Hamburg. “Antiquiertes Bewusstsein“ bei sozialen Medien, Fehler auch von Merkel. Was Fraktionschef und designierter Spitzenkandidat fordern.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende in der Hamburgischen Bürgerschaft, André Trepoll, hat ein selbstkritisches Fazit der Europa- und Bezirkswahlen gezogen und dabei auch scharfe Kritik an der Bundespartei geübt. Mit den Ergebnissen der Wahlen, bei denen die CDU in Hamburg mit 17,7 (Europa) und 18,2 Prozent (Bezirke) jeweils auf dem dritten Platz hinter Grünen und SPD gelandet war, sei er „nicht zufrieden“, sagte Trepoll am Dienstag.

„Ich habe selten einen thematisch so leeren Wahlkampf von uns erlebt wie bei dieser Europawahl“, so der Oppositionsführer. „Im Prinzip war das eine Volksabstimmung über mehr Klimaschutz, und dass da die Grünen so gestärkt draus hervorgehen, war zu erwarten. Wir hatten dem wenig entgegenzusetzen.“

Auch „nicht verstanden“ habe er, „warum die Bundeskanzlerin nicht eine stärkere Rolle im Wahlkampf eingenommen hat. Sie ist die beliebteste Politikerin und hat europaweit ein gutes Standing.“ Die CDU hätte auf ihre Erfolge wie die Europäische Einigung und Einführung des Euro verweisen und ihre Haltung zu Brexit, Trump und Putin erklären können, so Trepoll: „Wir haben da Pfunde, mit denen wir hätten wuchern können. Dann wäre es nicht so monothematischer Wahlkampf geworden.“

CDU bleibe „eklatant hinter den politischen Mitbewerbern“ zurück

In dem Zusammenhang kritisierte er den Umgang mit dem Video „Die Zerstörung der CDU“ des Youtubers Rezo. Dass die Partei auf die inzwischen mehr als 12,5 Millionen Mal angeklickte Generalabrechnung mit der CDU-Politik erst mit Tagen Verzögerung und dann nur schriftlich reagiert habe, zeige, dass es im Konrad-Adenauer-Haus „ein zu stark antiquiertes Bewusstsein, was moderne Kommunikation angeht“ gebe, so Trepoll. „Wenn das in Hamburg passiert wäre, hätte ich mir den jüngsten Abgeordneten geschnappt, ihm die Krawatte vom Hals gerissen und die Haare blau gefärbt.“

Dann hätte er ihn ebenfalls in einem Video erklären lassen, was die CDU-Haltung sei und was die Partei alles geleistet habe. Ob 70 Jahre Frieden in Europa, Reisefreiheit oder die Möglichkeit, in jedem EU-Land zu arbeiten oder zu studieren: „Da gibt es genug Argumente, die man hätte vorbringen können, um darauf zu reagieren“, so Trepoll.

Der Fraktionschef warf seiner Partei vor, generell zu wenig auf „soziale“ Medien zu setzen und daher kaum junge Menschen zu erreichen. „Der Satz, wem die Jugend gehört, dem gehört die Zukunft, liegt auf der Hand“, sagte Trepoll. Doch die CDU bleibe auf dem Feld „eklatant hinter den politischen Mitbewerbern“ zurück. Das müsse dringend aufgearbeitet werden.

Die Grünen sind für Trepoll „die neue linke Volkspartei“

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Katharina Fegebank zum Bezirkswahlergebnis der Grünen

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    Das schlechte Abschneiden auf EU-Ebene habe letztlich auch auf die Bezirke durchgeschlagen, so Trepoll. Unerwartet sei für ihn vor allem, dass die Grünen nicht nur in vier von sieben Bezirken stärkste Kraft geworden sind, was zumindest in Ansätzen so erwartet worden war, sondern auch landesweit die SPD um sieben Prozentpunkte auf Platz zwei distanziert haben. „Das lässt für mich nur den Schluss zu, dass die neue linke Volkspartei jetzt Die Grünen heißt.“ In der SPD werde es daher „sicherlich ordentlich rumpeln“, sagte der Oppositionsführer.

    Die CDU selbst habe „eklatante Probleme im Zentrum der Stadt“, aber „anständige“ Wahlergebnisse in den Außenbereichen wie in Harburg, Bergedorf, Alstertal oder im Westen der Stadt erzielt, sagte Trepoll. „Darauf können wir aufbauen.“ Eine Erkenntnis sei, dass Parteien für die unterschiedlichen Stadtteile auch unterschiedliche Antworten anbieten müssten.

