-Agentur zitierte sie am Donnerstag mit den Worten: „Man merkt, dass der Wahlkampf nun schon seine Schatten vorauswirft.“ Dem ist nichts hinzuzufügen.