Hamburg. Nach Kursschwenk der CDU gibt es keinen politischen Anwalt passionierter Autofahrer mehr. Wettbewerb um Mobilitätsideen beginnt.
Dass der Senat Ernst macht, wenn es um die Durchsetzung von Alternativen zum privaten Pkw geht, bewies er am Montag. Mit der Anordnung des „Sofortvollzugs“ durchkreuzte die Wirtschafts- und Verkehrsbehörde die Pläne eines klagenden Taxiverbands, den Start des Elektro-Shuttle-Dienstes Moia zu verzögern. Seit Wochenbeginn fahren nun 100 der schwarz-goldenen Sammeltaxis der VW-Tochter durch die Stadt. Sie sind per App buchbar und deutlich günstiger als normale Taxis. Auch beim größten Verkehrsprojekt ging es in der vorösterlichen Woche einen Schritt voran: Die Planung für den ersten Abschnitt der U 5 von Bramfeld bis in die City Nord seien abgeschlossen und bei der Behörde eingereicht, vermeldete die Hochbahn. Schon bald solle das Planfeststellungsverfahren beginnen.
Nichts dringlicher als Modernisierung der Mobilitätsangebote
Die Aufmerksamkeit war dem Senat in beiden Punkten sicher. Denn spätestens seit jüngeren Umfragen ist klar, dass kein Thema die Hamburger so umtreibt wie die Verkehrspolitik. Nichts nervt mehr Menschen als verspätete Busse, überfüllte Bahnen, der überlaufene Hauptbahnhof, marode Fuß- oder Radwege und Dauerstaus. Längst hat die Verkehrspolitik die Wohnkosten als Topthema abgelöst. Nichts scheint dringlicher als eine Modernisierung der Mobilitätsangebote – auch zur Verringerung der Luft- und Lärmbelastung. Auch wegen der bevorstehenden Wahlen überschlagen sich die Parteien nun beim Präsentieren ihrer Ideen für die Mobilität der Zukunft. Eine Tatsache springt dabei ins Auge: Den Anwalt des guten alten Privat-Pkw will mittlerweile keine Partei mehr geben – auch die CDU nicht.
Die hatte zwar bisher stets laut über Staus und Baustellenchaos geschimpft und dem Senat vorgeworfen, er schikaniere Autofahrer. Spätestens seit der Nominierung des Grün-Schwarz-Freundes Marcus Weinberg zum Spitzenkandidaten aber hat die CDU eine radikale Wende vollzogen. „Nur wer die Zunahme der Verkehre und die veränderten Mobilitätsanforderungen ökonomisch klug und ökologisch sauber meistert, kann das lebenswerte Hamburg erhalten“, sagte Weinberg jetzt dem Abendblatt. Das hört sich nicht nach breiteren Autostraßen und mehr Parkplätzen für immer mehr und immer größere Privatwagen an.
Weinberg will Anteil des ÖPNV erhöhen
Im Gegenteil. „Kurz- und mittelfristig brauchen wir verstärkt Maßnahmen, die breit wirkende Anreize zum Umsteigen auf die Bereiche des Umweltverbunds (Bus, Bahn, Fahrrad, Sharing) schaffen“, so Weinberg. Ziel müsse es sein, den Anteil des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) bis 2030 auf mehr als 35 Prozent zu heben. Zuletzt lag dieser Anteil bei 22 Prozent. Hamburg müsse „die deutsche Modellregion“ für die Mobilität der Zukunft werden, fordert Weinberg. Für den „langwierigen Prozess der Mobilitätswende“ brauche es eine fundierte fachliche Begleitung, glaubt der CDU-Spitzenkandidat. Deswegen schlägt er die Einrichtung eines „Rates der Mobilitätsentwicklung“ oder einer gemeinsamen Enquetekommission für das Thema vor.
Dass die CDU es mit ihrer Abkehr vom Auto ernst meint, hat sie nicht nur kürzlich mit ihrem Antrag für ein teilweise autofreies Ottensen gezeigt – sondern auch mit der Ankündigung, Haushalten, die ihre(n) Pkw abmelden, für zwei Jahre ein günstiges HVV-Jahresticket für 365 Euro zu finanzieren. Vorbild dabei ist Wien, wo es das 365-Euro-Ticket für alle gibt, der ÖPNV also für die Einwohner nur einen Euro pro Tag kostet.
