Hamburg. Bereits 2021 könnten wieder Lastwagen über die Stresemannstraße und Max-Brauer-Allee rollen. Kritik kommt aus der Bürgerschaft.
Die Dieselfahrverbote in Hamburg könnten schon ab 2021 wieder aufgehoben werden. Mit dieser Ankündigung überraschte der Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) am Wochenende die Öffentlichkeit. Warum diese Aufhebung möglich sein könnte, bleibt indes unklar. Auf Anfrage erklärte die Umweltbehörde, ein entsprechendes Papier dazu werde noch geprüft. Der BUND-Geschäftsführer Manfred Braasch kritisierte die Ankündigung von Kerstan. „Das ist das falsche Signal“, sagte er. Kritik kam auch aus der Bürgerschaft.
Die beiden Fahrverbote in der Stresemannstraße (nur für Lkw) und in der Max-Brauer-Allee (Pkw und Lkw) wurden Ende Mai vergangenen Jahres eingeführt. Ob sie Erfolg haben und – wenn ja – wie groß dieser Erfolg ist, ist seitdem eine politische Streitfrage. Die Umweltbehörde hatte stets darauf verwiesen, dass man erst nach Ablauf eines Jahres verlässliche Aussagen machen könne. Behördensprecher Björn Marzahn sagte etwa im November: „Wir brauchen ein volles Jahr, wir müssen einmal alle vier Jahreszeiten durchlaufen, erst dann macht eine Bilanz Sinn.“
Nun ist dieses Jahr um. Von einer echten Bilanz mag die Behörde allerdings dennoch nicht reden. In der Mitteilung heißt es: „Wirklich aussagekräftig sind aufgrund von Schwankungen nur Jahresdurchschnittswerte“ – also der Vergleich von vollen Kalenderjahren. Demnach dürfte es erst Ende 2019 endgültige Zahlen geben, die die Frage nach dem Nutzen von Fahrverboten beantworten.
Grenzwerte für Stickstoffdioxide werden weiterhin überschritten
Der vorläufige Standpunkt der Behörde ist allerdings: Der Trend stimme, die Luft werde sauberer. Ein weit gefasster Zeitrahmen hilft dabei, diese Aussage zu untermauern. Im Zeitraum von Juni 2016 bis Mai 2019 sei die Stickstoffdioxid-Belastung an der Max-Brauer-Allee von 54 auf 44 Mikrogramm zurückgegangen, heißt es in der Mitteilung: „Das entspricht 19 Prozent.“ Das mag rechnerisch wohl richtig sein, ist aber nicht allein dem Dieselfahrverbot zuzurechnen. Denn das existiert ja erst seit Ende Mai 2018 – also nur in einem der drei betrachteten Jahre.
Unbestritten ist, dass der aktuelle Jahresmittelwert für Stickstoffdioxid weiterhin über dem Grenzwert von 40 Mikrogramm liegt. Vier verkehrsnahe Messstationen gibt es in der Hansestadt. In der Stresemannstraße wurden 2018 im Schnitt 45 Mikrogramm gemessen, in der Max-Brauer-Allee 46 Mikrogramm. In der Habichtstraße (55) und in der Kieler Straße (44) gibt es keine Fahrverbote.
Lkw-Verbot auf Stresemannstraße sorgt für saubere Luft
Trotz der Überschreitungen ist der Umweltsenator der Ansicht, dass die erste Beschränkung „in gut eineinhalb Jahren aufgehoben werden kann, wenn sich der jetzige Trend fortsetzt“. Wie er zu dieser Annahme kommt, bleibt unklar. Sprecher Björn Marzahn sagt, es gebe dazu einen Fachbeitrag eines Gutachters, den die Behörde in Auftrag gegeben habe. „Dieser vierseitige Fachbeitrag wird derzeit geprüft.“ Erst nach dieser Prüfung werde er im Transparenzportal veröffentlicht.
Kerstans Schlingerkurs bei den Diesel-Fahrverboten
Manfred Braasch vom BUND hält die Annahme von Kerstan für „deutlich verfrüht“. „Noch werden die Grenzwerte überschritten“, so Braasch. „Wenn man die Fahrverbote abschafft, führt das natürlich dazu, dass die Belastung mit Stickstoffdioxid wieder steigt. Das wäre kontraproduktiv.“ Der BUND hat eine eigene Berechnung vorgenommen. Verglichen wird der Durchschnittswert der zwölf Monate vor Einführung der Fahrverbote mit dem Wert der zwölf dann folgenden Monate. Ergebnis: An allen vier Messstationen sinkt die Belastung mit Stickstoffdioxid, überschreitet aber immer noch den Grenzwert. Der prozentual größte Rückgang war in der Stresemannstraße zu beobachten, der geringste in der Max-Brauer-Allee. Das Lkw-Verbot, so mutmaßt Braasch, habe gerade in der Stresemannstraße viel bewirkt, weil es dort einen hohen Anteil an Schwerlastverkehr gegeben habe.
CDU- und Linke-Fraktionen kritisieren das Vorhaben
Stephan Gamm, der umweltpolitischer Sprecher der CDU-Bürgerschaftsfraktion, sieht in der Kerstan-Aussage ein „wahltaktisches Manöver“. „Die Grünen wedeln mit der Wurst, denn die Fahrverbote sind total unbeliebt“, so Gamm. Zudem sei es „statistisch total unseriös“, aus einem Drei-Jahres-Zeitraum eine Stickstoffdioxid-Reduktion von 19 Prozent zu errechnen und damit belegen zu wollen, dass die Fahrverbote gewirkt hätten.
Stephan Jersch, umweltpolitischer Sprecher der Linken, sagt: „Mit seiner Ansage für die Jahre nach der nächsten Bürgerschaftswahl lehnt sich Kerstan sehr weit aus dem Fenster. Er sagt nicht, wie er einen JoJo-Effekt verhindern will, wenn alle alten Diesel wieder über zwei der am meisten belasteten Straßen tuckern dürfen.“
Ewald Aukes von der FDP-Fraktion lobt Kerstan: „Diese widersinnigen und ideologischen Fahrverbote hätten nie erlassen werden dürfen, insofern ist die Ankündigung des Umweltsenators nur folgerichtig.“