Hamburg. Mit dem Sex war die 21-Jährige einverstanden. Der Schock, sagt die Studentin, kam erst Wochen nach ihrem Abenteuer.
Sie nennt es „Bedürfnis nach Abenteuer“, spricht von „Spaß“ und „Suche nach Abwechslung“. Annika D. (alle Namen geändert) findet viele Umschreibungen für das, was sie vor rund anderthalb Jahren an der Universität erlebte. Genauer gesagt auf einer Campus-Toilette. Es dauert eine Weile, bis die 21-Jährige damit herausrückt, was sich in diesem hellen, gekachelten und nicht gerade kuschelig zu nennenden Raum ereignete. Doch schließlich überwindet die zierliche 21-Jährige ihre Scheu und spricht es aus: Ja, sie hatte Sex. Und sie war auch damit einverstanden, versichert sie, mit dem Mann, dem Zeitpunkt, der Örtlichkeit. So weit alles in Ordnung.
Der Schock, sagt die Studentin, kam erst Wochen nach ihrem Abenteuer. Denn der Akt blieb offenbar nicht so intim, wie Annika D. es angenommen hatte. Henry M., der Mann, mit dem sie hinter der Klotür verschwunden war, soll heimlich und ohne ihr Einverständnis von ihr Aufnahmen gemacht und diese dann herumgezeigt haben. Deshalb steht der 23-Jährige jetzt vor dem Amtsgericht.
„Es waren sehr persönliche Bilder“
Dass er mit seiner Kommilitonin auf der Universitätstoilette Sex hatte, räumt der Angeklagte unumwunden ein. „Der Geschlechtsverkehr war einvernehmlich“, betont Henry M., ein athletischer Mann mit Ohrring und sonorer Stimme. „Es ist aber nicht richtig, dass ich dabei gefilmt und die Bilder dann herumgezeigt habe.“ Dagegen spreche auch, dass sein Smartphone einige Monate später von der Polizei sichergestellt und ausgewertet wurde. „Und darauf waren keine Aufnahmen von Annika.“ Ob es vielleicht früher Bilder gab, die er mittlerweile gelöscht haben könnte, dazu hat die Auswertung seines Handys nichts ergeben.
Eine befreundete Kommilitone war es, der Annika D. erzählte, Henry M. habe sie ohne ihr Wissen gefilmt. „Es waren sehr persönliche Bilder“, sagt die junge Frau, die ihre blonden Haare mit dem breiten Stirnband zusammenhält, und setzt sich noch aufrechter hin, die Hände im Schoß gefaltet. „Henry hat die Aufnahmen offenbar stolz den anderen präsentiert.“ Sie habe den 23-Jährigen einige Wochen lang gekannt, bevor sie mit ihm intim wurde. Und seitdem sei das Verhältnis eher frostig.
Mit einem mulmigen Gefühl zur Uni
Doch es dauerte eine ganze Weile, bis sich Annika D. dazu durchrang, wegen der Fotos schließlich einen offiziellen Weg zu beschreiten. Erst wandte sich die Studentin an die Schulleitung und schließlich an die Polizei. Direkt angesprochen hat sie ihren Kommilitonen auf die Vorwürfe nicht, weil ihr Freund Max W. davor gewarnt habe. „Er meinte, das ende nicht gut, wenn ich Henry unmittelbar kontaktiere“, sagt die Zeugin. „Und ich wollte auch eine gewisse Distanz bewahren.“ Bei der Polizei hatte Annika D. seinerzeit ausgesagt, Henry M. habe sie über längere Zeit bedrängt und auch mal bis zur Bushaltestelle verfolgt. „Das war echt nervig.“
Zum Schluss sei sie nur noch mit einem „mulmigen Gefühl zur Uni gegangen“, ergänzt die 21-Jährige jetzt. Denn Henry M. habe sie „immer mit Whats-App zugeschüttet. Aber irgendwann habe ich nachgegeben und auch ein Treffen mit ihm vereinbart. Es war klar, dass das auf Sex hinausläuft“, meint die Studentin. Während des Aktes habe sie registriert, dass der Mann ein Smartphone in der Hand gehalten habe. „Ich dachte, dass er damit eine WhatsApp schreibt oder so.“ Bei der Polizei allerdings hatte sie ein Handy nie erwähnt. Jetzt habe sie sich auf ihre Aussage „vorbereitet“, erklärt die Zeugin die Unterschiede ihrer Schilderungen. „Ich bin noch mal in mich gegangen.“
Dass jemand sich während des Aktes die Zeit nehme, Textnachrichten zu verfassen, findet die Richterin „eher ungewöhnlich“. Ebenso dass Annika D. keine Erinnerung an eine spezielle Nachricht hat, die von ihrem Handy an das von Henry geschickt wurde: „Ich will mir dir schlafen“, steht da, begleitet von einem Emoji mit lächelndem Gesicht. „Ich würde mich“, sagt die Vorsitzende, „schon daran erinnern, wenn ich jemandem so etwas schreiben würde.“
Es reichte nicht für eine Verurteilung
Von etwaigen Lustbekundungen weiß Zeuge Max A. nichts. Aber Fotos, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig ließen, habe er gesehen. Bei einem Essen in größerer Rund habe Henry M. „mit seinen Eroberungen geprahlt“, erzählt der 21-Jährige. Sein Kommilitone habe auch gesagt, dass „er gern mal Bilder macht“. Er habe Annika an ihrer Frisur erkannt. Damals habe sie noch schwarze Haare gehabt, sagt er über die Blondine. Allerdings erinnert er sich an eine Szenerie, die offenbar in einem halb dunklen Raum auf einem Bett stattfand – und mitnichten auf einer Toilette. Auch ein anderer Zeuge sah Fotos, die ebenfalls in einem Schlafzimmer aufgenommen wurden. „Henry zeigte sie mir. Aber ich habe schnell weggeschaut.“
Wie auch von der Staatsanwaltschaft beantragt, spricht die Richterin schließlich Henry M. frei. Es habe insbesondere in der Aussage von Annika D. zu viele Widersprüche gegeben, begründet die Vorsitzende ihr Urteil. Und die Erinnerungen der Zeugen an Bilder von einem Geschlechtsakt im Bett passen nicht zu einem Szenarium in einer gekachelten Uni-Toilette. Das reiche nicht für eine Verurteilung. „Ich habe aber meine Zweifel, ob da nicht doch was war“, sagt die Richterin an den Angeklagten gewandt. Wenn der 23-Jährige doch Bilder heimlich gefertigt und später herumgezeigt haben sollte, „dann ist das nicht nur strafbar, sondern auch hochgradig unsozial. Das möchte ich Ihnen für die Zukunft mitgeben.“