Hamburg. Unter dem Bürgermeisterkandidaten Marcus Weinberg wird die Partei deutlich grüner. Beim Frauenanteil gibt es weiter Probleme.
Eines kann man Marcus Weinberg jedenfalls nicht vorwerfen: dass er sich dieser Tage besonders energisch in den Vordergrund drängt. Im Gegenteil. Seit der Altonaer Bundestagsabgeordnete im März als CDU-Bürgermeisterkandidat für die Wahl am 23. Februar 2020 präsentiert wurde, ist es seltsam still um ihn geworden. Dass er mit 52 Jahren zum zweiten Mal Vater werde, erfuhr man zwar – und dass er die Nationalmannschaft als Kapitän bei der Fußball-Europameisterschaft der Parlamentarier in der Schweiz anführe. Aber Aussagen zur Hamburger Politik? Kritik an Rot-Grün im Rathaus? Vorschläge? Fehlanzeige.
„Wo ist eigentlich unser Kandidat?“, fragen sich bereits manche in der CDU. Der eine oder andere rät vorsichtig zu mehr Präsenz auf der Straße und in den Medien. Zumindest in seinem Wahlkreis Altona könne Weinberg doch häufiger mal an Ständen auftauchen, das werde vielleicht auch andernorts Interesse wecken, so ein Bürgerschaftsabgeordneter – schließlich nutze das SPD- und Grünen-Spitzenpersonal auch jede noch so banale Gelegenheit, um Präsenz in Stadt und Medien zu zeigen.
Auf Sommertour in die Wahlkreise
Aber nein, Weinberg winkt ab. SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher könne ja gerne „bis zum Wahltag medienwirksam jeden Tag Eröffnungsbändchen durchschneiden“, sagt der familienpolitische Sprecher der Bundestagsfraktion. Er selbst mache sich „lieber Gedanken, welche Grundsteinlegungen und Grünanlagen Hamburg in den kommenden Jahren braucht, um Metropole und Heimat gleichermaßen zu sein“.
Die CDU gehe ihre Kampagne „systematisch und strukturiert“ an, so Weinberg. Derzeit rede er mit Fachsprechern und externen Experten, und die Partei suche eine Agentur. Im August und September werde man das Wahlprogramm schreiben, er gehe bald auf Sommertour in die Wahlkreise, danach werde die Landesliste beschlossen und im Oktober das Wahlprogramm. „Dann werden wir die wichtigsten Fragen beantworten können, die man beantworten muss“, sagt Weinberg: „Wofür steht Ihre Partei? Und warum soll ich Sie wählen?“
Neue Taktik
Alles sehr strukturiert also. Fußballer und FC-St.Pauli-Fan Weinberg kann das aber auch anders ausdrücken. „Wir müssen auf den Punkt optimal vorbereitet sein – wie ein Fußballteam zum Saisonauftakt“, sagt er. „Anpfiff ist am 1. November, dann gehen wir als CDU topfit in die Saison.“
Dabei zeichnet sich schon jetzt ab, dass die Union unter dem freundlichen Parteilinken eine neue Taktik testen wird. Statt vor allem auf ihre klassischen Themen Wirtschaft, Sicherheit und die Freiheit des Autofahrens zu setzen, macht Weinberg die CDU fit für Tikitaka mit den Grünen – und weist Klimaschutz und Verkehrswende zentrale Rollen zu. Die CDU müsse „inhaltlich und strategisch anschlussfähig“ werden, sagt er, „um mit SPD, Grünen oder der FDP mögliche Regierungsmehrheiten bilden zu können“. Angesichts der Stärke der Grünen und der neuen Bedeutung der Klimapolitik dürfte das zu einer scharfen Wende in der Verkehrspolitik führen.
Eine CDU, die Autos verbannen will?
Die CDU sei „keineswegs eine reine Autofahrerpartei“, betont Weinberg jetzt gerne. „Es gibt auch viele in der Partei, die sich deutlich weniger Autos in der Innenstadt wünschen, manche sind sogar für eine autofreie Innenstadt.“ Wer weiter draußen wohne, sehe das oft anders, weil er auf das Auto angewiesen sei. Man müsse diese Positionen versöhnen. „Viele Stadtplaner sagen uns, die Zukunft der Innenstädte sei mehr und mehr autofrei“, so Weinberg. „Wir müssen mehr Räume für Grün und Wohnen zurückgewinnen. Den Bürgermeister von Kopenhagen würde man heute aus der Stadt jagen, wenn er die für Autos geschlossenen Straßen wieder freigeben würde.“ Selbst einstige Gegner sähen jetzt die Vorteile dieser Politik.
