Hamburg. Er ist als Hafenkapitän zugleich Festspielleiter bei Hamburgs größtem Geburtstag, der zum 830. Mal gefeiert wird.
Meistens versieht Jörg Pollmann seinen Dienst im Hintergrund. Der Hafenkapitän und Leiter des Oberhafenamtes ist für die Koordinierung des gesamten Schiffsverkehrs im Hamburger Hafen verantwortlich. Das macht er nicht von einer Schiffsbrücke aus, sondern von der Nautischen Zentrale oder seinem Büro in der Hafenbehörde (HPA). Aber einmal im Jahr ist alles anders – nämlich dann, wenn der Hafen Geburtstag feiert. Dann wird Pollmann zum Medienstar. Der 60-Jährige steht an diesen Tagen in seiner besten Uniform auf den Landungsbrücken, um sich herum Dutzende Kameras und Mikrofone, und erklärt in aller Geduld, was gerade auf dem Wasser hinter ihm geschieht.
Er ist in dem Moment nicht nur oberster Verkehrslenker im Hafen, sondern zugleich Festspielleiter und Moderator des bunten Treibens. Nicht zuletzt muss er auch noch sehr vielen Besuchern die Hände schütteln. „Wir wollen ja auch gute Gastgeber sein“, sagt er.
Hafenkapitän ist er seit 1994
Wir treffen Pollmann zwischen zwei Terminen wenige Tage vor Beginn der Feierlichkeiten in seiner Dienststelle am Neuen Wandrahm. Der Hafenkapitän wirkt entspannt, obgleich er mitten in den Vorbereitungen steckt und frühmorgens noch eine zusätzliche Krise meistern musste. „Um 6 Uhr hat ein Frachter einen Fender an der neuen Rethebrücke gerammt. Die Brücke ist heil, dem Schiff haben wir erst einmal ein Auslaufverbot erteilt“, sagt Pollmann und kommt zur üblichen Begrüßungsfloskel. „Kaffee gefällig?“ – Moment mal, er ist doch Ostfriese, warum trinkt er dann Kaffee? „Weil die hier alle keinen guten Tee kochen können“, sagt er. Den trinke er nur zu Hause. In Ruhe. Mit kalkarmem Wasser und einem Klacks Sahne.
Pollmann stammt aus Westrhauderfehn im Landkreis Leer. Heute wohnt er mit seiner Frau in Jork im Alten Land. Dort hatte er ein Haus gebaut, als er sesshaft werden wollte. Hafenkapitän ist er seit 1994. „Das ist also mein 26. Hafengeburtstag, den wir dieses Jahr feiern, das wird zur Routine. Am Anfang haben wir vieles improvisiert. Da haben wir stundenlang über Dinge diskutiert, die wir heute in 30 Sekunden entscheiden.“ Pollmann ist auch so etwas wie der Erfinder der wiederkehrenden Ein- und Auslaufparade zum Hafengeburtstag.
Gewisse Anspannung
Eine gewisse Anspannung verspüre er vor den Festlichkeiten immer noch. „Alles andere wäre nicht normal“, sagt er. Zum Hafengeburtstag kommen jährlich immerhin mehr als eine Million Besucher. Da wird nichts dem Zufall überlassen – auch zu Hause nicht. Pollmanns Frau weiß, dass er in diesen Tagen viele weiße Hemden zum Wechseln braucht. Ansonsten verlässt er sich aufs Drehbuch. Alles ist genau geplant und wird minutiös eingehalten.
„Denn der normale Hafenbetrieb geht ja weiter“, sagt Pollmann. „Wenn wir die Elbe beispielsweise von 13 Uhr bis 13.30 Uhr für eine Darbietung sperren, dann müssen sich die Kapitäne der ein- und auslaufenden Schiffe darauf verlassen können, dass danach der Weg frei ist.“ Im Grunde beginnen die Planungen für einen Hafengeburtstag immer schon bei der Feier des Vorjahres. „Da schauen wir bei den Abläufen, was funktioniert und was geändert werden muss.“
Digitalisierung hat vieles erleichtert
Während Pollmann erzählt und sich zwischenzeitlich die dritte Tasse Kaffee einschenkt, wirft er immer mal wieder einen Blick auf eine große elektronische Anzeige, die in seinem Büro hängt. Sie zeigt die Karte des gesamten Hafens und wird von der Nautischen Zentrale mit Daten in Echtzeit beliefert über alles, was passiert: Schiffsbewegungen, Windverhältnisse, Wassertiefen, Strömungsverhalten, ja sogar den Zustand der einzelnen Terminals kann Pollmann von seinem Schreibtisch aus per Mausklick aufrufen.