Autoverkehr spielt nur noch eine Nebenrolle
Auch in der SPD ist der private Autoverkehr in der Mobilitätspolitik mittlerweile eher eine Randnotiz. „Ziel unserer Verkehrspolitik ist eine gute Mobilität für alle“, heißt es zwar zu Beginn des Leitantrags „Mobil & bezahlbar – die Verkehrswende für Hamburg“, den ein Parteitag Ende März 2019 einstimmig verabschiedete. Dann aber sofort: „Das Hauptaugenmerk unserer Politik liegt auf der Förderung des Umweltverbunds, das sind Busse und Bahnen, Radfahrer und Fußgänger.“ Vom Autoverkehr ist in dem ganzen Antrag nicht mehr die Rede. Stattdessen versprechen die Sozialdemokraten den Ausbau von Bahnstrecken und einen „Hamburg-Takt“, nach dem ab 2029 an jedem Ort der Stadt binnen fünf Minuten ein adäquates Mobilitätsangebot erreichbar oder zu ordern ist: sei es Bus, Bahn oder Shuttle-Service.
Dabei scheint die hier und da noch einmal angestoßene Debatte, ob man statt der geplanten U 5 nicht doch lieber eine Stadtbahn bauen sollte, nicht mehr ernsthaft aufgenommen zu werden. Das hat vor allem einen Grund: Hochbahn, SPD, CDU oder Grüne wollen langfristig beides: die U 5 und eine Stadtbahn. Das Verkehrsaufkommen habe so stark zugenommen, dass eine Stadtbahn allein es gar nicht aufnehmen könne, heißt es.
Gerungen wird beim U-Bahn-Bau nur noch um die für den Erhalt von Bundesmitteln entscheidende Kosten-Nutzen-Rechnung und um Details, etwa die Frage, ob die U 5 im Westen über den Siemersplatz fährt (wie es SPD-Bürgermeister Peter Tschentscher kurz nach Amtsantritt versprach) oder schon Höhe Gärtnerstraße gen Stellingen abbiegt. Das wäre günstiger und schneller – und erhöht damit die Chancen auf die Bundeszuschüsse. Falls man sich dafür entscheidet, komme aber eine zusätzliche Stichlösung zum Siemersplatz infrage, heißt es nun – und davor eine direkte Anbindung des UKE. Fehlende Querverbindungen in der Stadt könnten künftig von einer Stadtbahn hergestellt werden.
Pkw stehen 23 Stunden pro Tag herum und kosten Platz
„Die Stadtbahn bleibt in unserem Instrumentenkasten“, betont Grünen-Verkehrspolitiker Martin Bill. Zwar sehen die Grünen noch eine Berechtigung für Pkw, aber fast nur noch in den Außenbereichen. „Unser Ziel ist es, die Zahl der Autos in der Innenstadt weiter zu verringern“, so Bill. Pkw stünden im Schnitt 23 Stunden und acht Minuten pro Tag nutzlos herum. Sie seien mehr „Stehzeuge“ als Fahrzeuge. „Es ist nicht einzusehen, dass sie Unmengen an städtischem Platz verbrauchen, den man anders nutzen könnte.“ Daher sollen laut Grünen innerhalb des Rings 2 und in dicht besiedelten Gebieten wie Ottensen ÖPNV, Fahrrad oder Zufußgehen Priorität bekommen – was zu weiterer Verknappung und Verteuerung von Parkplätzen zugunsten breiter Fußwege und neuer Begrünung führen dürfte. Auch Quartiersgaragen seien keine Lösung, denn es fänden sich keine Investoren dafür – weil niemand mehr wisse, ob es in 20 Jahren noch viele Privatwagen und damit Nachfrage nach Parkraum gebe. Langfristig sollen Shuttle-Angebote wie Moia in den HVV integriert werden, wenn es nach den Grünen geht. Auch beim Ausbau des Radverkehrs bleibt viel zu tun – wie das schwache Abschneiden Hamburgs bei der jüngsten ADFC-Umfrage gezeigt hat.
FDP-Fraktionschef Michael Kruse will „die Verkehrsträger nicht gegeneinander ausspielen“ – und fordert „Plattformlösungen“, für die App-Anbieter Zugang zu Ampeldaten bekommen sollen. Auch „moderne Verkehrsträger wie E-Scooter“ will die FDP in diese Plattformen einbauen und Sharing-Systeme in den HVV integrieren. Aus der Verkehrsbehörde heißt es derweil, der Verkehr der Zukunft solle „einfach, sicher, zuverlässig, leise und sauber sein“. Hamburg wolle „Modellstadt für die Mobilität von morgen“ werden. Es dürfte kein Zufall sein, dass dies exakt der Forderung von CDU-Spitzenmann Weinberg entspricht.
All das zeigt: In Hamburg gibt es neuerdings eine ganz große Koalition für eine echte Verkehrswende – und damit wohl für die langfristig unvermeidliche Abkehr von der jahrzehntelangen Vorherrschaft des Privatwagens. Wer auch immer nach der Wahl 2020 regiert, ob Rot-Grün, Jamaika oder GroKo – in einem besteht bei den potenziellen Regierungsparteien Konsens: Hamburg soll keine Autostadt bleiben. Die Zukunft gehört anderen Formen der Mobilität.