Hamburg. Die Fraktionsvorsitzenden Alexander Wolf und Dirk Nockemann über Meinungsfreiheit, Rechtsruck und die autofreie Innenstadt.
Als Dirk Nockemann 2017 zum AfD-Landesvorsitzenden gewählt wurde, war Alexander Wolf sein Konkurrent. Die Fraktion in der Bürgerschaft führen sie jedoch gemeinsam. Wer die Partei in die Wahl 2020 führen soll, lassen sie im Sommer-Interview mit dem Abendblatt aber noch offen.
Die AfD schade dem Standort Deutschland, sagt BDI-Präsident Kempf und betont: „Ausländerfeindlichkeit und Nationalismus passen nicht zu einer international erfolgreichen deutschen Wirtschaft.“ Fühlen Sie sich angesprochen?
Alexander Wolf Nein. Das ist eine Stimmungsmache, die mit Fakten wenig zu tun hat.
Dirk Nockemann Was der deutschen Wirtschaft schadet, ist eindeutig die überbordende Bürokratie. Das ist zum Beispiel der Umweltschutz, der bis zum Exzess betrieben wird und dabei nicht die Interessen der Wirtschaft mit berücksichtigt. Wäre ja noch schöner, wenn sie uns jetzt auch noch diesen Abschwung anhängen wollten.
Fast alle Wirtschaftsverbände fordern Zuwanderung, um den großen Fachkräftemangel zu bekämpfen, während Ihre Partei bundesweit Stimmung gegen Ausländer, Minderheiten und Multikulti macht.
Nockemann Wir haben nichts gegen fleißige Koreaner oder Europäer, die nett und freundlich sind und uns nicht religiös bekehren wollen. Wir wissen auch, dass Zuwanderung von Menschen, die gut ausgebildet sind und die friedfertig sind, uns allen nützt. Wir wollen aber, dass sich alle, die nach Deutschland kommen, gewissen Regeln unterwerfen.
Wolf Helmut Schmidt hat einmal im Abendblatt gesagt, dass eine multikulturelle Gesellschaft eine Illusion der Intellektuellen sei.
Nockemann Wir machen keine Stimmung gegen Zuwanderer, wir weisen nur auf Nachteile hin, auf Parallelgesellschaften zum Beispiel.
Mit Verlaub, Spitzenpolitiker ihrer Partei nutzen fast jeden größeren Kriminalfall, um so zu tun, als gehe Kriminalität vor allem von Zuwanderern aus. Da wird von „Messermännern“, „Kameltreibern“ und „Kopftuchmädchen“ geredet, da wurde das Verbrechen am Frankfurter Bahnhof mit der Flüchtlingskrise 2015 in Verbindung gebracht, obwohl der mutmaßliche Täter seit Jahren legal in der Schweiz lebte – das sind Fake News, mit denen Ihre Partei arbeitet.
Wolf Dass die eine oder andere Äußerung überspitzt ist, das will ich gar nicht bestreiten. Ich verwahre mich aber dagegen, dass es nicht mehr angesprochen werden darf, wenn eine große Zahl von Gewalttaten, etwa in U-Bahnen, von Migranten begangen wird.
Wieso darf es nicht angesprochen werden? Sie sprechen es doch gerade an, sie sprechen diese Themen doch sogar täglich auf allen Kanälen an, und oft mit falschen Behauptungen, siehe Frankfurt.
Wolf Wir sprechen das Thema nicht täglich oder falsch an. Wir verwahren uns aber im Namen der Meinungsfreiheit dagegen, dass etwa im öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht über bestimmte Verbrechen berichtet wird.
Nockemann Wir haben in Hamburg 228.000 Straftaten im Jahr und 68.000 Tatverdächtige, davon sind 45 Prozent Nichtdeutsche, bei einem Bevölkerungsanteil von 13 Prozent. Ziehen wir die Delikte ab, die nur Ausländer begehen können, also etwa Verstöße gegen Ausländerrecht, dann haben wir immer noch 43 Prozent. Die Tatbeteiligung bei Sexual- und Gewaltdelikten ist eklatant hoch.