Auch individuelle Daten aller Schiffe im Hafen laufen bei ihm auf, von den Abmessungen und der Motorisierung bis hin zur Information, ob Gefahrgut an Bord ist. „Ich kenne keinen anderen Hafen, der so ein gutes Überwachungssystem besitzt. Die Digitalisierung hat uns vieles erleichtert.“ Sogar auf sein Smartphone kann sich der Hafenkapitän die Karte überspielen lassen. „Wenn etwas passiert, muss ich mir die Situation nicht erst schildern lassen. Ich kann sie auf meinem Bildschirm ablesen – wo immer ich gerade bin.“
Mit 25 hatte er schon sein Kapitänspatent
Auch das gehört zu Pollmanns Job: Hafenkapitän ist er 24 Stunden am Tag, an 365 Tagen im Jahr. So klingelt auch mal nachts bei ihm das Telefon. Am Apparat ist dann die Nautische Zentrale, die ihren Chef über besondere Ereignisse informiert, etwa unvorhergesehene Schiffsmanöver oder Unfälle. Die Entscheidung, wie es dann weitergeht, trifft Pollmann. Der Hafenkapitän hat das letzte Wort.
Manchem könnte der Druck zur Last werden. Ihm nicht. „Ich bin nicht der große Zampano, der meint, er müsse immer und überall alles regeln. Dann hätte ich schon vor Jahren einen Schlaganfall und einen Herzkasper erlebt.“ So etwas habe auch wenig mit guter Mitarbeiterführung zu tun. „Man muss seinen Mitarbeitern vertrauen können und nur mit ihnen genau abstimmen, in welchem Fall sie mich anrufen müssen.“
Wenn nachts das Telefon klingelt, was gar nicht so selten passiert, ist Pollmann auch nicht aufgeregt, obwohl er weiß, dass etwas Außergewöhnliches passiert ist. „Ich bin dann eher neugierig.“ Meist lasse sich das Problem am Telefon klären. „Dann gehe ich wieder ins Bett und schlafe sofort ein, noch vor meiner Frau.“
Gelassenheit in herausfordernden Situationen
Diese Gelassenheit – fast schon Kaltblütigkeit – in herausfordernden Situationen hat Pollmann weit gebracht. Mit 23 Jahren begann er zur See zu fahren, mit 25 hatte er bereits sein Kapitänspatent, und im Alter von 26 Jahren war er wohl jüngster Erster Offizier auf einem Frachtschiff.
Dabei sollte er eigentlich gar nicht aufs Meer, obgleich er einer Sippschaft von „Strandräubern und Seefahrern“, entstammt, wie er sagt. „Alles was nicht farbenblind war, fuhr bei uns zur See. Ich habe sogar einen Onkel, der ist farbenblind. Der wurde dann Maschinist.“ Als jüngstes von fünf Kindern sollte Jörg einen anderen Weg gehen. „Du machst jetzt Abitur, und dann studierst du oder absolvierst eine Banklehre“, hatte seine Mutter gesagt. „Da war mein großer Bruder schon Lotse und meine Schwester mit einem Lotsen verheiratet.“
Manager bei der Stauerei Gerd Buss
Auch der Vater seiner damaligen Freundin und heutigen Ehefrau wollte Pollmann an Land halten. Dieser war Landwirt mit einem großen Hof, auf dem Pollmann ab und zu aushalf. „Die Arbeit machte mir auch Spaß. Als ich aber feststellte, dass er mich als seinen Nachfolger aufbauen wollte, habe ich ihm klar gesagt, dass ich zur See fahren werde.“
Erst 1987 kehrte er zurück an Land. Damals war seine Frau schwanger. Pollmann wollte nach Hamburg. Er wurde Manager bei der Stauerei Gerd Buss im Hafen. Seine Frau war mit dem Wechsel einverstanden. „Unter der Bedingung, dass wir nicht mitten in der Stadt leben.“ So kamen sie nach Jork.
Die nächste Besprechung wartet
Vieles hier erinnert Pollmann an seine friesische Heimat. Mit seinen Nachbarn unterhält er sich wie mit seiner Schwiegermutter auf Platt. Selbst wenn er Hochdeutsch spricht, kann er seine friesische Herkunft mit seinem rollenden „R“ nur schwer verbergen. „Meine Frau sagt, ich kokettiere damit. Das stimmt nicht, ich gehe aber auch nicht dagegen an.“ Die drei Kinder sind inzwischen aus dem Haus. Sonntags geht der Hafenkapitän mit seinem Hund spazieren. Zudem kümmert er sich in seiner spärlichen Freizeit gern um seine drei Enkelkinder. Nach Feierabend gönnt sich der passionierte Whisky-Trinker ein Glas Single Malt aus seiner derzeit 15 Sorten umfassenden Sammlung.
Noch zwei, drei Klicks durch die virtuelle Hafenkarte, noch eine Tasse Kaffee (die vierte!), dann muss der Hafenkapitän wieder los. Die nächste Besprechung für das Hafenfest wartet. Und danach ist irgendein Fernsehteam dran, das ihn gern interviewen möchte. Aber dafür muss er sich nicht vorbereiten. „Komischerweise habe ich mehr Hemmungen, vor einem Saal mit 100 Zuhörern zu sprechen als vor Fernsehkameras“, sagt Pollmann. In einfachen verständlichen Sätzen erklärt er das Schlepperballett. „Das ist Faszination pur!“ Pollmann möchte halt viele Menschen anstecken mit seiner Begeisterung für den Hafengeburtstag.
Nächste Woche: Detlef Garbe, Direktor der KZ-Gedenkstätte Neuengamme