Eine CDU, die Autos verbannen will? Das wäre vor ein paar Jahren undenkbar gewesen. Unterstützt wird Weinberg in seinem Öko-Kurs auch vom Eimsbütteler CDU-Bundestagsabgeordneten Rüdiger Kruse, als Chef der Schutzgemeinschaft Deutscher Wald schon qua Profession Umweltpolitiker. „Klimapolitik gibt es nicht für lau. Es muss sich auch etwas ändern“, sagt er. Mit dem Auto zum Einkaufen in die City und dort eine halbe Stunde auf Parkplatz-Suche im Kreis fahren, „das geht irgendwann nicht mehr“, so Kruse, der nach eigenen Angaben seit 2010 kein Auto mehr fährt. Es ist kein Zufall, dass Weinberg und Kruse sich bundespolitisch gegen die eigene Parteispitze positioniert und eine CO2-Steuer gefordert haben. Unterstützt wird der neue Kurs auch von Hamburgs CDU-Chef Roland Heintze. „Wir spielen jetzt nicht Grüne, aber unsere Politik muss nachhaltiger werden“, sagt er.
Andere Form der Häutung
Bevor sich die Partei thematisch neu aufstellen kann, durchläuft sie dieser Tage noch eine andere Form der Häutung. In den 17 Wahlkreisen werden derzeit die Bürgerschaftskandidaten aufgestellt, was garantiert immer irgendwo böses Blut gibt – und manchen Zielkonflikt offenbart. So soll einerseits der Frauenanteil gesteigert werden, denn momentan sind lediglich zwei der 20 CDU-Bürgerschaftsabgeordneten weiblich. Andererseits braucht man versierte Fachpolitiker für alle wichtigen Ressorts.
Im größten Eimsbütteler Wahlkreis Lokstedt/Niendorf/Schnelsen hat man beides nicht unter einen Hut bekommen. Die Parteibasis gab der vor Ort sehr präsenten, vor allem analog engagierten Ortsvorsitzenden und Sozialpolitikerin Silke Seif den Vorzug vor dem jungen und über Partei- und Stadtgrenzen hinaus anerkannten Wissenschafts- und Digitalpolitiker Carsten Ovens. Der verzichtete nach dem Vorstandsentscheid auf eine Kandidatur. Nun muss die CDU mit dem Vorwurf leben, ausgerechnet in Zeiten, in den Digitales und YouTuber wie Rezo die Agenda durcheinanderwirbeln, einen bestens vernetzten Digitalexperten vor die Tür zu setzen. Das halten auch in der Partei viele für einen gravierenden Fehler.
Medien sind unerwünscht
In einem anderen Punkt dürfte die CDU-Führung froh über das Ergebnis sein: Denn unter den bisher in sieben der 17 Wahlkreise nominierten Spitzenkandidaten ist die gebürtige Hessin Seif die einzige Frau. Immerhin haben mit Birgit Stöver im Wahlkreis Harburg und Anke Frieling in Blankenese zwei weitere Frauen gute Chancen auf die Spitzenkandidaturen. Drei Frauen in 17 Wahlkreisen – das ist allerdings auch keine Traumquote.
Dabei macht es das Wahlrecht den Parteien nicht leicht, ausgewogene Fraktionen zusammenzustellen – weder mit Blick auf den Frauenanteil noch auf Fachleute. Wer sich in den Wahlkreisen durchsetzt, kann die Parteiführung kaum steuern. So muss Spitzenkandidat Weinberg auch um den für seine Politik wichtigen Umweltpolitiker Stephan Gamm fürchten. Der hat es im Wahlkreis Barmbek mit Ex- Jobcenter-Chef Thomas Bösenberg als Gegenkandidaten zu tun.
Mal in Ruhe reden
Die Wahlkreise sind so wichtig, weil es oft kaum Kandidaten über die Landeslisten schaffen – und der Wähler auch die verändern kann. Das hat der heutige CDU-Landeschef Heintze 2015 erlebt, als er auf Platz zwei antrat – und überraschend scheiterte, weil die Partei nur 15,9 Prozent bekam und Polizeigewerkschafter Joachim Lenders mit vielen Personenstimmen an ihm vorbeizog. Nachdem er gerade als Europakandidat durchgefallen ist, wird Heintze es jetzt wohl noch einmal mit der Bürgerschaft versuchen – allerdings erst auf Platz drei der Landesliste. Ganz oben steht Spitzenkandidat Weinberg und auf Platz zwei eine Frau. So viel Diversität muss auch in der CDU sein.
Heute gibt es in der Partei Gelegenheit, über all das mal in Ruhe zu reden. Alle Mitglieder sind zu einer Versammlung ins Gewerkschaftshaus am Besenbinderhof geladen. Medien sind nicht zugelassen. Muss ja nicht jeder wissen, was man sich in der CDU so zu sagen hat.