Hamburg. Der 70-Jährige soll auf einen Bankangestellten geschossen haben. Doch er fühlt sich ungerecht behandelt und verteidigt sich selbst.
Selten beginnt ein Prozess vor dem Hamburger Landgericht mit einem derart bizarren Auftritt wie der gegen Michael J. am Freitag. Noch bevor Oberstaatsanwalt Lars Mahnke überhaupt die Anklage verlesen kann, posiert der 70 Jahre alte Angeklagte mit Sonnenbrille, dunklem Anzug und langen grauen Haaren vor den Fotografen und Kameraleuten im Gerichtssaal. Dazu muss man wissen: In der Regel wollen Angeklagte nicht fotografiert werden. Sie unternehmen einiges, damit man sie nicht erkennt, häufig verbergen sie ihr Gesicht, etwa hinter einer Kladde.
Ganz anders Michael J., der vor vielen Jahren als „Donnerstagsräuber“ für Schlagzeilen sorgte. Für ihn kann das Blitzlicht offenbar nicht grell genug sein. „Ich habe nichts zu verbergen“, sagt Michael J. gelassen. „Ich brauche keinen Aktenkoffer vor mein Gesicht zu halten!“ Dann präsentiert er auch noch ein paar ausgeblichene Urlaubsfotos. Was für ein seltsames Spektakel.
Nur steht der 70-Jährige nicht vor Gericht, um seine Urlaubsimpressionen mit der Öffentlichkeit zu teilen, sondern weil er drei Banken überfallen und einen Angestellten dabei völlig grundlos angeschossen haben soll. Allein die Anklagepunkte: Die Staatsanwaltschaft wirft Michael J. schwere räuberische Erpressung, einen Mordversuch und einen Verstoß gegen das Waffengesetz vor.
Im Januar wird der Donnerstagsräuber gefasst
Im Dezember 2011 soll er den ersten von drei Überfallen begangen haben. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, mit einer Pistole bewaffnet in die Haspa-Filiale am Neuen Steinweg gestürmt und mit den Worten „Es wird kein Knopf gedrückt, sonst knall ich euch alle ab“ 14.800 Euro erbeutet zu haben. Sechs Jahre später soll er bei einem weiteren Überfall auf eine Haspa-Filiale an der Holstenstraße 4800 Euro erbeutet und einem Angestellten in den Bauch geschossen haben – obwohl der Mann sich völlig passiv verhalten habe. Der Angestellte überlebte nur dank einer Notoperation. Michael J. sei danach die Flucht auf dem Fahrrad geglückt.
Im Januar 2019 wurde Michael J. der dritte mutmaßliche Raub jedoch zum Verhängnis: Erneut soll er mit einer geladenen Pistole Marke Ceska in eine Haspa-Filiale gestürmt sein, diesmal in die an der Langen Reihe. Mit der Waffe und den Worten „Geld her, sonst erschieß ich Sie“ soll er einen Bankangestellten bedroht haben. Polizisten nahmen ihn direkt nach dem Überfall vor dem Eingang der Haspa-Filiale in St. Georg mit einer Beute von 5550 Euro fest, bevor er auf einem Fahrrad fliehen konnte.
Richterin ermahnt Michael J. mehrmals
Der mutmaßliche Schwerkriminelle hat es zu einiger Bekanntheit gebracht – so hat unter anderem die ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY … ungelöst“ über seine Taten berichtet. Die Überfälle sorgten wohl auch deshalb für Aufsehen, weil sie sich so sehr glichen: Sie ereigneten sich alle an einem Donnerstag, der Räuber kleidete sich immer ähnlich, und er kam mit dem Fahrrad. Der Angeklagte hatte in einer Vernehmung bei der Polizei jedoch bestritten, für die Taten aus den Jahren 2011 und 2017 verantwortlich zu sein. Vor Gericht will er sich am kommenden Montag zu den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft äußern.
Er äußert sich allerdings auch schon am Freitag: Er redet dazwischen, er redet schnell, und er unterbricht die Prozessbeteiligten derart häufig, dass die Vorsitzende Richterin ihn mehrmals ermahnen muss. Mal zitiert er Brecht, mal Camus. Mal sich selbst: „Der Bankraub ist für mich wie ein gefährliches Spiel, mit dem Leben als Einsatz“, sagt der 70-Jährige.
Michael J. war Anführer der „Santa-Fu“-Meuterei
Vor allem kommt er gern auf seine Vergangenheit zurück. Bereits in den 1980er-Jahren war er verurteilt worden, nachdem er sieben Banken in Hamburg, Hannover und Ulm überfallen hatte. 1990 sorgte er als „Santa Fu“-Meuterer für Schlagzeilen. Gemeinsam mit Mitgefangenen stieg er aufs Dach der Gefängniskirche und forderte bessere Haftbedingungen. Auslöser für die Revolte: Michael J. hatte keinen Fernseher in seiner Zelle – der war ihm weggenommen worden, nachdem er sich geweigert hatte, in der Haft zu arbeiten. An dem mehrtägigen Aufstand beteiligten sich bis zu 200 Gefangene. Während seiner Haftzeit strengte der in Oberbayern geborene Mann Hunderte Verfahren in eigener Sache an. Nach seiner Entlassung arbeitete er in mehreren Hotels als Nachtportier.
Anträge gibt es am Freitag auch, aber es sind nicht seine zwei Verteidiger, darunter der renommierte Hamburger Anwalt Gerhard Strate, die sie stellen – es ist Michael J. selbst. Der Prozess müsse ausgesetzt werden, fordert er. Außerdem sei der psychiatrische Gutachter voreingenommen und Oberstaatsanwalt Mahnke abzulehnen. Denn für das Gesamtbild seiner Person wichtige Dokumente, die sich in einer Kiste in seiner Wohnung befanden und sichergestellt worden seien, seien nicht in das vorläufige psychiatrische Gutachten eingegangen. Im Übrigen wolle er sich selbst verteidigen, sagt der Angeklagte. Das sei sein gutes Recht, erklären die beiden Verteidiger. Sie würden ihrem Mandanten nun unterstützend zur Seite stehen.