Hamburg. Vor 50 Jahren sollte Hamburg einen neuen Flughafen bekommen – gebaut wurde er jedoch nie. Die Hintergründe.
Die Idee ist überzeugend, die Jury begeistert, das Geld für das „Luftkreuz des Nordes“ genehmigt: 4000 Meter Piste, 30 Millionen Passagiere, Bauzeit sechs Jahre, Kosten 380 Millionen D-Mark. „Die Aufgabe war nicht leicht“ konstatiert Hamburgs Oberbaudirektor Prof. Otto Sill bei der Vorstellung der Pläne für den neuen Flughafen in Kaltenkirchen am 18. Juli 1969. Für die Experten kommentiert Kölns Airport-Chef Wilhelm Grebe die Entwürfe kurz und knapp: „Großartig!“
50 Jahre später hängt die Idee schlapp wie ein Luftsack bei Windstärke null am Fahnenmast des Fortschrittsglaubens. Nur in Groß Borstel, Langenhorn oder Norderstedt, wo sich die Lärmschleppe des Flughafens Fuhlsbüttel über die Siedlerhäuschen zieht, hofft eine tapfere Minderheit im Stil des „kleinen gallischen Dorfs“ aus den Asterix-Abenteuern doch noch auf die Verlegung nach Norden, irgendwann.
Kriegsgefangene sterben bei Flughafen-Bauarbeiten
Als Erste hatten die Nazis Kaltenkirchen als Landezone ausgeguckt. Hitlers Aufrüstung gibt den Anstoß. Im Oktober 1935 weist Luftwaffen-Oberbefehlshaber Hermann Göring die deutschen Luftkreis-Kommandos an, schnellstens Standorte für Ersatzflughäfen zu melden. Auch auf den Kuhweiden der Kaltenkirchener Heide werden die Nazis fündig. Das Gelände zwischen Springhirsch und Moorkaten hat Anschluss an die Reichsstraße 4 und die Bahnlinie der AKN.
Rasch kauft die Regierung Grundstücke zusammen. Der Reichsarbeitsdienst baut Baracken, Straßen und eine Startbahn. Später müssen russische Kriegsgefangene schuften. Krank und unterernährt, sterben sie zu Tausenden. Ab Februar 1945 schickt das Düsenjagdgeschwader 7 in Kaltenkirchen seine Messerschmitt-Jagdbomber Me 262 gegen die Luftflotten der Alliierten. Kommodore Johannes Steinhoff wird 1966 Inspekteur der Luftwaffe sein.
Am 7. April 1945 zerstören Bomber der US Air Force die Piste. KZ-Häftlinge müssen sie noch einmal reparieren, doch ein paar Tage später ist endgültig Schluss. Die Engländer stellen auf dem Flugplatz 20.000 Beutefahrzeuge ab. In das Kriegsgefangenenlager ziehen Flüchtlinge ein. Die Deutschen pflanzen zwei Millionen Bäume gegen die unselige Vergangenheit.
Doch die Flugplatz-Idee ist nicht tot. In den 1960er-Jahren kalkuliert ein neuer Aufbauplan des Hamburger Senats mit einem Wachstum der Hansestadt auf 2,2 Millionen Einwohner. Der Hafen wird erweitert, die City Nord aus den Alsterdorfer Wiesen gestampft und ein S-Bahn-Tunnel durch die City gegraben.
Der Flugbetrieb sollte schon 1975 beginnen
Auch ein neuer Großflughafen soll her. 1962 beschließen Hamburg und Kiel das Gemeinschaftsprojekt Kaltenkirchen. 1965 erhält die Flughafen Hamburg GmbH (FHG) die Baugenehmigung. 1969 sind die Entwürfe fertig. 13 Flughafenexperten aus aller Welt beugen sich über die Pläne und begutachten die Modelle.
