Hamburg. In der „Neuen Zürcher Zeitung“ rechnet der Autor mit Hamburg ab. Ein Gespräch – auch über Sylvie Meis und den HSV.
Der Autor Marco Maurer hat in der „Neuen Zürcher Zeitung am Sonntag“ mit seiner Wahlheimat Hamburg abgerechnet. Unter der Zeile „Bloß weg hier! Warum fühle ich mich in Zürich einfach wohler als in Hamburg?“ befasst er sich mit der Psychologie der Städte. Zwischen Hamburg und ihm, schreibt der 39-Jährige, passe es nicht. Über die Stadt schimpft er: „Sie ist weder sensibel noch sinnlich, und besonders sympathisch ist sie auch nicht. Ich empfinde sie immer als zu kühl, Lebensfreude kann ich an ihr kaum entdecken, und ihr Äußeres empfinde ich sogar als hässlich.“ Herr Maurer, wir müssen reden.
Herr Maurer, Sie haben Hamburg hassen gelernt und ein bitterböses Stück in „der NZZ“ geschrieben. Viele Hamburger halten ihre Heimatstadt aber für die „schönste Stadt der Welt“ ...
Marco Maurer: Viele sagen auch, Hamburg sei eine Weltstadt. Dieser Witz ist nicht von mir, aber über diese Einordnung kann ich laut lachen. Hamburg ist aus meiner Sicht nur insofern eine Weltstadt, dass es einen großen Hafen hat, der die Stadt mit der Welt verbindet. Das war es dann leider auch. Und eine Anmerkung: Ich habe die Stadt nicht wirklich hassen gelernt. Das klingt, als hätte ich es mir vorgenommen. Es hat sich so ergeben. Ich lebte bisher in vielen Städten, in Augsburg, München, Bern, Zürich, kurz in Berlin. Keine dieser Städte machte es mir schwer; nur diese hier. Zudem weiß ich, es geht vielen Auswärtigen in Hamburg so. Aber ich will vorweg schicken, das war die letzten drei Jahre so, nun ist es besser geworden. Der Text war eine letzte Abrechnung.
Wie kommen Sie darauf, dass Hamburg keine Weltstadt ist?
Wir können ja mal über das sprechen, was der Hamburger, die Hamburgerin toll findet. Aus meiner Sicht ist der Michel etwa nur eine ziemlich normale Kirche, der Dom ein prolliger Rummel, Ausstellungen in Museen sind nicht der Rede wert, die aufgetragene Mode ein Desaster, der immerhin Ex-Weltverein HSV in die Bedeutungslosigkeit abgestiegen. Top-Sehenswürdigkeit ist das Miniatur-Wunderland; kleine Eisenbahnen, das passt zum Provinziellen der Stadt. Und auch dazu, dass die Hamburger mittelmäßige Dinge zu etwas Besonderem stilisieren. Dazu gehört eben jener HSV. Da ich fußballaffin bin: Besonders ist hier nur der andere Fußballclub St. Pauli. Er ist auf eine besondere Art ein Weltverein.
Sie haben in München, Zürich und in Bern gelebt. Ging es dort weniger provinziell zu?
Ich wusste, dass das jetzt kommt. Ertönt irgendwo das Wort „Provinz“ in Zusammenhang mit Städten, wird im Anschluss München genannt. Das Land Bayern ist Provinz, da würd ich sofort zustimmen. München ist aber nicht Bayern, es ist seit Ewigkeiten SPD-regiert. Und die Stadt lebt davon, dass sie ihre Nähe zu den Alpen ausspielt, zudem das Oktoberfest und ihre Biergärten hat. Dort wird auf eine gewisse Weise auch das Volkstümliche, die Provinz, gefeiert. Aber München ist ziemlich liberal. Das spiegelt sich auch in der Ansammlung von großen Museen und Ausstellungen, zudem macht der Wirtschaftsstandort München international. Alles trifft sich an magisch anmutenden Plätzen – und überall schimmert die Isar. Die Biergartenkultur erscheint auf den ersten Blick provinziell. Allerdings treffen sich dort alle Milieus: Giesinger Handwerker, Studenten mit Migrationshintergrund, eine erfolgreiche Unternehmerin aus Nymphenburg – und eben Touristen aus aller Welt. Diese Offenheit prägt die Stadt. Man lässt sich ein. Während Hamburger sich eher abschotten, ihre protestantische, nüchterne Art durchschlägt. Zürich dagegen ist zwar klein, aber auch hier empfinde ich es ähnlich offen und frei wie in München. In Zürich wird bei Geschäftsessen schon mal ein Glas Weißwein dazu getrunken, mittags. In Hamburg wäre das unvorstellbar.
