Hamburg. Die Grünen konnten zuletzt in Umfragen deutlich zulegen, die SPD schwächelt. In Altona, Eimsbüttel und Nord dürfte es spannend werden.
Die Koalitionäre von SPD und Grünen im Rathaus könnten sich in Gelassenheit üben und einfach weiterregieren. Zehn Monate vor der Bürgerschaftswahl käme Rot-Grün laut allen Umfragen auf eine satte Mehrheit der Stimmen, wenn am Sonntag Wahl wäre. Ein Klima des Wechsels ist seit Jahren nicht auszumachen. Die Lage ist für das Bündnis, demoskopisch gesehen, ausgesprochen komfortabel.
Die Stimmung zwischen SPD und Grünen spiegelt das nicht wider. Im Gegenteil: Bei aller Sacharbeit, die nach wie vor von Senat und Regierungsfraktionen abgeliefert wird, kommt es immer wieder zu krisenhaften Zuspitzungen, deren Anlässe bisweilen fast banal sind, aber vor allem eines zeigen: eine immense Nervosität im Regierungslager. Die Erklärung ist einfach: SPD und Grüne regieren zwar seit 2015 zusammen, aber seit einigen Monaten belauern sie sich zunehmend. Nicht nur bundesweit, auch in Hamburg konnten die Grünen in Umfragen kräftig zulegen, während die SPD schwächelt, wenngleich in Hamburg auf weiterhin relativ hohem Niveau.
Dennoch trennen die beiden Parteien nur ein paar Prozentpunkte, da stellt sich schon einmal die Frage, wer Koch und wer Kellner sein wird, um eine Formel von Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) mit Blick auf die Rollenverteilung in der ersten rot-grünen Bundesregierung aufzugreifen.
In den Bezirken sind reale Machtverschiebungen möglich
Nun sind das alles vorerst virtuelle Debatten, aber wenn in drei Wochen die Wahlen zu den Bezirksversammlungen und zum Europäischen Parlament stattfinden, schlägt die erste Stunde der Wahrheit. Selten waren vor allem die Bezirkswahlen derart im Blickpunkt der Rathauspolitiker. Anders als bei der Europawahl kann es in den Bezirken zu realen Machtverschiebungen kommen, deren Auswirkungen schnell das rot-grüne Bündnis auf Landesebene erreichen können.
In drei Bezirken dürfte es besonders spannend werden: Altona, Eimsbüttel und Hamburg-Nord. Nicht ganz zufällig haben die Grünen hier 2014 ihre besten Ergebnisse erzielt: 23,1 Prozent in Eimsbüttel, 22,1 Prozent in Altona und 21,1 Prozent in Nord. Die SPD erreichte Anteile zwischen 30 und 33 Prozent. Schon vor fünf Jahren also war der Abstand zwischen SPD und Grünen in diesen drei Bezirken nicht sehr groß.
Zum Gesamtbild gehört, dass die SPD bei den Wahlen 2014 mit einem Minus von stadtweit 10,7 Prozentpunkten eine schwere Niederlage eingefahren hat. Die erstmalige Trennung von Bürgerschafts- und Bezirkswahlen und deren Koppelung an die Europawahlen hat sich für die „Bürgermeisterpartei“ SPD nicht ausgezahlt, für die Grünen schon eher. Anders ausgedrückt: Die Wahlbeteiligung ist deutlich um 13 Prozentpunkte gegenüber 2009 gesunken, weil vor allem sozialdemokratische Wähler zu Hause geblieben sind.
