Hamburg. Probleme beim Bau einer Leitung durch die Elbe könnten Vorhaben blockieren. Experte kritisiert “Tricks“.

Das größte und teuerste Reformvorhaben der Grünen in Hamburg droht immer stärker in Schieflage zu geraten. Der milliardenschwere Rückkauf und Umbau des Fernwärmesystems könnte sich weiter verzögern – was nicht nur den Verlust von Fördermillionen des Bundes zur Folge haben könnte, sondern auch ein Weiterlaufen des extrem klimaschädlichen alten Kohlekraftwerks Wedel über alle bisher genannten Termine hinaus. So jedenfalls stellt es ein Gutachten des Energienetzbeirates dar, der den Senat bei der Energiewende beraten soll. Zudem drohen demnach die Kosten aus dem Ruder zu laufen. Der Gutachter, HCU-Professor Dietrich Rabenstein, wirft dem zuständigen grünen Umweltsenator Jens Kerstan außerdem vor, bei der Veranschlagung des CO2-Ausstoßes zu tricksen, um das von ihm gewählte sogenannte Süd-Szenario durchzusetzen.

Nach den Kerstan-Plänen soll die Wärme für Hunderttausende Haushalte künftig aus industrieller Abwärme, Müllverbrennung und einer Gas-Kraft-Wärmekopplungsanlage auf der Dradenau gewonnen werden. Da die Wärme südlich der Elbe erzeugt, aber vor allem nördlich genutzt wird, muss eine Leitung unter der Elbe verlegt werden. Diese Leitung könnte nach Aussagen von Prof. Rabenstein, der auch Koordinator einer neunköpfigen Arbeitsgruppe des Energienetzbeirats zum Ersatz des Kraftwerks Wedel ist, deutlich teurer als die bisher kalkulierten 100 bis 120 Millionen Euro werden. Zudem könnten Klagen den Bau verzögern. So sammelt eine Gruppe um den früheren Altonaer Bezirksamtsleiter Hans-Peter Strenge (SPD) bereits seit Monaten Geld in einem Fonds, mit dem Klagen gegen den Leitungsbau finanziert werden sollen.

Risiko, dass die Leitung nicht bis 2024 fertig wird

„Es ist keine gute Idee, für den Ersatz des Heizkraftwerks Wedel eine neue große Fernwärmeleitung mit Elbunterquerung durch Othmarschen, Groß Flottbek und Bahrenfeld zu bauen“, sagte Gutachter Rabenstein dem Abendblatt. „Die Leitung ist sehr teuer, und sie erschließt nur wenig wirklich erneuerbare Wärme südlich der Elbe. Zudem ist das Risiko sehr groß, dass diese Leitung nicht bis Ende 2024 fertig wird. Dadurch würde Hamburg 100 bis 140 Millionen Euro an Fördergeldern für Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) verlieren.“ Rabenstein wirft Kerstan zudem vor, sich die Klimabelastung im Süd-Szenario schönzurechnen. So sei die Wärme aus Müllverbrennung vom Grünen-Senator gar nicht in die CO2-Belastung eingerechnet worden, obwohl Müll gewöhnlich zu 50 Prozent als fossiler Brennstoff gelte. Der Energienetzbeirat hat die Umweltbehörde bereits aufgefordert, dies zu korrigieren.

Rabenstein, Strenge und auch der von energiepolitisch Interessierten gegründete „Hamburger Energietisch“ plädieren angesichts dieser Ungenauigkeiten und Unsicherheiten für das sogenannte Nord-Szenario, bei dem die Fernwärme künftig vor allem durch Anlagen im Stellinger Moor gewonnen werden könnte. Dabei spielt wohl auch eine Rolle, dass die Planung der Elbtrasse völlig von vorne beginnen muss. Eine Umweltbegutachtung (Scoping) von 2017 muss laut Umweltbehörde nun Ende Juni 2019 wiederholt werden, weil sich die Trassenpläne seit 2017 verändert hätten.