Insgesamt gibt es aber deutlich weniger Straftaten als vor der Flüchtlingskrise. Was ist denn Ihr Vorschlag?
Nockemann Wir haben 8000 ausreisepflichtige Ausländer, die nicht abgeschoben werden.
Von denen viele nach Genfer Flüchtlingskonvention nicht abgeschoben werden dürfen – weil man Menschen zum Beispiel nicht in Kriegsgebiete schickt, oder wollen Sie das?
Nockemann Nein, aber es sind auch sehr viele dabei, die aus Nordafrika kommen.
Wolf Wenn man die Maghreb-Staaten oder Gambia zu sicheren Herkunftsländern erklären würde, wären viele der Menschen von dort längst wieder in ihrer Heimat.
Stichwort Gambia: Würden Sie den HSV-Spieler Bakery Jatta abschieben lassen, wenn er bei seiner Einreise falsche Angaben gemacht haben sollte?
Nockemann Wir sind für die Gleichbehandlung aller nach den Gesetzen.
Aber Jatta ist bestens integriert, hat einen guten Job.
Nockemann Grundsätzlich gilt: Wir können doch nicht Menschen begünstigen, die täuschen. Wir würden auch Herrn Jatta nach dem Gesetz behandeln. Wenn es eine zwingende Rechtsfolge wäre, dass er nicht hier bleiben darf, dann darf er es nicht. Wenn das Gesetz Ermessensspielraum gibt, dann kann man den nutzen.
Während die AfD im Osten sehr stark ist, sind Sie in Hamburg besonders schwach. 2015 haben sie 6,1 Prozent bei der Bürgerschaftswahl geholt. Jetzt bei der Europawahl im Mai 2019 waren es 6,5. Woher kommt die Stärke der AfD im Osten und die Schwäche in Hamburg?
Wolf Die Deutschen im Osten sind anders sozialisiert. Da sind 1989/90 Hunderttausende auf den Straßen gewesen. Dort gibt es nach den Jahrzehnten der DDR großes Misstrauen gegenüber Politik und Medien. Dort hat man die Einstellung: Wir lassen uns nicht vorschreiben, wie wir zu denken haben.
Und im Westen lassen wir uns das vorschreiben?
Wolf Im Mai hat eine Allensbach-Umfrage ergeben, dass die Mehrheit der Deutschen das Gefühl hat, man könne in bestimmten Themenbereichen nicht mehr offen seine Meinung sagen – weil man sonst gesellschaftliche Nachteile zu befürchten habe. Also hält man lieber die Klappe und hat zwei Meinungen: eine private und eine öffentliche. Und das ist im Westen besonders ausgeprägt.
Nockemann Es gibt auch eine neue erschreckende Umfrage, nach der mehr als 50 Prozent mit der Demokratie nicht mehr zurecht kommt.
Und trotzdem ist die AfD in Hamburg schwach.
Nockemann In westdeutschen Großstädten gibt es ein überwiegend linksgrünes Milieu und Medien, die meist rot-grün dominiert sind. Dazu kommt eine allmächtige Antifa, die Leute bedroht, die uns einen Saal vermieten wollen und dafür sorgt, dass wir als Nazis bezeichnet werden.
Liegt das nicht vor allem an Aussagen, in denen Parteichef Gauland die Nazizeit als „Vogelschiss“ bezeichnet, oder Björn Höcke das Holocaust-Gedenken infrage stellt? Oder daran, dass ein früheres AfD-Vorstandsmitglied den mittlerweile ausgetretenen, sehr radikalen André Poggenburg zu einem Vortrag nach Hamburg eingeladen hat? Oder daran, dass frühere AfD-Spitzenleute wie Bernd Lucke oder Jörn Kruse die AfD mittlerweile als unwählbar bezeichnen, weil sie extrem nach rechts gewandert sei?