    Beim Klimaschutz dürfe die CDU „keine offene Flanke“ mehr haben

    Doch mit Blick auf die künftige inhaltliche Ausrichtung ließ auch Trepoll, wie viele Vertreter der Volksparteien CDU und SPD derzeit, eine gewisse Ratlosigkeit erkennen. Einerseits plädierte er dafür, von den Grünen zu lernen, die unbeirrt an ihren Kernthemen Umwelt- und Klimaschutz festgehalten hätten. Auch die Hamburger CDU müsse an ihrem Label als liberale Großstadtpartei festhalten. Andererseits räumte er ein, dass es für die Union nicht mehr reiche, auf wirtschaftlichen Erfolg und die positiven Begleiterscheinungen zu setzen.

    Nach Jahren des Wirtschaftswachstums, sinkender Arbeitslosigkeit und ausgeglichener Haushalte sei das für viele Menschen selbstverständlich. Stattdessen gebe es ein gesteigertes Interesse an übergeordneten Themen wie Klimaschutz: „Da gibt es eine tief sitzende Angst von jungen Menschen, ob man diese Problem in den Griff bekommen kann.“ Zwar könne die CDU „nicht die Grünen in der Außenwirkung überholen“, so Trepoll. Aber sie müsse diese Bedürfnisse ernst nehmen: „Das darf keine offene Flanke mehr sein.“

    Als Ziel für die Bürgerschaftswahl im Februar 2020 gab der CDU-Fraktionschef aus, das Wahlergebnis „deutlich zu verbessern“ und „wieder in Regierungsverantwortung zu kommen“. Ob die CDU dabei auch als Juniorpartner für SPD oder Grüne zur Verfügung stehe, ließ Trepoll offen.

    Auch Marcus Weinberg übt Kritik an der CDU

    Auch der designierte CDU-Spitzenkandidat Marcus Weinberg hat seine Partei beim Mittagstisch des Wirtschaftsrats ungewöhnlich scharf kritisiert. „Wir haben massiv verloren, da kann man nichts beschönigen“, sagte der Bundestagsabgeordnete. „Es ist lächerlich zu sagen, wir hätten unser Wahlziel erreicht.“ So hatte sich die Parteivorsitzende Kramp-Karrenbauer noch am Sonntag geäußert.

    Weinberg machte gleich fünf Punkte für das schlechte Abschneiden der CDU verantwortlich. So habe die Partei den Spitzenkandidaten Manfred Weber zu wenig nach vorne gestellt und ihre eigenen Themen nicht richtig vermittelt. „Das Thema Klimaschutz haben wir viel zu wenig in den Mittelpunkt gerückt“, sagte er bei der Veranstaltung im Hotel Steigenberger.

    Rezo-Video "anmaßend und ein Skandal"

    Scharf kritisierte er den Umgang mit dem CDU-kritischen YouTube-Video, „Das Video von Rezo ist anmaßend und ein Skandal“, sagte Weinberg. „Im Umgang damit aber haben wir alles falsch gemacht.“ Als fünften Punkt benannte er den Auftritt und das Erscheinungsbild der Großen Koalition. „Wir können so nicht weitermachen“, sagte Weinberg. „Wir können nicht mit einer SPD weiterarbeiten, die sich nicht mehr an den Koalitionsvertrag hält“, sagte er mit Blick auf die Grundrente. Er mahnte dringend Veränderungen im Kabinett an.

    „Wenn die SPD neue Minister bringt, müssen wir uns das auch überlegen.“ Er nannte keinen Namen, betonte aber mehrfach die Wichtigkeit des Wissenschafts- und Forschungsministeriums. „Das ist ein Zukunftsressort.“ Derzeit ist die blasse CDU-Politikerin Anja Karliczek Bundesbildungsministerin.

    Weinberg "kann gut" mit Fegebank und Leonhard

    Als erste Konsequenz aus der Wahlniederlage will Weinberg das Thema Nachhaltigkeit zum Schwerpunktthema in Hamburg machen. Eine zentrale Frage werde dabei die Mobilität. „Warum gründen wir nicht einen Rat für Mobilität“, regte der CDU-Politiker an und sprach sich für höhere Taktfrequenzen und günstigere Nahverkehrstickets, etwa Ein-Euro-Tickets aus. Koalitionsspielereien erteilte er eine Absage. „Wir müssen die eigene Position stärken und nicht nach den anderen schielen.“ Anschlussfähig ist die Union: „Ich kann nicht nur gut mit Katharina Fegebank, sondern auch gut mit Melanie Leonhard.“

    Weinberg selbst bezeichnete sich als „Merkelianer“ – eine Beschreibung, die im Wirtschaftsrat nicht sonderlich gut ankam. Die jüngste Eskalation im Verhältnis der Kanzlerin zu den CDU-nahe Wirtschaftslenkern: Erstmals in der Geschichte des Wirtschaftstages, der im Juni in Berlin stattfindet, wird die Kanzlerin nicht sprechen.