Hamburg. Der längst fällige Aktionsplan liegt bis heute nicht vor. Grüne geben SPD-geführten Behörden die Schuld.

Knatternde Motorräder, startende Flugzeuge, ratternde Züge, laute Industrieanlagen und dröhnender Autoverkehr: Lärm ist für viele Stadtbewohner nicht nur ein Ärgernis, sondern kann bei hoher Belastung auch die Gesundheit gefährden. Zwar können pulsierende Metropolen wohl kaum durchweg auf Zimmerlautstärke funktionieren. Gleichwohl hat der Staat die Aufgabe, übermäßige Belastungen für die Bürger so weit einzuschränken, wie das möglich ist.

Nach der EU-Umgebungslärm-Richtlinie von 2002 müssen die Kommunen dafür nicht nur Lärmkarten erstellen, in denen die Gebiete mit besonders hoher Belastung identifiziert werden. Auch müssen sie Lärmaktionspläne vorlegen, in denen Maßnahmen zur Reduzierung des Lärms aufgeführt sind. Der Hamburger Senat aber kommt diesen rechtlichen Vorgaben derzeit nicht nach.

Bereits im Juli 2018 hätte die Umweltbehörde von Senator Jens Kerstan (Grüne) eine Fortschreibung des Lärmaktionsplans (LAP) von 2013 vorlegen müssen. Das aber hat sie bis heute nicht getan. Hinzu kommt: Viele der Maßnahmen aus dem LAP von 2013 sind bis heute nicht umgesetzt. Im Frühjahr soll Umweltsenator Kerstan laut BUND-Chef Manfred Braasch bei einer Veranstaltung der Naturschützer sogar davon gesprochen haben, dass „90 Prozent“ der Maßnahmen nicht umgesetzt worden seien. Dabei deutete er an, dass vor allem die für Verkehr zuständigen und von der SPD geführten Behörden (Wirtschafts- und Innenbehörde) dafür verantwortlich seien. Der BUND kritisiert auch, dass die Stadt in den sechs Jahren seit Inkrafttreten des LAP nicht ein einziges „ruhiges Gebiet“ offiziell ausgewiesen habe, wie es die EU-Umgebungslärmrichtlinie verlange. Von den 40 lautesten Hamburger Straßen sei lediglich an zehn nächtliches Tempo 30 eingeführt worden.

Lärmschutzpolitik in Hamburg „ein echtes Trauerspiel“

„Die Lärmschutzpolitik in Hamburg ist ein echtes Trauerspiel“, sagte BUND-Chef Manfred Braasch dem Abendblatt jetzt. „Die zuständigen Behörden für Verkehr und Umwelt blockieren sich, ein neuer Lärmaktionsplan mit wirksamen Maßnahmen ist seit fast einem Jahr überfällig. Der Hamburger Senat riskiert nicht nur, von der EU gemahnt zu werden, sondern verspielt vor allem das Vertrauen vieler Betroffener, die darauf hoffen, dass endlich etwas gegen die Lärmbelastung unternommen wird.“ Dabei könne mit relativ einfachen Maßnahmen viel erreicht werden, so Braasch. „Dazu gehört vor allem die konsequente Ausweisung von Tempo 30 und ein Nachtflugverbot ab 22 Uhr am Hamburger Flughafen.“

Ein großer Lärmfaktor in Hamburg: Der Fluglärm.
Ein großer Lärmfaktor in Hamburg: Der Fluglärm. © picture alliance / Christophe Ga

Die Umweltbehörde verweist auch weiterhin auf die anderen Behörden. „Der LAP ist ein Plan des gesamten Senats, den legt nicht die Umweltbehörde allein vor“, sagte Behördensprecher Jan Dube. „Bisher gibt es noch keine Zustimmung anderer Fachbehörden zu wirklich wirksamen Lärmschutzmaßnahmen.“ Dabei gehe für die Kerstan-Behörde „Wirksamkeit vor Pünktlichkeit“, so Dube. „Lieber legen wir später als angekündigt einen Plan vor, der Hamburg tatsächlich leiser macht, als einen fristgerechten Papier-Tiger-Plan. Denn damit wäre niemandem gedient.“

Anwohner fordern weniger Umgebungslärm

Zugleich verwies der Kerstan-Sprecher darauf, dass etwa mit dem A-7-Deckel oder der Verlegung der Wilhelmsburger Reichsstraße wesentliche Projekte es LAP 2013 in Arbeit oder fast fertig seien. Das für Ende 2019 angekündigte Verkehrsmodell (Software-Simulation zur Berechnung von Verkehrsströmen) werde ebenso seinen Beitrag leisten wie das bereits seit 2016 laufende Schallschutzprogramm. Dass bei Tempo 30 nachts nicht alle Maßnahmen umgesetzt worden seien, habe „auch mit dem Koalitionsvertrag von 2015 zu tun, der die Umsetzung von Tempo 30 nachts an zehn Straßen vorgesehen hat“, tatsächlich seien seit 2013 „sogar 14 Straßenabschnitte ausgewiesen“ worden. „Alles in allem ist also durchaus auch etwas vorangekommen.“

Dass sich ein größerer Teil der Hamburger von Lärm gestört fühlte, hatte auch die (allerdings nicht repräsentative) Online-Befragung der Umweltbehörde im vergangenen Jahr gezeigt, an der sich mehr als 4300 Menschen beteiligten. 90 Prozent der Teilnehmer forderten darin eine Reduzierung des Lärms rund um ihren Wohnort. Viele davon gaben an, sich vor allem nachts von Rasern oder lauten Motorrädern in ihren Straßen gestört und belästigt zu fühlen. Tagsüber seien Busse und Lkw die größten Störfaktoren.

Schlafstörung durch Straßenlärm

Zwei Drittel der Teilnehmer machten sich laut Umweltbehörde wegen des Lärms Sorgen um ihre Gesundheit. Ebenso viele sehen ihren Schlaf durch Straßenlärm gestört. Fast jeder Vierte gab an, schon einmal aus Lärmgründen innerhalb Hamburgs umgezogen zu sein. Auch beim Thema Fluglärm waren die Aussagen eindeutig: Drei Viertel der Befragten wünschen sich eine konsequente Unterbindung des Flugverkehrs nach 23 Uhr.

Laut BUND hat die Anzahl der von starkem Lärm betroffenen Hamburger zuletzt nicht ab-, sondern sogar noch zugenommen. Rund 120.000 Menschen lebten hier in Stadtteilen mit gesundheitsschädlichem Lärm.

Selbst einfache Maßnahmen wie Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen würden nicht umgesetzt, dabei sei der Straßenverkehr die größte Lärmquelle. Studien hätten dabei gezeigt, dass vor allem Menschen mit geringeren Einkommen stark von Lärm belastet seien.