Hamburg. BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch über die Folgen einer ökologischen Wende und Hamburgs „botanischen Pandabären“.
Er ist der Spielverderber, der Verhinderer, die Spaßbremse: Zumindest sehen viele Manfred Braasch so, den Geschäftsführer des Bundes für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) Hamburg. Ein Image, mit dem der streitbare Naturschützer zu leben gelernt hat. Ein Gespräch über Greta Thunberg, Radikalität – und Kulleraugen.
Hamburger Abendblatt: Fast die ganze Welt diskutiert über Klimaschutz, seit Fridays for Future zur internationalen Massenbewegung geworden ist. Sehen Sie das eigentlich uneingeschränkt positiv – oder fürchten Sie, dass andere wichtige Umweltthemen verdrängt werden?
Manfred Braasch: Es ist gut und richtig, dass der Fokus auf dem Klimaschutz liegt, und natürlich unterstütze ich die Bewegung ausdrücklich. Allerdings ist es auch richtig, dass andere Themen zurzeit in der öffentlichen Debatte nicht den Stellenwert haben, den sie verdienen.
Zum Beispiel?
Braasch: Zu den größten Problemen gehören das Artensterben und die Überdüngung des Planeten. Eine Million Tier- und Pflanzenarten weltweit sind vom Aussterben bedroht, da bahnt sich eine globale Katastrophe an, deren Ausmaß den meisten Menschen nicht wirklich bewusst ist. Und durch Überdüngung belasten wir unser Grundwasser, unsere Gewässer und unsere Böden so stark mit Stickstoffverbindungen, dass wir den Planten quasi überfüttern.
Greta Thunberg ist zur Ikone geworden. Braucht man solche Stilisierungen, um ein Thema wirksam transportieren zu können?
Braasch: Sie ist eine sehr kluge, junge Frau und das Gesicht der Bewegung. Und sie bringt die notwendige Debatte voran. Ich finde es nur bedenklich, dass manche von ihr quasi die Rettung der Welt erwarten. Jan Fleischhauer etwa fordert von ihr Antworten, wie eine demokratische Gesellschaft die teilweise ja unpopulären Maßnahmen, die sie fordert, ohne Verwerfungen umsetzen kann. Das sind hochkomplexe Probleme, die wir als Gesellschaft gemeinsam lösen müssen. Eine 16-Jährige kann das nicht alleine lösen und wäre überfordert, wenn sie als politische Erlöserin herumgereicht wird.
Der Kampf gegen Artensterben oder Überdüngung wird nicht mit einem Gesicht in Verbindung gebracht. Wie gehen Sie vor, um diese Themen zu transportieren? Führen Sie beim BUND strategische Debatten darüber?
Braasch: Natürlich denken wir darüber nach, wie wir mehr Leute für unsere Anliegen gewinnen. Wir haben unsere Social-Media-Aktivitäten verstärkt und sind uns einig, dass wir emotionalisieren müssen, damit die Botschaft ankommt, werden dabei aber immer fachlich seriös bleiben.
Emotionalisierung ist bei einem Robbenbaby kein Problem, der Schierlingswasserfenchel ist für die meisten aber nur irgendein Kraut.
Braasch: Der Schierlingswasserfenchel ist der botanische Pandabär – hat aber leider keine Kulleraugen. Es gibt ihn weltweit nur noch ein paar Tausend Mal im Großraum Hamburg. Deshalb ist es wichtig, ihn genauso konsequent zu schützen wie den Pandabären. Aber das zu vermitteln ist nicht leicht.
Wölfe und Luchse sind zurückgekommen, die Elbe ist so sauber wie seit Jahrzehnten nicht mehr, das Ozonloch schließt sich, und sauren Regen gibt es auch nicht mehr. Es scheint doch insgesamt besser geworden zu sein.
Braasch: Die Belastungen sind abstrakter geworden und eben nicht auf den ersten Blick sichtbar, entsprechend ist das Problembewusstsein weniger ausgeprägt. Aber auch hier gibt es langsam eine Wende. Jeder Autofahrer merkt, dass er viel seltener seine Frontscheibe säubern muss, weil sie nicht ständig voller toter Insekten ist. Die Zahl der Brutvögel geht zurück, sogar Sperling und Star stehen jetzt in Hamburg auf der roten Liste der bedrohten Arten. Und das ist auch eine Folge der Versiegelung unserer Stadt. In den vergangenen 20 Jahren sind im Schnitt jedes Jahr 1,2 Millionen Quadratmeter versiegelt worden. Dazu gibt es immer noch den Trend, dass private Gärten ökologisch veröden. So geht Lebensraum für Insekten und Vögel verloren. Da auch die Bienen bedroht sind, zu denen viele Menschen eine emotionale Beziehung haben, wächst langsam die Aufmerksamkeit für das Thema. Deutschland ist beim Umweltschutz übrigens längst nicht so gut, wie viele glauben. Der sogenannte Overshoot Day ist der 29. Juli – an diesem Tag hat die Menschheit die Ressourcen verbraucht, die sie verbrauchen dürfte, um das ökologische Gleichgewicht zu halten. Den Rest des Jahres leben wir auf Pump der Natur. Dieses Datum bezieht sich auf den weltweiten Verbrauch – für Deutschland liegt der Overshoot Day schon im April.
