Winterhude. CDU, FDP und Behörde sind gegen die Idee, den Wechselverkehr abzuschaffen – der ADFC sieht Chancen für eine Verbesserung.
Um 12 Uhr am Mittag wird es an der vielbefahrenen Sierichstraße für einen Moment still. Wer dort in Richtung City fahren will, hat das tunlichst vorher getan. Und wer die Straße stadtauswärts passieren möchte, wartet vorsichtshalber noch ein paar Minuten. Denn Punkt zwölf wechselt an der Sierichstraße und an ihrer Verlängerung, der Herbert-Weichmann-Straße, die Fahrtrichtung. Und niemand will dort wegen einer möglicherweise nicht ganz korrekt gehenden Uhr zum Geisterfahrer werden. Seit 1952 gilt die Einbahnstraßenregelung an der Straße. Das wollen die Grünen jetzt ändern und handeln sich damit eine Menge Unmut ein.
Eigentlich handelt es sich mehr um eine Durchfahrtsbeschränkung, die in der Sierichstraße gilt, denn Anwohner haben das Recht, von ihrem Parkplatz oder aus ihrer Einfahrt auch gegen die Richtung bis zur nächsten Kreuzung oder Einmündung zu fahren – auch gegen den Verkehrsstrom, der sich morgens auf zwei Spuren stadteinwärts, und ab Mittag auf zwei Spuren stadtauswärts bewegt.
Schwere Unfälle sind auf der Sierichstraße selten
Obwohl immer wieder Autofahrer in die falsche Richtung fahren – absichtlich oder unbeabsichtigt – kommt es selten zu schweren Unfällen. Das nahmen Grüne und SPD in Hamburg-Nord schon 2017 als Begründung, die Abschaffung des tageszeitenabhängigen Richtungswechsel zu fordern. Jetzt sind es nur die Grünen, die eine durch Bauarbeiten an der Hudtwalckerstraße bedingte temporäre Sperrung der Sierichstraße als „Testlauf“ für eine generelle Abschaffung des Richtungswechsels betrachtenwollen. Damit würde das gefährliche Rasens beendet, zu dem sich etliche Autofahrer beim Befahren der zweispurigen Straße hinreißen ließen, Lärm reduziert und Raum geschaffen „für Gehwege in ordentlicher Breite und für gute Radverkehrsanlagen“, fasst Fraktionschef Michael Werner-Boelz es zusammen und fordert: „Man muss den Umbau nutzen, um Erkenntnisse für die spätere Umplanung zu sammeln.“
Beim Koalitionspartner SPD löst die Forderung der Grünen Irritationen aus. Man könne eine solche Forderung nicht „einfach so erheben“, sagt der Fraktionsvorsitzende Thomas Domres. „Es ist schwierig, neben einem Zwei-Richtungs-Verkehr auch jeweils zwei vernünftige Geh- und Radwege anzulegen. Das ginge auf Kosten von Bäumen und Parkplätzen und kann daher nicht ohne die Anwohner geplant werden.“
Behörde hält an Regelung fest
CDU und FDP aus Hamburg-Nord warnen vor Verkehrsstaus. „Wir lehnen die Förderung des Radverkehrs auf Kosten anderer Verkehrsteilnehmer und Anwohner ab“, sagt Martin Fischer, verkehrspolitischer Sprecher der Bezirksfraktion. „Die Sierichstraße ist als Fahrradstadt-Testfläche ungeeignet. Wir brauchen die Durchgangsstraße mit Richtungswechsel besonders im Berufsverkehr, sie ist eine der leistungsfähigsten Hauptverkehrsstraßen der Stadt.“
Die FDP-Bürgerschaftsfraktion spricht von einer „rein ideologisch getriebenen Verkehrspolitik, ausgetragen auf dem Rücken von Pendlern und Lieferanten“. Diese müsse ein Ende haben, sagte FDP-Verkehrsexperte Ewald Aukes. „Der Wechselverkehr auf der Sierichstraße ist eine intelligente Lösung, um die tageszeitabhängigen Pendlerströme zwischen Stadtzentrum und dem Bezirk Nord über eine zweispurige Straße abwickeln zu können.“ Das findet auch Verkehrsstaatsrat Andreas Rieckhoff: „Die morgens Rein- und abends Rauslösung ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich begrenzt vorhandener Straßenraum effizient nutzen lässt. Aus unserer Sicht hat sich diese Praxis bewährt.“
Auch aus Sicht des ADAC gibt es keinen Grund, die derzeitige Regelung aufzuheben. „Sie funktioniert gut, die Unfalllage ist unauffällig. Und für Fahrradfahrer gibt es mit dem Leinpfad eine gut ausgebaute Alternative“, sagt der Hamburger Sprecher Hans Pieper. Würde die Regelung aufgehoben, könnten deutlich weniger Autos diese Verbindung nutzen. Das würde besonders im Berufsverkehr zu Staus führen.
Der ADFC schlägt die Einführung von Tempo 30 vor
Der Fahrradclub ADFC begrüßt die Idee der Grünen. „Moderne, sichere und ausreichend breite Radwege wären auf dieser Straße für alle Radfahrer eine Verbesserung, die täglich vom Norden in die City und zurück pendeln und nicht den bisherigen Schöne-Aussicht-Zickzackkurs nehmen möchten“, gibt Sprecher Dirk Lau zu bedenken. Der Platz dafür müsse auf jedoch Kosten des Autoverkehrs geschaffen werden, da der Baumbestand an der Sierichstraße erhalten bleiben müsse. Tatsächlich waren die Eichen entlang der Straße schon Anfang der 50er-Jahren der Grund, warum die Straße nicht verbreitert worden war. Um die Bäume nicht opfern zu müssen, schlug der damalige Leitende Baudirektor Werner Hoffmann als Alternative die in amerikanischen Großstädten geübte Praxis der wechselnden Verkehrsführung vor.
Nach Ansicht von Dirk Lau könnten bessere Verkehrsbedingungen auf Sierich- und Herbert-Weichmann-Straße durch die Einführung von Tempo 30 geschaffen werden. „Das würde die Situation auf dieser stark befahrenen Straße schon jetzt entschärfen und die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer erhöhen.“