Zugespitzt: Ist Hamburg zu wenig katholisch?
Sehr zugespitzt wäre das. Mir persönlich ist der Glaube einerlei. Aber, ich habe mich ja für den Text auch mit Experten und Wissenschaftlern getroffen. Sie sagen, dass in der nüchternen Art der Hamburger der Protestantismus durchschlägt – und ich glaube auch die erbsenzählende Kaufmannsart. Ein Beispiel: In München und Zürich schwimmen die Menschen in ihren Flüssen, in der Stadt. In Hamburg rudern oder segeln sie brav auf Alster und Elbe. Die Temperaturen ließen ja mittlerweile Schwimmen in Hamburg zu. Zugespitzt bedeutet das: Der Hamburger macht sich nicht gern nackig. Eine Stadtsoziologin, die über die Eigenlogik der Städte forscht, bestätigte mir diese wilde Theorie. Sie sagte mir, „eine protestantische Ethik setzt voraus, dass die Einwohner sich bemühen, ein nicht allzu verschwenderisches, dafür arbeitsintensives und vernünftiges Leben zu führen“. Zürich ist übrigens auch protestantisch geprägt, hier aber schlägt die Nähe zu Italien durch, nach Mailand sind es mit dem Zug drei Stunden. Kurze Formel also: Hamburg ist Vernunft, München und Zürich sind Leben.
Aber Hamburg ist doch viel lebendiger geworden. In den 80er-Jahren gab es beispielsweise kaum Außengastronomie. Heute tobt das Leben bis in die Nacht auf den Straßen ...
Vielleicht unterscheidet sich die Lebendigkeit, die ich kenne, von der Ihren. Lebendig finde ich hier wenig. Bei Altona und Ottensen würde ich Ihren Eindruck vermutlich ein wenig unterstützen – aber eigentlich fehlt mir hier der Langzeitblick. Was ich gut finde, ist das „Cornern“, etwa Ecke Wohlwillstraße/Neuer Pferdemarkt. Das hat etwas von der Münchener Biergarten-Sache und ist unangepasst. Allerdings trifft sich halt nur ein jüngeres, offeneres Milieu. Eine Eppendorferin gesetzten Alters werden Sie hier nicht finden.
Sie kritisieren auch den Stil der Hamburgerinnen: Es werde zu dick aufgetragen, auf der Straßen dominieren Lederhosen, Fellkragen und Bräunungscreme …
Ich würde nicht Lederhosen sagen, sondern Hosen aus Leder. Sonst sind wir eher in Niederbayern. Aber ja, das nehme ich so wahr. Viele Hamburgerinnen tragen eine Art Sylvie-Meis-Stil. Dick auftragen. Überbetonen. Eine Stil-Etage darüber, auch beliebt: Burberry-Jacken. Zugeknöpft. Das gilt übrigens auch für die Männer, ich nenne es den Sky-du-Mont- oder Walter-Scheuerl-Stil. In Eppendorf trifft man oft auf junge Menschen, die die Söhne und Töchter besagter zweier Männer sein könnten. Man möchte zeigen, dass man Geld hat oder haben will. Mein Eindruck ist, der Hamburger Stil hat sich seit den 80ern kaum verändert. Zürich wie München sind dagegen klassische Modestädte, alles leichter, sinnlicher, moderner – auch hier spürbar: die Nähe zu Italien, dem Süden.
Vielleicht wollen die Hamburger gar keine Italiener sein, sondern lieber Schweden?