Wolf Die AfD ist nicht nach rechts gewandert. In Hamburg schon mal gar nicht. Die Einladung an Poggenburg wurde von der Bürgerschaftsfraktion offiziell gerügt. Herr Lucke ist an sich selbst gescheitert, an einem polarisierenden Politikstil. Und wegen einiger Äußerungen von Herrn Höcke habe auch ich den Appell der 100 unterzeichnet. Die Leute, die besonders radikal von sich reden machen, sind in der AfD eine Minderheit. Wir sind eine junge Partei, da gibt es einen Gärungsprozess, eine Art Narrensaum von Leuten, die die Partei in einem schlechten Licht erscheinen lassen. Das ist wie bei den frühen Grünen. Daran arbeiten wir. Klar ist: Die AfD ist eine im Kern bürgerlich-konservative Partei und nichts anderes.
Blicken wir auf die Wahl 2020: Mit welchen Themen wollen Sie die Wähler überzeugen?
Wolf Zum Beispiel mit G 9. Wir wollen den Gymnasien die Möglichkeiten geben, zum Abitur nach neun Jahren zurückzukehren. Dafür haben sich in einer Umfrage im Auftrag des Abendblatts im Januar 76 Prozent der Bürger ausgesprochen, und CDU-Fraktionschef André Trepoll hat diesen Wert sogar auf einem Plakat in der Bürgerschaft hochgehalten. Während seine Partei nun um des Schulfriedens Willen einknickt, nehmen wir diesen Wunsch der Bürger ernst.
Nockemann Innere Sicherheit ist ein weiterer Schwerpunkt. Über Abschiebungen haben ja schon gesprochen. Wir wollen außerdem Online-Durchsuchungen und den Begriff der drohenden Gefahr ins Polizeigesetz aufnehmen. Ein Beispiel: Wenn ein Geheimdienst vor einem geplanten Anschlag warnt, Ort und Zeitpunkt aber noch unklar sind, dürften die Sicherheitsbehörden dann, anders als heute, präventiv eingreifen und zum Beispiel Handys abhören.
Das Topthema im Wahlkampf scheint Verkehr zu werden. Was ist Ihre grundsätzliche Haltung?
Nockemann Dass man die Autofahrer fair behandelt und Hamburg nicht zur Fahrradstadt macht. Die vorhandenen Verkehrsträger müssen nebeneinander kooperieren. Ich bin auch froh über jeden Radfahrer, der mir keinen Parkplatz wegnimmt. Aber Fahrradpolitik darf nicht zulasten der Autofahrer gehen, indem etwa immer mehr Parkplätze wegfallen und Autofahrer als Umweltsünder diskreditiert werden.
Von einer autofreien Innenstadt halten Sie also nichts?
Nockemann Die Spitalerstraße ist eine Fußgängerzone und die Mönckebergstraße verkehrsberuhigt – ich finde das reicht. Im Übrigen: Wir sind in Hamburg, nicht in Mailand. Wo jetzt Tische auf die Straße gestellt werden, wird sich im Winter gar nichts abspielen.
Aber auch in London oder Oslo, wo das Wetter ähnlich wie in Hamburg ist, versucht man die Autos aus den Innenstädten zu drängen. Es geht ja auch um Lärm und Luftbelastung.
Nockemann Dann muss man mit technischen Möglichkeiten umweltfreundliche Motoren schaffen. Da ist die Industrie ja auch dran. Ich bin im Ruhrgebiet zwischen rauchenden Schloten aufgewachsen, da war richtig schlechte Luft, aber ich bin trotzdem 61 Jahre alt geworden. Heute ist die Luft dagegen viel besser. Das bisschen, was unsere Autos heute noch rauspusten, werde ich auch noch ertragen.