Am besten kommt die besonders funktionelle Lösung der Hamburger Arbeitsgemeinschaft Dorsch, Gerlach, Freese, Weidle und Howel an: Abfertigungsgebäude auf zwei Ebenen als Halbring entlang der Verkehrsachse, die Fluggäste fahren direkt zum Check-in, überdachte Stellplätze für Kurzparker, Parkhaus für die anderen. Vom Start weg sollen auf 2200 Hektar vormals grüner Wiese jährlich fünf Millionen Passagiere abheben. Danach kann die Kapazität Stück für Stück auf bis zu 30 Millionen Reisende erweitert werden.
Der neue Superflughafen schickt sich an, Norddeutschlands größte Baustelle nach dem Autobahntunnel unter der Elbe, der ein Jahr zuvor begonnen wurde, zu werden. 1971 sollen die Erschließungsarbeiten, 1972 die Bauarbeiten beginnen. Ab 1975 ist Flugbetrieb geplant, denn dann, so erwartet man, stoße Fuhlsbüttel endgültig an seine Grenzen. Dann soll auch der Verkehr über die neue Autobahn Hamburg–Flensburg und die Osttangente der Stadtautobahn rollen. Die neue Trasse für die S-Bahn nach Kaltenkirchen steht bereits fest.
"Aktion Flugplatz Kaltenkirchen" gegen das Projekt
Doch plötzlich bläst Gegenwind ins Kaltenkirchener Kartenhaus. Anwohner werden wach, sorgen sich über den Fluglärm und wollen mitreden. „Ein Vorhaben, wie es der geplante Weltflughafen Kaltenkirchen ist, kann nicht einfach eine Verwaltungsangelegenheit sein“, erklärt eine „Aktion Flugplatz Kaltenkirchen“ auf einem Flugblatt.
Senat und Landesregierung wollen den Widerstand mit fetten Zahlungen knacken: Jeder Bauer, dessen Hof im Lärmpegel liegt, soll frei entscheiden können, ob er umgesiedelt werden will. Doch das will keiner, und es lässt sich auch keiner so leicht die ländliche Ruhe abkaufen.
1977 kommt der Planfeststellungsbeschluss. Prompt folgen Klagen der Flughafengegner, und 1980 hebt das Verwaltungsgericht Schleswig den Beschluss auf. Seither ist es auch anderswo vorbei mit der Planungssicherheit deutscher Großprojekte: Ob Straße oder Schiene, Schifffahrt oder Energieversorgung, überall formiert sich geharnischter Widerstand, sobald Bürger um ihre Vorgärten, Parkplätze, Sportstätten oder Ruhezeiten bangen.
2003 gab es den letzten Vorstoß
Streit gibt es auch um die Baukosten. 1965 hat Hamburg zugestimmt, dass Schleswig-Holstein zehn und der Bund 26 Prozent der Kosten übernehmen. Doch schon der Ölpreisschock von 1973 lässt an den Zuwachsraten zweifeln. Und in Kaltenkirchen steigt die Klageflut immer weiter an: Mehr als 1400 Anrainer bremsen das Projekt aus.
Auch im Senat nimmt der Unwille zu. Bürgermeister Hans-Ulrich Klose (SPD) fürchtet die Abwanderung von Firmen und Beschäftigten zulasten seiner Steuerkasse. 2003 rafft sich Wirtschaftssenator Gunnar Uldall (CDU) noch einmal auf und schreibt sich – wie seine Kieler Parteifreunde – Kaltenkirchen auf die Fahne. Bis 2030 würden jährlich 30 Millionen Passagiere von und nach Hamburg fliegen, rechnet er vor. Doch die Wähler wollen lieber grüne Politik, der Weltflughafen bleibt Wiese.
2013 fordert die Industrie- und Handelskammer Lübeck als Erste, die Ländereien für ein neues Wohn-und Gewerbegebiet zu verkaufen. Es wäre ein gutes Geschäft: Das Grundstück etwa von der Größe Finkenwerders ist heute ein Vielfaches wert. Ein letzter Aufruf ausgerechnet des BUND-Chefs Manfred Braasch 2017 im Hamburger Abendblatt, die Verlegung nach Kaltenkirchen wenigstens noch einmal zu prüfen, verhallte ungehört.