Reykjavík. Sie erfüllen sich ihren Traum und segeln klimaneutral um die Welt – und wer möchte, kann sie dabei begleiten.
Neulich ist auf Island ein Gletscher verschwunden, Niklas Heinecke nickt. Natürlich, wegen der Erderwärmung, das haben sie mitbekommen. Schließlich waren sie bis zum gestrigen Abend vor Ort: auf einem Segelschiff, im Hafen von Reykjavík, Heinecke und die Crew haben es sich für das Videotelefonat im Bauch des Schiffes bequem gemacht hat. Er trägt jetzt Vollbart und sieht ziemlich wuschelig aus – von den Fotos seiner Agentur kennt man ihn eigentlich nur mit raspelkurz rasiertem Kopf.
Niklas Heinecke ist Hamburger, er ist Schauspieler und war bis vor Kurzem Haus-und-Hof-Fotograf der Hamburgischen Staatsoper. Seit ein paar Wochen ist er Abenteurer. Hauptberuflich. Gemeinsam mit seinem Freund Joscha Brörmann hat sich der 31-Jährige aufgemacht, die Welt zu umsegeln – auf einem 17 Jahre alten, eigens für die Tour umgebauten Segelschiff. „Sailing Naked“ nennt sich das Projekt und soll eine Idee um die Welt tragen: dass klimaneutrales Reisen inzwischen eine ernst zu nehmende Möglichkeit ist, und zwar nicht nur für die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg.
Mitte August wird die 16-jährige Schülerin auf einer emissionsfreien Hochseejacht zum Klimagipfel der Vereinten Nationen in New York segeln. „Klar, die hätten wir natürlich auch gern noch mitgenommen“, sagt Heinecke und lacht in die Kamera seines Laptops. Wenn man so will, hat der Hamburger Profisegler Boris Herrmann mit seinem Coup Brörmann und Heinecke ein bisschen den Wind aus den Segeln genommen.
Brörmann ist Segler aus Leidenschaft
Joscha Brörmann ist Maschinenbau-Ingenieur und Segler aus Leidenschaft. Niklas Heinecke lernte er zufällig kennen, Freunde hatten die beiden 2017 mit in den Skiurlaub genommen. Schon damals spukte das Projekt einer klimaneutralen Weltumseglung in Brörmanns Kopf herum. „Für mich war immer klar: Wenn ich 30 werde, kaufe ich ein Boot und segle um die Welt“, sagt der 33-Jährige. Genau das tat er dann auch. Er kaufte ein Boot, gab seinem Chef Bescheid – und fragte Heinecke, ob er nicht Lust hätte, dabei zu sein. Der zögerte keine Sekunde. Es ist das größte Abenteuer seines Lebens.
Gut eineinhalb Jahre brauchten Brörmann und Heinecke, um die „Ju Mar“ für ihre Weltreise fit zu machen. Auf das Dach montierten sie ein Solarpanel, an den Rumpf einen Hydrogenerator – eine Turbine, die unter Wasser sitzt und Strom produziert. „Anders als auf anderen Schiffen kochen und backen wir hier elektrisch und nicht mit Gas“, sagt Niklas Heinecke. „Unser Ziel ist es, so wenig fossile Brennstoffe wie möglich zu verbrauchen, und die Energie, die wir brauchen, selbst zu erzeugen. Was wunderbar klappt. Unser Brot backen wir jeden Tag selbst. Wenn die Sonne scheint, sogar zwei“, erklärt der 31-Jährige.
So klingt das also, wenn man klimaneutral um die Welt segelt: Man rechnet plötzlich in Broteinheiten. „Auch sonst essen wir wirklich gut“, sagt Heinecke. „Rote-Bete-Risotto, Falafel oder Currys … Currys sind super bei ordentlich Seegang. Joscha ist unser Sturmkoch. Der kocht bei wirklich jeder Windstärke.“
Umbau über den Winter
Ende März hatten Heinecke und Brörmann die „Ju Mar“ so weit umgebaut, dass sie zu einer zweimonatigen Testtour über die Ostsee starten konnte. „Um zu checken, ob alle Systeme, die wir über den Winter eingebaut hatten, wirklich funktionieren“, erklärt Brörmann. Und das taten sie. Niklas Heinecke lacht, ein guter Moment muss das gewesen sein.
Im Juni fiel dann endlich der Startschuss. Von Heiligenhafen ging es nach Bergen, dort stießen Lea Lübke und Maren Birke dazu, beide spielen in Hamburg beim FC St. Pauli – Lübke Fußball, Birke Handball. Auch das gehört zum Konzept von „Sailing Naked“: Brörmann und Heinecke suchen immer wieder nach Gästen an Bord, die sie auf einem Abschnitt der Tour begleiten. Dafür zahlen die Mitsegler Geld in die Bordkasse. Ansonsten finanziert sich das Projekt bislang über Sponsoren.
Auf Instagram kann man die Reise der vier Hamburger aus nächster Nähe verfolgen. Niklas Heinecke postet dort regelmäßig seine Fotos, so wie neulich, als plötzlich eine Delfinfamilie neben der „Ju Mar“ auftauchte. Dass sich ziemlich viele Island-Motive in der Galerie befinden, hat einen Grund: Die Crew steckte fast vier Wochen fest. Ihr Großbaum – das ist der Teil des Schiffs, mit dem das größte Segel gesetzt wird – war ihnen auf der Überfahrt von den Färöer-Inseln durchgebrochen.
Die „Ju Mar“ geriet so richtig ins Schaukeln
Am 9. Juli, Brörmanns Geburtstag. Ausgerechnet. Wirklich lustig ist es nicht, was der junge Kapitän noch ziemlich beeindruckt erzählt: wie viereinhalb Meter hohe Wellen die „Ju Mar“ so richtig ins Schaukeln brachten. Und wie ein Fehler des Steuermanns dazu führte, dass das Großsegel so unkontrolliert von einer Seite zu anderen schlug, dass es den massiven Großbaum zersägte. „Das hätte uns durchaus auch den Mast kosten können“, sagt Brörmann und lässt den Blick Richtung Decke wandern. „Auch dann wären wir vielleicht nicht zwangsläufig in Seenot geraten. Aber gefährlich war es trotzdem.“
Aus 40 Stunden Überfahrt wurden so am Ende 69. Was allen egal war – Hauptsache, ankommen. Das viel größere Problem stellte sich auch erst nach dem Anlegen in Reykjavík heraus: Auf ganz Island war kein passender Baum für die „Ju Mar“ zu bekommen. Und auch in anderen Ländern – Schweden, Frankreich, Großbritannien – winkte man ab: Ferienzeit. Allein dem persönlichen Engagement eines Flensburger Händlers ist es zu verdanken, dass die Crew von „Sailing Naked“ endlich Ersatz bekommt. Nun kann es weitergehen. Nach Grönland, Kanada, New York City, erst einmal. Wer weiß. Vielleicht treffen sie ja doch noch auf Greta.
Werde Teil des Teams! Wer Joscha Brörmann und Niklas Heinecke auf einer Etappe ihrer Tour begleiten möchte, schreibt einfach eine Mail an joinus@sailingnaked.de. Auch sonst freuen sich die beiden über jede Unterstützung, zum Beispiel über www.patrean.com/sailingnaked.de. Weitere Infos auf www.sailingnaked.de