Hamburg. Christian Ohrens bietet verschiedene Blinden-Touren durch Hamburg an. Alle beginnen mitten im Gewusel: am Hauptbahnhof.

Die meisten Menschen können es sich nicht vorstellen, auf einen ihrer Sinne verzichten zu müssen. Christian Ohrens kennt es nicht anders. Seit seiner Geburt ist der 35-jährige vollblind, das heißt, er erkennt weder Umrisse noch Licht. Doch der studierte Medien- und Kommunikationswissenschaftler hat damit gelernt zu leben. Bei seiner Tour „Blind durch Hamburg“ zeigt er Sehenden seine Welt.

„Bei dieser Tour geht es darum, die Großstadt Hamburg, oder wie man auch sagt, die schönste Stadt der Welt, aus einem ganz anderen Blickwinkel zu erleben, aus der Sicht eines Blinden,“ sagt der 35-Jährige. Seine Touren startet er immer am Hamburger Hauptbahnhof. Von dort können die Teilnehmer verschiedene Touren mit dem Stadtführer buchen.

Kim Gfattinger macht die Tour das erste Mal. Kurz vor dem Beginn schildert die Hamburgerin: „Ich habe ein bisschen Angst und Respekt – es ist alles so wuselig hier.“

So entstand das "Blind durch Hamburg"-Projekt

Während seiner Studienzeit hat Ohrens bereits beim „Dialog im Dunkeln“ gearbeitet. Oftmals ist er nach einer Tour gefragt worden, ob man diese Erfahrungen nicht auch einmal draußen in „echt“ erleben könnte. Ohrens stellte sich die Frage, warum geht das eigentlich nicht? Was spricht dagegen, Leute auf eine Tour mitzunehmen? Aus dieser Frage entstand sein Projekt „Blind durch Hamburg“. „Ich habe es innerhalb von nur wenigen Monaten auf die Beine gestellt. Einfach gemacht, ohne es vorher groß zu probieren,“ sagt Ohrens.

Nach einer kurzen Einführung übergibt er die Augenbinde und den Blindenstock an seine Teilnehmerin. Für Kim Gfattinger beginnt nun das Wahrnehmungsexperiment der anderen Art. In den kommenden beiden Stunden werden besonders ihre Sinne Hören, Tasten, Riechen und auch Schmecken beansprucht. Unsicher bewegt sich Kim, eingehakt in Christians Arm, die ersten Schritte vorwärts. „Meine Beine wackeln gerade so doll,“ gesteht die Erzieherin.

Doch die erste Hürde am Hauptbahnhof meistert sie mit Bravour. Immer wieder hält Christian Ohrens unterwegs an und lässt Kim verschiedene Stationen ertasten und erfühlen. Dabei kommen die beiden auch ins Gespräch: Immer wieder erklärt Christian, der nebenbei auch als mobiler DJ in Hamburg, Pinneberg und seiner Heimatstadt Wolfsburg unterwegs ist, seiner Teilnehmerin die Dinge, die sie gerade ertastet.

Blind durch die Spitalerstraße

Die Tour führt sie weiter durch die Spitalerstraße. Zielsicher gehen die beiden in mehrere Geschäfte hinein, die Christian auf seinen Touren regelmäßig aufsucht. Hier hat Kim die Möglichkeit, verschiedene Dinge zu ertasten – Legosteine, Schmuckstücke, Gewürze und Tee. Gerüche nehme sie plötzlich viel intensiver wahr, sagt Kim Gfattinger. Dass der Spaß bei der Tour im Vordergrund steht, wird schnell klar. „Das soll es auch. Die Leute sollen ihren Spaß haben, und den hat man auch, wenn man mal in Läden reingeht und die Leute ihren Tastsinn benutzen“, sagt Ohrens.

Christian Ohrens lässt Teilnehmerin Kim Tee riechen und fühlen.
Christian Ohrens lässt Teilnehmerin Kim Tee riechen und fühlen. © Marcelo Hernandez / Funke Foto Services

Schließlich bekommen die beiden Hunger. Am Mö-Grill bestellt sich Kim eine Currywurst, Christian eine Grillwurst. Der Verkäufer ist auffallend hilfsbereit und erklärt beiden Kunden genau, wo sich ihre Schale mit der Wurst am Tresen befindet. Besonders für Kim ist das Essen mit Augenbinde eine spezielle Erfahrung: „Man schmeckt und riecht viel intensiver, wenn man nichts sieht.“

Essen ohne zu kleckern ist gar nicht so einfach

Dennoch kämpft sie mit der Herausforderung, die Currywurst zu essen, ohne zu kleckern. „Das ist so schwierig. Ich weiß nicht, ob ich etwas auf der Gabel habe oder nicht. Ich habe das Gefühl, dass ich komplett vollgeschmiert bin.“ Doch das ist die Hamburgerin gar nicht.

Gestärkt starten die beiden zum letzten Part des Rundgangs durch Hamburg. Dabei kommt die Frage auf, wie der gebürtige Wolfsburger es schafft, sich neue Orte zu erschließen. Das mache er ganz intuitiv, sagt Ohrens. Nicht nur Hamburg hat sich der Foto- und Videoblogger bereits erschlossen, sondern er hat auch einige europäische Städte wie Budapest und Paris besucht und seine Fotos auf seiner Homepage veröffentlicht.

Christian Ohrens und Kim haben Hunger: Es gibt Curry- und Grillwurst.
Christian Ohrens und Kim haben Hunger: Es gibt Curry- und Grillwurst. © Marcelo Hernandez

Tour-Teilnehmer werden sensibilisiert

Angebote wie seine Blindentouren seien nicht unumstritten, weiß Ohrens. Kritiker behaupteten, dass solche Rundgänge Blinde in der Öffentlichkeit zur Schau stellten. Diese Kritik weist der 35-Jährige zurück: „Die Tour-Teilnehmer erleben, wie der Umgang mit Blinden in der Öffentlichkeit ist.“ Das sensibilisiere sie für die Zukunft.

Am Ende des Tages zähle die Erfahrung, die die Teilnehmer auf der Tour machen, sagt Ohrens. „Es hat richtig Spaß gemacht. Eine coole Erfahrung, das mal mitzuerleben,“ sagt Kim Gfattinger.

Wer selber einmal bei „Blind durch Hamburg“ eine Tour miterleben möchte, kann sich auf www.blind-durch-hamburg.de informieren.

Die Standardtouren dauern circa 2 Stunden. Für Erwachsene kosten sie 29 Euro pro Person. Schüler, Studenten und Auszubildende zahlen 25 Euro. Start ist am DB Reisezentrum am Hamburger Hauptbahnhof.