In Altona holte die SPD 2014 ihr schwächstes Ergebnis
Für die Sozialdemokraten ist die Lage in Altona am prekärsten. Hier holte die SPD 2014 mit 30 Prozent ihr schwächstes Ergebnis aller sieben Bezirke. Doch viel entscheidender ist, dass sich im Westen der Stadt CDU und Grüne traditionell gut verstehen. Im Altonaer Rathaus wurde das erste schwarz-grüne Bündnis geschmiedet als Testlauf für die Koalition auf Landesebene im Jahr 2008. Und es ist bezeichnend, dass es im Bezirk aktuell keine rot-grüne Koalition gibt, obwohl dies rechnerisch möglich gewesen wäre. „SPD und Grüne haben sich in Altona nicht viel zu sagen“, sagt ein Obergrüner trocken. Wie eine Blaupause für künftige Abstimmungen wirkte es, als CDU und Grüne vor wenigen Wochen einen Antrag für ein autofreies Ottensen durch die Bezirksversammlung brachten, den die SPD zunächst ablehnte – bevor die Fraktion schließlich doch noch geschlossen zustimmte.
Spannend ist der Ausgang der Wahl in Altona nicht zuletzt deswegen, weil bald danach die wichtigste Personalentscheidung auf Bezirksebene ansteht: Die Bezirksversammlung muss eine neue Bezirksamtsleiterin wählen. Die Amtszeit der Sozialdemokratin Liane Melzer endet im September, und auch ihr Stellvertreter Kersten Albers verabschiedet sich demnächst in den Ruhestand. Sollten die Grünen im Bezirk erstmals die Nase vorn haben und zusammen mit der CDU über die Mehrheit der 51 Sitze im Altonaer Rathaus verfügen, dann könnte es den ersten Mann oder die erste Frau mit grünem Parteibuch an der Spitze des Bezirks geben.
Es war Olaf Scholz, der als Bürgermeister und SPD-Landesvorsitzender nach seinem Erdrutschsieg 2011 sehr schnell dafür gesorgt hat, dass die drei Bezirksamtsleiter ohne SPD-Parteibuch durch Sozialdemokraten ersetzt wurden. Ein grüner Bezirksamtsleiter wirkt da wie eine Kampfansage an den Koalitionspartner SPD auf Landesebene.
„In Altona gehen die Uhren anders“, versucht ein führender Sozialdemokrat die Wogen zu glätten. Die Bemerkung schließt ein, dass manche Entscheidungen und Vorschläge der Altonaer Genossen bei den eigenen Parteifreunden für Kopfschütteln sorgen. „Ein grüner Bezirksamtsleiter wäre eine Belastung, aber es wäre angesichts der Altonaer Vorgeschichte auch keine totale Frechheit uns gegenüber“, sagt ein Sozialdemokrat, der nicht aus Altona stammt. „Das wäre in Eimsbüttel ganz anders“, ergänzt der Mann.
Rot-grünes Bündnis „regiert“ seit vielen Jahren Eimsbüttel
Auch in Eimsbüttel, wo die Grünen traditionell stark sind, könnte es zu entscheidenden Verschiebungen im Kräfteverhältnis zwischen SPD und Grünen kommen. Aber im Bezirksamt am Grindel „regiert“ seit vielen Jahren ein rot-grünes Bündnis, das insgesamt als stabil gilt. Es kommt hinzu, dass Bezirksamtsleiter Kay Gätgens (SPD) erst vor zwei Jahren gewählt wurde – mit den Stimmen der Grünen. Eine Abwahl von Gätgens würde das Rathausbündnis fraglos vor eine schwere Belastungsprobe stellen. Aber das gilt als nicht sehr wahrscheinliche Variante, weil die Grünen dann auch inhaltlich begründen müssten, warum sie Gätgens vor zwei Jahren gewählt haben, ihn aber jetzt plötzlich stürzen wollen.
Eng könnte es für die SPD auch in Hamburg-Nord werden.
Aber auch hier ist das rot-grüne Bündnis traditionell verankert und gilt als stabil, obwohl oder gerade weil die Krise im Zuge der Stones-Ticketaffäre für heftige Turbulenzen im Bezirk gesorgt hat. Der Posten des Bezirksamtsleiters ist vakant, seit Harald Rösler (SPD) in den Ruhestand gegangen ist und die designierte Nachfolgerin Yvonne Nische (SPD) ihren Verzicht erklärte, kurz bevor die Staatsanwaltschaft gegen sie Anklage wegen Vorteilsannahme erhob. Nische soll von Rösler zwei Freikarten für das Stones-Konzert angenommen haben. Rösler selbst steht im Zentrum der Ermittlungen. Auch wegen derzeit nicht absehbarer weiterer Enthüllungen und Konsequenzen in der Stones-Affäre ist die politische Situation in Nord sehr offen und unklar.