Dreckiges Heizkraftwerk Wedel läuft immer länger

„Die Planung für die Elbtrasse wird offenbar komplett neu aufgerollt“, sagte Gilbert Siegler, Sprecher des Hamburger Energietisches, jetzt dem Abendblatt. „Deshalb sollen Pläne erst im vierten Quartal fertig sein.“ Bestandskräftige Pläne werde es es also erst 2020 geben, danach könnten Klagen zu weiteren Verzögerungen führen. „Vor allem aber sind für die Planung und den Bau der Trasse selbst mindestens vier Jahre erforderlich - wenn es keine technischen Probleme gibt, die bei so großen Vorhaben durchaus üblich sind. Das alte, dreckige und störanfällige Steinkohle-Heizkraftwerk Wedel läuft also immer länger. Angesichts der Klimaentwicklung ist das unverantwortlich.“ Dabei sei das Ganze „nicht alternativlos“, so Siegler. „Das Gas-Heizkraftwerk, die Hauptkomponente des Wedel-Ersatzes, kann genauso nördlich der Elbe gebaut werden: schneller, kostengünstiger, klimaverträglicher.“

Tatsächlich haben die Grünen, die im Koalitionsvertrag 2015 noch jede Ertüchtigung des maroden Kraftwerks Wedel ausschlossen, bei diesem Thema immer wieder ihr Wort gebrochen. Schon kurz nach dem Regierungseintritt wurde eine Verlängerung der Laufzeit für das alte Kohlekraftwerk in die Wege geleitet, das seine Nachbarschaft immer wieder mit ätzendem Partikelregen überzieht. Der angepeilte Abschalttermin wurde seither mehrfach verschoben. Hatte Kerstan zuletzt von 2022/23 gesprochen, ist jetzt sogar von 2025 die Rede. Diese Verlängerung schrieben die Grünen in den Gesetzestext zur Einigung mit der Volksinitiative „Tschüss Kohle“, die eigentlich einen schnelleren Kohleausstieg zum Ziel hatte – und keine Laufzeitverlängerungen für Klimakiller.

BUND fordert von Kerstan, belastbare Pläne vorzulegen

Für FDP-Fraktionschef Michael Kruse sind die Kerstan-Pläne mittlerweile „zum Scheitern verurteilt“. Dabei sei die Elbleitung „die Achillesferse des Senatskonzepts“, so Kruse. „Der Senat kann den Zeitplan wegen der angedrohten Klagen gegen die Trasse nicht garantieren. Ohne eine pünktliche Fertigstellung bricht die Senatsvariante wegen wegfallender Fördergelder allerdings in sich zusammen.“

Auch der BUND-Landesgeschäftsführer macht nun Druck. „Wir brauchen jetzt einen verbindlichen Fahrplan für den Ersatz des Kohlekraftwerkes Wedel“, sagte Braasch. „Noch vor Kurzem hatte Umweltsenator Kerstan die Heizperiode 2023 genannt, jetzt soll das Kraftwerk offenbar erst 2025 vom Netz gehen. Das dauert zu lange“, so Braasch. Auch müsse Kerstan „noch einmal zweifelsfrei darlegen, dass die favorisierte Südvariante unter Einbindung einer Wärmepumpe und einer neuen KWK-Anlage tatsächlich die klimapolitisch beste und schnellste Lösung ist“.

Umweltbehördensprecher Jan Dube dagegen will von größeren Problemen nichts wissen. „Wir sind wie vorgesehen im Plan“, sagt Dube dem Abendblatt. „Das Anlagenkonzept zum Ersatz von Wedel ist innerhalb der Wärmegesellschaft derzeit in der Feinabstimmung und soll präsentiert werden, wenn es vorliegt. Die Frage der KWK-Zuschüsse wird selbstverständlich berücksichtigt.“