Hamburg. Beim Geschäftemachen ist Laisser-faire keine gute Strategie. Denn so wurde ein Hamburger zu einem mutmaßlichen Betrüger.

Seinen fülligen Körper hat er entspannt vorgebeugt und das Kinn lässig in eine Hand gestützt. So wie Gino N. (Name geändert) dasitzt, würde er gut an den Tresen einer Kneipe passen. Vielleicht gehört diese Gelassenheit zum üblichen Gebaren des 34-Jährigen, nach dem Motto: Mal schauen, was passiert. Doch beim Geschäftemachen ist Laisser-faire keine gute Strategie, hat der 34-Jährige erfahren müssen. Denn so wurde der Hamburger zu einem mutmaßlichen gewerbsmäßigen Betrüger.

Das ist es zumindest, was die Staatsanwaltschaft Gino N. vorwirft, weil er sich Anfang vergangenen Jahres innerhalb einer Woche in einem Laden drei Goldketten habe aushändigen lassen. Dabei habe er jeweils vorgegeben, den Schmuck bezahlen zu wollen, obwohl er wegen einer Insolvenz wusste, dass er blank war, heißt es in der Anklage. Bei der zweiten Tat hatte er demnach behauptet, die Rechnung für die erste Kette bereits überwiesen zu haben. Insgesamt entstand dem Schmuckhändler laut Ermittlungen ein Schaden von beinahe 8700 Euro.

Weit verzweigte Familie

Tatsächlich war er derjenige, der die Ketten erhalten hat, räumt der Mann, der seinen Lebensunterhalt als Musiker bestreitet, ein. Er habe sich mit dem Verkauf von Geschmeide etwas dazuverdienen wollen und sei seit Jahren Stammkunde bei dem Schmuckhändler. „Ich hatte vorher immer alles korrekt bezahlt, meist in bar“, betont Gino N. Die Bestellungen vom Januar seien Auftragsarbeiten gewesen. Die Panzerketten, die er sich bei dem Händler abholte, waren quasi Meterware. „In der gewünschten Länge wird ein Stück abgeschnitten.“ Ein Kunde habe bei ihm erst eine Kette bestellt. „Ich habe die dann schön gemacht, mit einem Schloss versehen und so.

Der Schmuck hat ihm so gut gefallen, dass er erst eine weitere identische Kette für seine Frau bestellt hat und schließlich eine dritte für seine Tochter.“ Er sei „immer davon ausgegangen, dass mein Kunde bezahlt. Genau so, wie auch ich immer mein Wort halten will“, argumentiert der Angeklagte. Doch dieser Kunde habe ihn immer wieder vertröstet. Wer denn dieser Mann ist, dürfe er nicht verraten, bleibt Gino N. verschlossen. Den Namen des Mannes aus seiner weit verzweigten Familie schützt er fast wie ein Heiligtum. Wenn er den Verwandten benennt, wäre das ein Verstoß gegen die Familienbande und brächte ihm erhebliche Konsequenzen. Es klingt wie eine schlimme Sünde.

„Vertrauen ist in unserer Branche wichtig“

Die Chefin des geschädigten Schmuckhändlers schildert als Zeugin, dass Gino N. tatsächlich über längere Zeit immer wieder bei ihnen einkaufte, vor allem Werkzeug. Die Rechnung für die erste Kette habe er per Rechnung begleichen wollen. Und als der 34-Jährige wenige Tage später wegen eines zweiten Schmuckstücks wiederkam, habe er versichert, das Geld sei schon überwiesen. „Und die dritte Kette hat ihm ein Mitarbeiter verkauft. Ich persönlich hätte das nicht mehr zugelassen“, betont die 38-Jährige. „Das Geld für die erste Kette hätte da sein müssen. Vertrauen ist in unserer Branche ganz wichtig.“ Nachdem auch Zahlungserinnerungen ohne Reaktion blieben, machte sie einen Check, ob der Laden, von dem Gino N. erzählt hatte, wirklich existiert. Auf den ersten Blick schien alles seine Ordnung zu haben. Doch der Kompagnon machte ihnen wenig Hoffnung, dass sie den 34-Jährigen erreichen würden. „Der sagte, dass sein Geschäftspartner schon wochenlang nicht mehr da war. Es sah so aus, als ob er verschwunden ist. Dann gingen wir zur Polizei.“

Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall.
Abendblatt-Gerichtsreporterin Bettina Mittelacher schreibt jede Woche über einen außergewöhnlichen Fall. ©

Tatsächlich hatte Gino N. kurzfristig eine neue Bleibe bezogen – allerdings höchst unfreiwillig. Die Staatsanwaltschaft schickte ihm eine Ladung zum Haftantritt. Seit etwa einem Jahr verbüßt der Mann eine fünfjährige Gefängnisstrafe wegen Steuerhinterziehung. Er habe mit seinen Schulden bei dem Schmuckhändler noch alles in Ordnung bringen wollen, versichert Gino N. Aber die Organisation von offiziellen Geldgeschäften aus der Zelle heraus gestalte sich „etwas schwierig“, bedauert der Angeklagte und zieht seine Stirn in Sorgenfalten. „Ich möchte aber definitiv allen Schaden ausgleichen.“ Der Musikverlag, für den er tätig ist, werde ihm dabei helfen.

Missliche Lage

Für ihren Mandanten spreche außerdem, argumentiert die Verteidigerin von Gino N., dass die Schmuckhändler, die schließlich Betrugsanzeige stellten, wenig professionell vorgegangen seien, als sie auch beim dritten Mal noch eine Kette herausgaben. Und ihr Mandant sei durch seine Verpflichtungen gegenüber seinem Verwandten in einer wirklich misslichen Lage gewesen. Schließlich wird das Verfahren mit Zustimmung aller Beteiligten eingestellt mit der Auflage, dass der Angeklagte die knapp 8700 Euro zahlen muss, die dann an den geschädigten Schmuckhändler fließen sollen. Gino N. ist mit einem blauen Auge davongekommen. Doch große Sprünge kann er vorerst trotzdem nicht machen. Seine Wohnanschrift bleibt bis auf Weiteres: der Knast.