Auch wenn kein vernünftiger Mensch diese Umweltprobleme leugnet, haftet dem BUND doch das Image der Spaßbremse an, die immer nur dagegen ist.
Braasch: Das stimmt, aber das ist schwierig zu ändern. Wenn die Stadt ein neues Wohngebiet auf wertvollen Grünflächen plant, dann gehen wir dagegen vor. Aber ja nicht, um die Schaffung von Wohnraum generell zu verhindern, sondern um konkret den Lebensraum vieler Tier- und Pflanzenarten zu retten. Wir sind also „für“ etwas. Als Verband müssen wir mehr Abwehrkämpfe führen, als uns lieb ist. Das Werben für ökologisch sinnvolle Alternativen bleibt da manchmal auf der Strecke, denn auch wir haben begrenzte Ressourcen.
Kooperieren Sie denn mit anderen Umweltverbänden oder herrscht da eher Konkurrenzdenken um Spenden und Mitglieder?
Braasch: Wir arbeiten projektbezogen zusammen, regelmäßig etwa mit dem Nabu, denn beiden geht es ja in erster Linie um die Sache. Die Konkurrenz sehen wir dabei eher sportlich.
Haben Sie denn angesichts all der gewaltigen Probleme ernsthaft Hoffnung auf eine echte ökologische Wende?
Braasch: Die Hoffnung gebe ich nicht auf. Vielleicht wird die jetzt gegen den Klimawandel protestierende Generation die treibende Kraft, die ihren eigenen Lebensstil den Erfordernissen anpasst. Denn es wird radikale Änderungen geben müssen.
Welche sind das vor allem?
Braasch: Weniger Fleischkonsum, kompletter Wandel zur ökologischen Landwirtschaft, CO2-Steuer, Verteuerung aller Transporte, Ausstieg aus fossilen Energien, Wegfall aller umweltschädlichen Subventionen ...
… was alles zu Teuerungen führen wird, die für Normal- und Niedrigverdiener schwer zu verkraften sind. Viele Pendler fahren weite Wege zur Arbeit mit dem Auto, weil sie sich keine Wohnung in der Stadt leisten können – und ohne Pendlerpauschale können sie sich die Fahrt nicht mehr leisten.
Braasch: Deshalb müssen wir zum Beispiel Mobilität völlig neu denken und eine vernünftige Raumplanung etablieren, die es gerade in der Metropolregion Hamburg quasi nicht gibt. Jede Kommune arbeitet für sich. Man muss gemeinsam planen, ob tatsächlich noch neue Gewerbegebiete nötig sind, wo die Menschen leben können und wie sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln problemlos zur Arbeit kommen. Der Flächenverbrauch muss perspektivisch auf null gesenkt werden. Und wir müssen weg vom dominierenden Individualverkehr. Es wäre keine Lösung, die 50 Millionen Pkw mit Verbrennungsmotor gegen 50 Millionen E-Autos auszutauschen – auch dafür wäre der Ressourcenverbrauch viel zu hoch. Und die Klimabilanz sieht derzeit so aus, dass ein Elektro-Neuwagen quasi mit 60.000 Kilometern auf dem Tacho startet im Vergleich zum Benziner.
Letztlich fordern Sie ein komplett anderes Wirtschaftssystem.
Braasch: Aber ja. Um die Natur zu retten und die planetaren Grenzen einzuhalten, brauchen wir eine Postwachstumsgesellschaft, und die erfordert ein neues Denken. Beispielsweise Kleidung und technische Geräte haben eine immer kürzere Halbwertzeit, sie werden so produziert, dass sie eben möglichst nicht lange halten, damit neue gekauft werden müssen. Das können wir uns ökologisch nicht mehr leisten, zumal wir das Prinzip der Kreislaufwirtschaft kaum umsetzen. Konsummuster werden sich ändern müssen, es wird Einschränkungen geben, sei es beim Flugverkehr, bei Kreuzfahrten oder beim Autofahren. Leider gibt es viel zu wenig Forschung darüber, wie ein gutes Gesellschaftssystem innerhalb planetarer Grenzen funktionieren könnte, auch die Wirtschaftswissenschaften befassen sich kaum damit. Denn es geht ja nicht um eine weiter wachstumsorientierte Wirtschaft mit grünem Anstrich, sondern um eine echte Transformation. Hier könnte Hamburg an seinen Hochschulen neue echte Maßstäbe setzen und eine solche Forschung mit öffentlichen Mitteln fördern.