Klima im rot-grünen Bündnisses könnte sich verschlechtern
In den vier anderen Bezirken dürfte es aus unterschiedlichen Gründen eher unwahrscheinlich sein, dass die Grünen an der SPD vorbeiziehen und/oder sich eine Mehrheit gegen die SPD zusammenfindet. Grundsätzlich ist ohnehin zu bedenken, dass die grünen Kreisverbände eine starke Stellung innerhalb der Landespartei haben. Es ist schwer vorstellbar, dass es eine „Anordnung von oben“ überhaupt geben könnte, und noch weniger, dass sie „unten“ umgesetzt würde. Das gilt für den Fall, dass die Parteispitze die Kraftprobe mit der SPD auf Bezirksebene suchen sollte, wie auch für das Gegenteil.
Der Ausgang der Bezirkswahlen und die politischen Schlussfolgerungen daraus können das Klima innerhalb des rot-grünen Bündnisses dennoch fraglos verschlechtern.
Und: Sollten die Sozialdemokraten auch angesichts des negativen Bundestrends ein für sie enttäuschendes Ergebnis einfahren, dürfte das den Druck auf Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) und SPD-Landeschefin und Sozialsenatorin Melanie Leonhard erheblich erhöhen. Nicht zuletzt viele Bürgerschaftsabgeordnete der SPD würden noch stärker als ohnehin schon um ihre Mandate fürchten. Sollte die SPD achtbar abschneiden und insgesamt die Nummer eins auf Bezirksebene bleiben, würde das dem Führungsduo eine Atempause verschaffen.
Das Hauptaugenmerk liegt auf der Bürgerschaftswahl
Letztlich richtet sich das Augenmerk der Rathauspolitiker jedoch in erster Linie auf die Bürgerschaftswahl. Am 23. Februar 2020 entscheidet sich, wer den Stadtstaat regiert. Die Grünen haben sich in der Strategiedebatte bislang öffentliche Zurückhaltung auferlegt und halten sich auch daran. Selbstverständlich wäre es für die Partei verlockend, nach Baden-Württemberg in Hamburg als zweitem Bundesland einen grünen Ministerpräsidenten zu stellen, in diesem Fall mit Spitzenkandidatin Katharina Fegebank eine Frau. Aber: In zehn Monaten kann der bundesweite Hype um die Grünen längst vorbei und die routinierte Macht- und Wahlkampfmaschine der SPD angesprungen sein. Und die derzeit am Boden liegende CDU kann sich ein Stück weit erholt haben und die Grünen am Ende sogar auf den ungeliebten dritten Platz verweisen.
Bei allem Streit, den es vor allem hinter den Kulissen im rot-grünen Bündnis immer wieder gibt, sind sich beide Seiten offensichtlich der Qualität ihrer Zusammenarbeit insgesamt durchaus bewusst. „Wir arbeiten auf hohem Niveau zusammen. Diese Form der Professionalität ist nicht selbstverständlich“, sagt ein Grüner, der schon länger dabei ist und auch die turbulente Zeit der schwarz-grünen Koalition erlebt hat. Sollte ein Bündnis mit regierungsunerfahrenen Christdemokraten und eventuell Freidemokraten rechnerisch möglich sein, müsse man Chancen und Risiken sorgfältig abwägen.
Und die Sozialdemokraten? Die SPD setzt in Wahrheit auf die Fortsetzung des Bündnisses mit den Grünen – als Juniorpartner. Das ist insofern etwas paradox, weil SPD-Chefin Melanie Leonhard Ende 2018 ausdrücklich darauf verzichtete, eine Koalitionsaussage zugunsten der Grünen zu treffen. Die kalte Schulter der Sozialdemokraten passt zum politischen Spiel dieser Monate, in denen es Roten wie Grünen an Gelassenheit fehlt.