Wolf Wir sind außerdem für den Ausbau des ÖPNV, etwa die Verlängerung der U 4 auf die Veddel. Und wir werden uns dafür aussprechen, die Ost-West-Straße in einen Tunnel zu verlegen. Das wäre auch städtebaulich ein Gewinn. Aber wogegen wir uns wehren, ist dieser ideologische Ansatz, Autofahren ist böse und Fahrradfahren ist gut.
Wer hat gesagt, dass Autofahren böse ist?
Nockemann Natürlich wird kein Grüner sagen, wir wollen Euer Auto oder Euer Steak verbieten. Aber alle Maßnahmen, finanzieller und faktischer Art, führen doch dazu, dass das Autofahren in dieser Stadt moralisch diskreditiert und faktisch unmöglich gemacht wird.
Bei Auto und Fleisch sind wir beim Thema Klimawandel. Im AfD-Grundsatzprogramm heißt es zum Thema CO2-Belastung: „Je mehr es davon in der Atmosphäre gibt, umso kräftiger fällt das Pflanzenwachstum aus.“
Wolf Das stimmt ja auch.
Sollen wir also alle möglichst viel Auto fahren, damit die Erde grüner wird?
Wolf Das ist doch Polemik.
Nockemann Lassen Sie mal das Bundesprogramm weg. Wir in Hamburg emanzipieren uns und haben ein Landesprogramm. Unsere Haltung ist: Es gibt einen menschengemachten Einfluss auf das Klima. Dafür sind die massiven Wald-Rodungen in Indonesien und in Brasilien ebenso verantwortlich wie die Versieglung unserer Böden – die hat in Hamburg auch unter grüner Beteiligung massiv zugenommen.
Hamburg ist den vergangenen Jahrzehnten auch massiv gewachsen. Was sind denn Ihre Vorschläge?
Nockemann Wir müssten viel mehr in die Höhe bauen, dafür Flächen wieder entsiegeln, Frischluft-Schneisen pflegen, Feucht- und Moorgebiete wieder herstellen. Grundsätzlich müssen wir den Energieverbrauch reduzieren, bei Autos ebenso wie bei Flugzeugen. Zweitens müssen wir CO2 aus der Luft nehmen, etwa durch Anpflanzung von Bäumen. Drittens müssen wir mehr klimaresistente Pflanzen entwickeln. Also: Wir brauchen Innovationen und technologischen Wandel, dann bekommen wir den Klimawandel in den Griff.
Wolf Fridays for Future verbreitet dagegen Weltuntergangsszenarien, als würde die Erde in wenigen Jahren in die Luft fliegen. Angst ist kein guter Ratgeber.
Naja, alle Experten warnen vor solchen Kipp-Punkten: Wenn man die überschreitet, wäre eine Entwicklung kaum noch aufzuhalten.
Wolf Angeblich. Die Meinung der Wissenschaftler ist nicht einhellig.
Jetzt relativieren Sie das Problem doch wieder.
Wolf Niemand bestreitet den Klimawandel. Aber worüber man streiten kann, ist der menschliche Anteil daran. Es gibt zum Beispiel Thesen, wonach der Einfluss der Sonne dafür viel wichtiger ist als der menschliche CO2-Ausstoß. Darüber muss man diskutieren und nicht in fast religiösem Wahn nachbeten, was Greta Thunberg dazu sagt.
Wer von Ihnen beiden wird die Spitzenkandidatur bei der Bürgerschaftswahl Anfang 2020 übernehmen?
Wolf Darüber entscheiden die Mitglieder.
Wer auch sonst. Aber wollen Sie beide gegeneinander kandidieren oder werden Sie vorher einen Vorschlag machen, wer auf Platz eins stehen soll?
Nockemann Im Gegensatz zu den alten, ehemals großen Parteien haben wir keine Hinterzimmer. Wir treten beide an, und die Mitglieder sollen entscheiden.