Hamburg. Der Senat plant den Ausbau der Verwaltung wie ein Start-up. Hamburg ist bundesweit führend. Kindergeldprojekt prämiert.
Es ist ein miserables Zeugnis, das die EU Deutschland gerade in Sachen Digitalisierung ausgestellt hat. Beim Anteil der Internetnutzer, die auch Behördengänge online erledigen, kommt Deutschland mit seinen mickrigen 43 Prozent auf den 26. Platz aller 28 EU-Staaten. Zum Vergleich: In Schweden, Estland und Finnland greifen 90 Prozent der Internetnutzer auf Onlineangebote der Verwaltung zu, im EU-Durchschnitt 64 Prozent. Nur Italien und Griechenland stehen beim sogenannten E-Government schlechter da als Deutschland.
Hamburg kann für sich in Anspruch nehmen, dass es im digitalen Entwicklungsland Deutschland in den meisten Kategorien eine Spitzenposition einnimmt. So kürte ein Ranking der Unternehmensberatung Haselhorst Hamburg zum Sieger des digitalen Städterankings 2018, bei dem 394 Städte verglichen wurden – vor allem hinsichtlich der Frage, ob sie ein „datengetriebenes Konzept zur Digitalen Daseinsvorsorge“ entwickelt haben. Der „Deutschland Index Digitalisierung 2019“ bescheinigte der Hansestadt mit Glasfaseranschlüssen für 71 Prozent der Haushalte den deutschen Spitzenplatz – und beim Aufbau der digitalen Verwaltung vorne zu liegen.
Kindergeldprojekt wurde ausgezeichnet
Laut Senatsantwort auf eine FDP-Anfrage wurden im Januar und Februar 2019 bereits 74 Prozent aller Verwaltungsdienstleistungen in Hamburg auf elektronischem Wege in Anspruch genommen. Und jetzt hat die Stadt auch einen Preis für ihr Vorzeigeprojekt „Kinderleicht zum Kindergeld“ eingeheimst.
Der Service, mit dem Eltern direkt aus der Geburtsklinik mit nur wenigen Online-Angaben ihrem Kind rechtskräftig einen Namen geben, es beim Standesamt beurkunden lassen, Geburtsurkunden bestellen und außerdem gleich das Kindergeld beantragen können, wurde beim Zukunftskongress Staat & Verwaltung gleich zweifach im E-Government-Wettbewerb ausgezeichnet: als bestes Kooperationsprojekt und mit dem Sonderpreis des Bundeskanzleramts.
Dass Hamburg seine Spitzenposition nicht nur verteidigen, sondern möglichst ausbauen will, haben die
15 Hamburger Staatsräte auch schriftlich versprochen. Nach einem gemeinsamen Workshop zum Thema „Digitalisierung und Design Thinking“ unterzeichneten sie bereits im Januar eine Sechs-Punkte-Vereinbarung mit weitreichenden Vorhaben, die es so bisher in Hamburg nicht gegeben hat.
„Zentrale Zukunftsaufgabe“
In dem dreiseitigen bisher vertraulichen Papier, das dem Abendblatt vorliegt und die Unterschriften aller 15 Staatsräte trägt, erklären sich diese zu den Verantwortlichen für die Digitalisierung ihrer jeweiligen Behörde, die sie als „zentrale Führungsaufgabe“ bezeichnen. Bis Mitte dieses Jahres soll demnach für jede Behörde eine „umfassende Digitalstrategie“ vorliegen und „eine verantwortliche Person für die Digitalisierungsstrategie und alle Digitalisierungsvorhaben ihres Hauses“ benannt werden. Zudem sollen Haushaltsmittel für den digitalen Umbau bereitgestellt werden, denn dieser binde Ressourcen.
Die Digitalisierung sei für die Verwaltung „eine, wenn nicht die zentrale Zukunftsaufgabe“, heißt unter Punkt 1 der Vereinbarung. Die Staatsräte unterstützten dabei „ausdrücklich den damit verbundenen Wandel in den Behörden, Bezirken und Landesbetrieben durch neue Denkweisen, eine noch offenere Kommunikation und die Etablierung einer Fehlerkultur, die Fehler im Entwicklungsprozess zulässt und innovatives Ausprobieren ausdrücklich unterstützt“, so das Bekenntnis zu einer völlig neuen Verwaltungskultur, angelehnt an dynamische junge Start-up-Unternehmen in der freien Wirtschaft.
Komplexe Anforderungen
„Die komplexen Anforderungen der Digitalisierung können nicht alle auf einmal bewältigt werden. Oftmals sind es kleine Lösungen, die schrittweise zum Erfolg führen“, so das Papier weiter. „Hierfür sind neue Denkweisen, neues Vorgehen bei der Problemlösung und innovative Arbeitsformen, die auch eine Loslösung von bisher vorrangig hierarchischen Strukturen erlauben, notwendig.“ Die Ergebnisse des laufenden Prozesses sollen voraussichtlich nach dem Sommer vorgestellt werden. Schon jetzt seien in allen Behörden Digitalisierungsverantwortliche benannt worden, und die Entwicklung der Digitalstrategie habe begonnen, sagte Jörg Schmoll, Leiter der Abteilung Digitalstrategie und Kommunikation.
„Wenn wir konkrete Veränderungen nicht nur planen, sondern konkret angehen wollen, sind auch Flexibilität und Mut gefordert“, schrieb Hamburgs Chief Digital Officer (CDO) Christian Pfromm an die Verwaltungsmitarbeiter mit Blick auf das Staatsräte-Papier und die weitere Digitalisierung der Behörden. „Es muss möglich sein, auch Fehler und Lernprozesse zuzulassen; offene Denkweisen und innovative Methoden sollen so gefördert werden. Auch Verbesserungen in kleinen Schritten sind Verbesserungen. Machen wir uns also auf diesen Weg, machen wir Hamburg digital!“
FDP kritisiert zu niedriges Tempo des Umbaus
FDP-Fraktionschef Michael Kruse lobte, „dass der rot-grüne Senat unsere Forderung aufgreift und sich um eine gesamtheitliche Digitalstrategie Gedanken“ mache und die Staatsräte einen solchen Beschluss gefasst hätten. Leider aber sei dieser bisher folgenlos geblieben, so Kruse.
„Die zaghaften Bemühungen des Senats um die Digitalisierung der Verwaltung werden nicht ausreichen, um eine moderne Verwaltung für das 21. Jahrhundert aufzubauen. Neben den komplizierten technischen Änderungen braucht Hamburg auch eine Strategie für den kulturellen Wandel, der sich in der Verwaltung dringend vollziehen muss. Im rot-grünen Mickymaus-Tempo kommen wir da nicht ans Ziel.“