Guter Punkt. Hab ich noch nie drüber nachgedacht. Aber könnte stimmen. Einzig, ich kenne ja auch Schweden: Sie haben schon ein wenig mehr Lebensfreude als der durchschnittliche Hamburger. Und in Sachen Design und Ästhetik sind sie sowohl den Münchenern als auch den Hamburgern voraus. Dort geht es oftmals um Reduktion. Schaut man mal in Hamburger Cafés, dominiert oft der Plüschbarock, wuchtige Sofas, schwarzes Leder, nicht selten Plastikblumen. Davor parken SUVs. Es fehlt das Sinnliche. Hier dominiert der Sylvie-Meis-Stil. Zudem gibt es einen großen Unterschied zu vielen skandinavischen Städten: In Hamburg wird zwar Fahrrad gefahren, aber die Stadt-Infrastruktur ist dafür nicht vorgesehen. Das müsste dringend geändert werden. An der Ecke Budapester Straße/Clemens-Schultz-Straße werde ich täglich beinahe überfahren. Dass Radwege eine Signalfarbe haben sollten, blinkende Lichter und Schilder auf Fahrräder hinweisen, hat sich in Hamburg noch nicht durchgesetzt. Die Politiker scheinen in diesem Punkt zu schlafen. Es kommt mir vor wie eine Stadt in den 80ern, die wenigen Fahrradwege sind oft holprig. Manchmal denke ich mir, seit dem Krieg ist nichts geschehen. Und ich bin ja Reporter, ich achte jobbedingt auf solche Dinge. Ich habe den jahrelangen Vergleich zu Städten wie eben Zürich und München; auch wenn da die Fahrradinfrastruktur auch noch verbessert werden könnte. Aber Hamburg und Fahrradverkehr – ein Desaster. Und Hamburg hat dafür nicht mal die „Arm, aber sexy“-Entschuldigung Berlins.
Hamburg ist weder arm noch sexy – okay. Dafür ist sie schön und cool …
Bevor ich auf Ihre Frage eingehe, wo ist Hamburg denn cool?
Cool? Ist das Bier an der Strandperle im Sand, das Schwimmen im Stadtparksee, das Flanieren in Ottensen, der Kaffee auf dem Schulterblatt, Fahrradfahren in den Vier- und Marschlanden, ein Cocktail in der Paul-Roosen-Straße, ein Abend im Schauspielhaus. Beim Flutlichtspiel am Millerntor sind wir ja ausnahmsweise einig.
Ok, das sind zugegeben nette Sachen dabei, klar. Aber cool? Sind Sie schon mal in einem Fluss geschwommen? In Bern in der Aare? In Zürich in der Limmat? In der Isar? Da passiert was mit Ihnen. In München und Zürich geschieht zudem viel im Feld der Zwischennutzung, woran leider natürlich die horrenden Mieten schuld sind. Etwa die Alte Utting, ein Schiff auf Bahngleisen in einem alten Gastarbeiterviertel, Restaurants, Biergärten, Konzerte, Diskussionen, Lesungen finden dort statt, alles in einem. Wiederum trifft sich hier alles, Alteingesessene, Touristen aus der Provinz, Subkultur und Mainstream. Gibt ja – gerade über München – den Vorbehalt, Subkultur existiert nicht. Gibt x Gegenbeweise dafür, kleine Zentren, die sich addieren. Sitzt man etwa auf der Alten Utting, vergisst sogar der alteingesessene Hamburger seinen Hafen, der ja im Übrigen nur ein großes Industriegebiet ist, Verschmutzung durch die Industrie- und Kreuzfahrt Schifffahrt inklusive. Klar ist die Industrieromantik schön, aber halt auch eine krasse Luft- und Wasserverschmutzung. Die Dinge, die Sie mir aufgezählt haben, hätte ich im Übrigen zum Großteil schon in den 80ern besuchen können. Alles alt eingesessen. Stillstand. Etwa so oll wie die Musik von Jan Delay.
Ich bin weder in der Aare, noch in der Isar, noch im Limmat geschwommen – aber in der Alster und in der Elbe schon häufiger. Vielleicht ist Hamburg einfach das, was man draus macht?
Ja, das mag richtig sein. Und mir ist bewusst, das hört sich alles störrisch an. Aber ich habe versucht, etwas aus der Stadt zu machen. Habe gute Freunde und einen Fußballclub, Teutonia 10, gefunden. Die Wissenschaft sagt übrigens, dass es Menschen gibt, die zu bestimmten Städten passen und wiederum Menschen, die nicht mit Städten korrespondieren. Das muss man sich ähnlich wie mit Liebespartnern vorstellen. Zudem hat das oftmals damit zu tun, sagt die Forschung, wie man aufgewachsen ist. Ist man in Flüssen geschwommen? Welche Stadtarchitektur prägte einen? Auf mich üben Backsteinbauten eher ein beklemmendes Gefühl aus; Norddeutschen gefallen diese Bauten. Zudem gibt es eine Art Nord-Süd-Gefälle. Menschen in Bern und München, da gibt es Messungen, laufen langsamer als in Kopenhagen und Hamburg. Sie sind gemütlicher. Ich empfinde das auch so. Ein Psychologe und Stressforscher, der das Buch „Stress and the City“ geschrieben hat, rät übrigens zum Abschied, wenn wir uns in Städten nicht wohl fühlen und gar nichts mehr hilft. Er sagt nämlich „Stadtstress“, wie ich ihn lange empfunden habe, ist „permanenter Kriechstress“, also immer da. Über Abschied hab ich natürlich lange nachgedacht. Und kann auch verstehen, wenn Hamburger sagen: „Na, dann geh doch!“
Sie sind geblieben. Also ist am Ende die Stadt gar nicht so schlecht – so wie das Wetter?
