Hamburg. Ein neues Buch folgt den Spuren des Zigaretten-Unternehmers, dem Hamburg unter anderem das Ernst Barlach Haus verdankt.

Über familien- und firmengeschichtliche Aspekte, die mit dem Namen Reemtsma verbunden sind, wurde schon oft geschrieben. Ein neues Buch der Kunsthistorikerin Dagmar Lott-Reschke beschäftigt sich jetzt mit einem anderen Thema. Es heißt: „Die Kunstsammlung Hermann F. Reemtsma. Eine Dokumentation“.

Hermann Fürchtegott Reemtsma (1892 bis 1961), Schlüsselfigur der Hamburger Wirtschaftsgeschichte und Onkel von Jan-Philipp Reemtsma, war Zigarettenfabrikant und Unternehmer. Seit etwa 1925 setzte er sich mit Kunst und Künstlern auseinander und begann Druckgrafiken, Zeichnungen, Gemälde und Skulpturen zu sammeln. Lott-Reschke belegt: Die in mehr als 30 Jahren zusammengetragene Sammlung folgte einerseits dem Zeitgeschmack, zeigte andererseits eine klare persönliche Handschrift. Sie umfasste Werke alter Meister und der deutschen Romantik, aber auch Arbeiten der modernen Bildhauerei.

Reemtsma schätzte insbesondere die Kunst von Max Liebermann, Käthe Kollwitz, Emil Nolde und Paula Modersohn-Becker. Er besaß große Werkkonvolute von Hans von Marées und Adolph von Menzel. Mit einigen Künstlern und Künstlerinnen stand er auch in persönlichem Kontakt. Das Buch dokumentiert die Erwerbungen und den Verbleib der ehemals mehr als 1000 Werke umfassenden Privatsammlung, die im Spannungsfeld nationalsozialistischer Kunstpolitik ihren Anfang nahm.

Hermann F. Reemtsma, hier um 1940, war erfolgreicher Unternehmer, Kunstsammler und Mäzen. Er starb 1961.
Hermann F. Reemtsma, hier um 1940, war erfolgreicher Unternehmer, Kunstsammler und Mäzen. Er starb 1961. © Privat | Dölling und Galitz Verlag/privat

Besonderes Verhältnis zu Ernst Barlach

Lott-Reschke zeichnet den Werdegang Reemtsmas als Kunstsammler nach, der – in Othmarschen lebend – unter anderem regelmäßig in der Commeterschen Kunsthandlung unweit des Jungfernstiegs kaufte. Ein besonderes Verhältnis verband ihn mit Ernst Barlach (1870 bis 1938), den er 1935 kennenlernte. Reemtsma unterstützte Barlach unverdrossen, als dieser während der NS-Zeit immer stärker unter Druck geriet. Der Unternehmer finanzierte unter anderem einen aufwendigen Privatdruck, in dem er sich ausdrücklich zu Barlach und dessen Werk bekannte. Noch 1936 konnte Barlach die erste Ausgabe des Buches in den Händen halten – und dankte Reemtsma mit vier Zeichnungen.

Als Barlachs Existenz 1937 bedroht war, bot ihm Reemtsma Unterkunft auf seinem Hof Röndahl in der Lüneburger Heide und finanzielle Unterstützung an. Barlach lehnte ab – und starb kurze Zeit später. „Die Begegnung mit diesem Künstler war im Leben von Hermann F. Reemtsma ein Ereignis von herausragender Bedeutung“, schreibt Lott-Reschke. Bemerkenswert: Reemtsma hielt auch Liebermann, Modersohn-Becker und Kollwitz die Treue, als diese verfemt waren. Reemtsma lebte sehr bewusst mit den Werken Barlachs. Die vielen Arbeiten, die er im Laufe der Zeit erworben hatte, standen zunächst in seiner Villa an der Ecke Zickzackweg/Droysenstraße in Othmarschen, von 1954 an in seinem Haus am Falkenstein. Barlach-Interessierte konnten die Sammlung – darunter auch den berühmten „Fries der Lauschenden“ – nach Voranmeldung besichtigen.

Die Autorin arbeitet im Ernst Barlach Haus

Ausgehend von dem Wunsch, dass Barlachs Werke „unter Menschen leben“ sollten, reifte in Reemtsma früh der Wunsch, dem Künstler „ein Haus (…) zur Einkehr für Kunstfreunde“ zu widmen. 1960 konnte mit Unterstützung von Bürgermeister Max Brauer das Grundstück dafür im Jenischpark gefunden werden. Hermann F. Reemtsma beauftragte den Architekten Werner Kallmorgen mit der Ausführung, sein Wunsch war ein Bau, der zugleich modern und zeitlos sein sollte. Tragisch: Die Eröffnung des „Ernst Barlach Hauses – Stiftung Hermann F. Reemtsma“ hat der Mäzen nicht mehr miterlebt. Er starb im Juni 1961 überraschend auf seinem Hof Röndahl, der Museumsbetrieb begann im Oktober 1962.

Seit 2014 ist Dagmar Lott-Reschke wissenschaftliche Mitarbeiterin des Ernst Barlach Hauses. In ihrem Buch zeigt sie einmal nicht den mutmaßlich knallharten, erfolgreichen Unternehmer Reemtsma, sondern den sensiblen, zurückhaltenden Mäzen, der sich – obwohl in Fachkreisen sehr namhaft – 1958 in einem Schreiben so vorstellte: „Zu meiner Legitimation darf ich anfügen, dass ich Kunstfreund bin, auch Sammler.“ Nebenbei bietet das Werk auch interessante Einblicke in das Privatleben des Unternehmers als Kunstsammler – darunter Innen- und Außenansichten seiner Wohnhäuser.

Manche Werke noch im Besitz der Familie

Nach Reemtsmas Tod ging die restliche Sammlung zunächst an seine Witwe Hanna, die laut Lott-Reschke „wie ihr Mann mit der Sammlung lebte“. Sie verlieh regelmäßig Bilder an Ausstellungen, verschenkte auch einiges. Nach Hanna Reemtsmas Tod wurde die Sammlung unter den Erben aufgeteilt. Manche Werke befinden sich immer noch im Besitz der weitverzweigten Familie, andere gingen in den Kunsthandel, wieder andere an Museen. Wie das neue Buch zeigt, ist der Verbleib etlicher Stücke unbekannt, viele andere befinden sich im nicht immer näher zu definierenden Privatbesitz. Es ist das besondere Verdienst der Autorin, dass diese bedeutende Sammlung – als Ergebnis unermüdlicher Recherche – in ihrem Buch nun noch einmal komplett gezeigt werden kann. Die vielen Fotos machen deutlich: Die Bücher zum Thema Reemtsma werden hier um ein wichtiges Kapitel ergänzt.