Hamburg. Frank W. ist ein Schwerkrimineller, der das Leben zweier Menschen ausgelöscht hat und dafür wegen Mordes verurteilt wurde.
Eigentlich, sagt der Mann, der fast seit ganzes Erwachsenenleben im Gefängnis verbracht hat, habe er schon lange keine Illusionen mehr. „Ich werde nur enttäuscht“, meint Frank W. mit müder Stimme. Doch jetzt, erzählt er, habe er doch ein wenig Hoffnung. „Gelockerte Ausführung und dann den geregelten Gang, bevor ich sterbe.“ Also könnte er eines Tages tatsächlich in Freiheit kommen. Es wäre eine dramatische Wende für den 58-Jährigen. Denn seit mehr als 35 Jahren sitzt er hinter Gittern und hält damit einen Rekord von zweifelhaftem Renommee: Er ist der Häftling mit der aktuell längsten Zeit in einem Hamburger Knast.
Frank W. ist ein Schwerkrimineller, der innerhalb weniger Jahre das Leben zweier Menschen ausgelöscht hat und dafür zweimal wegen Mordes verurteilt wurde. Eines der Verbrechen verübte er in der schwer gesicherten und bundesweit bekannten Haftanstalt „Santa Fu“, wo er zusammen mit einem Komplizen einen Mitgefangenen auf äußerst brutale Weise tötete. Im Vergleich dazu nimmt sich der Vorwurf, der Frank W. nun als Angeklagten vor das Amtsgericht gebracht hat, nicht gerade als schwerwiegend aus. Der 58-Jährige steht im Verdacht, im Jahr 2015 einen anderen Häftling dazu angestiftet zu haben, einem Mitgefangenen Subutex in den Kaffee zu mischen, ein Schmerzmittel aus der Gruppe der Opioide.
Das Opfer, heißt es in der Anklage, habe sich danach matt und müde gefühlt. Matt und müde: Es sind zwei Attribute, die offenbar jedenfalls auf Frank W. zutreffen. Ausgelaugt wirkt der Häftling, dem sich die Jahre scharf ins Gesicht eingegraben haben. Tiefe Falten, den ihm noch verbliebenen Haarkranz millimeterkurz rasiert, kreidebleicher Teint, so sitzt der Mann da, die Hände verschränkt, den Kopf starr geradeaus gerichtet. Von dem kraftvollen, drahtigen Hünen, der vor gut 24 Jahren im Mordprozess sein Temperament nur mühsam zu beherrschen vermochte, ist er meilenweit entfernt.
Einen der Morde bestreitet er bis heute
Damals erhielt Frank W. eine lebenslange Freiheitsstrafe, weil er mit einem Mitgefangenen einen weiteren Häftling in dessen Zelle getötet hatte, um Geld und Schmuck zu rauben. In der Rechtsmedizin wurden damals gleich drei Todesursachen festgestellt: Das Opfer wurde erdrosselt, mit einem spitzen Gegenstand erstochen und durch etliche Schläge mit einer Bettstrebe auf den Kopf erschlagen. Anschließend hatten die Täter eine Decke über den Toten drapiert, um es so aussehen zu lassen, als schliefe der 51-Jährige. Ihre blutgetränkte Kleidung hatten die Verbrecher über die Toilette wegzuspülen versucht. Erst viele Stunden später wurde der Mord bemerkt. Für diese Tat sei er damals zu Recht verurteilt worden, erzählt Frank W. jetzt.
Einen weiteren Mord, für den er im Jahr 1984 „lebenslänglich“ bekommen hat, habe er aber nicht begangen, behauptet er. Den habe ihm die Stasi angehängt. Damals wurde der gelernte Schäfer verurteilt, weil er nach Überzeugung des Gerichts im Alter von 22 Jahren in der damaligen DDR einen Mann erwürgt und ihm 24.800 Ost-Mark geraubt hat. Nach der Tat war Frank W. über die innerdeutsche Grenze geflohen und dabei von den Selbstschussanlagen schwer verletzt worden. Nach einem juristischen Tauziehen zwischen Hamburger Gerichten und den Institutionen der DDR wurde er schließlich in der Hansestadt verurteilt. Das sei ja „ein Stück Zeitgeschichte“, sagt der Amtsrichter.
Die Anklage fällt schnell in sich zusammen
Demgegenüber könnte der aktuelle Fall unter der Überschrift „Interna aus dem Knast“ firmieren. Das mutmaßliche Subutex-Opfer Otto F., der selber unter anderem wegen schweren Raubes und Vergewaltigung seit vielen Jahren hinter Gittern ist, erfuhr nur vom Hörensagen, dass Frank W. der Auftraggeber für die Attacke auf ihn gewesen sei. Zwei andere Häftlinge hätten den 58-Jährigen angeschwärzt, und gerade diese könnten unter anderem wegen Geldschulden ein Interesse daran haben, Frank W. das Leben hinter Gittern möglichst schwer zu machen, sagt der Zeuge. „Er ist seit 35 Jahren in Santa Fu und offenbar das Opfer einer Intrige.“
Ob der Angeklagte Frank W. dazu etwas sagen wolle, fragt der Vorsitzende. Etwa in dem Tenor, dass er das korrekt finde, dass ein Mitgefangener ihn als Zeuge entlastet? „Nö, das ist nicht meine Art“, winkt der Rekordhäftling ab. Ihm komme es vor allem darauf an, seine Ruhe zu haben. In seinem Beruf als Schäfer habe er seit Jahrzehnten nicht arbeiten können. „Im Knast hat da natürlich nichts gepasst“, sagt Frank W. trocken. Und über Santa Fu könne er „nichts Positives sagen“. Es sei dort „anstrengend. Man ist den Mitgefangenen auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.“ Es handele sich oft um „Hottentotten-Kram“. Die aktuellen Vorwürfe hätten ihn „über Jahre belastet“.
Auch ein Justizbeamter bestätigt, dass einer der damaligen Belastungszeugen einen zweifelhaften Ruf habe. Auf dessen Aussage würde er nichts geben. Und ein weiterer Häftling will gar nicht erst als Zeuge vernommen werden. „Weil ich mich sonst selbst belasten könnte.“ Also beantragt auch der Staatsanwalt einen Freispruch für Frank W. „Es gibt mannigfaltige Gründe, warum die Zeugen den Angeklagten falsch bezichtigt haben könnten.“ Entsprechend lautet auch das Urteil. Die Staatsanwaltschaft habe Druck gemacht, dass das Verfahren endlich verhandelt werde, sagt der Vorsitzende – damit Frank W. im Fall eines Freispruchs in vorsichtigen Schritten auf den offenen Vollzug vorbereitet werden könne. „Das ist nett“, nickt der Rekordhäftling. „Ich habe mich ja auch immer positiv gezeigt.“ Aus dem Mund eines Mannes, der wegen zweifachen Mordes sitzt, klingt dieser Satz gewöhnungsbedürftig.