Das Wetter finde ich in der Regel furchtbar. Bis zum vergangenen Jahr hatten wir hier drei Sommer nacheinander, die keine waren. Aber ich habe nun eine schicke Regenjacke, die ich sehr liebe. Seitdem ist Hamburg angenehmer zu mir. Und Sie dürfen nicht vergessen, ein wenig grantig sein ist für Bayern oftmals eine Form von Zuneigung. Hass finden wir ja eigentlich alle nicht sympathisch. Die Stadt passt nicht zu mir, aber ich habe meinen Frieden mit ihr gefunden. Es ist auch hier wie mit Partnerschaften: Es gibt die, in die man sich Knall auf Fall verliebt und die, bei denen man sich annähert und erst mit der Zeit merkt, wie schön es sein kann. Die Beziehung zwischen Hamburg und mir würde ich eher zur zweiten Sorte zählen.
Selbst die größten Kritiker können Hamburg mal gern haben?
Für viele wird es aber in bestimmten Städten nie funktionieren. Sie passen nicht zu ihrem Typ. Für Menschen, denen das passiert, habe ich den persönlichen Essay geschrieben. Denen wollte ich Handlungsanweisungen geben, was sie dagegen tun können. Und sei es, am Ende aufzugeben. Ich hatte kürzlich die Chance, Hamburg in Richtung Köln zu verlassen, ich habe sie nicht wahrgenommen, sondern mich für Hamburg entschieden. Hintergrund war Pragmatismus: Ich bin oft umgezogen, nicht immer ganz freiwillig. Hamburg hatte ein schlechtes Startkapital, eine zerbrochene Liebe war der Ausgangspunkt für die Stadt, ein Lebensmittelpunkt hier nie vorgesehen. Es sollte nur ein Ort zum Arbeiten sein. Auch hier zeigen wieder Forschungen, dass Menschen, die ihre Heimat unfreiwillig verlassen, sich in einer neuen Stadt eher fremd fühlen. Es hat zwar drei Jahre gedauert, trotzdem habe ich hier gegen alle Widrigkeiten meine Heimat und Freunde gefunden, genauso wie in München, in Zürich und Bern zuvor. Andere Städte kommen aber nicht mehr als Wohnort für mich infrage. Ein Umzug in eine neue Stadt kostet Energie. Man muss wieder von vorne anfangen, sich alles erschließen, soziale Kontakte neu aufbauen. Das möchte ich nicht mehr. Ich konnte mich nun aktiv für Hamburg entscheiden. Erlauben Sie mir zum Abschluss noch ein paar Sätze Zuneigung für die Stadt?
Jetzt bin ich aber gespannt ...
Der Isemarkt ist schön und auch ein, zwei verlassene Stellen am Gewässer, die ich nicht verraten möchte. Es gibt Kneipen, Bars, Orte, die man einfach mögen muss: das Walrus, Crazy Horst, Rosis Bar. Gerade bei den beiden letzten Bars treffen sich Menschen aus jeglichen Milieus, ohne Vorbehalte. Für ein wunderbares Rauschen sorgen auch die Shuttles von Moia. Sie vermitteln einem das Gefühl, plötzlich in einer Stadt der Zukunft zu wohnen. Und Teutonia 10, ein Verein an der Max-Brauer-Allee, der sich als Breitensport-Zuhause und Ort der Integration versteht, macht es syrischen Flüchtlingen genauso einfach wie bayerischen Exilanten, alleinerziehenden Hartz-4-Vätern wie Akademikern, sich wohl zu fühlen. Unsere Alte Herren-Mannschaft sucht übrigens Verstärkung, wir nehmen alle auf. Hier ist Hamburg nicht zugeknöpft, sondern solidarisch zu allen – und das ist wunderbar.