Hamburg. Ralf Martin Meyer ist seit fünf Jahren Polizeipräsident – überwiegend erfolgreich, wie er sagt. Doch es gibt Herausforderungen.
Fünf Jahre – so lange bestimmt Ralf Martin Meyer als Präsident nun schon die Geschicke der Hamburger Polizei. Am 29. April 2014 hat der 59-Jährige das Amt übernommen und die Nachfolge von Wolfgang Kopitzsch angetreten. Meyer wollte ein Chef sein, der auch für den Aufbruch der Polizei ins digitale Zeitalter steht. Zeit für ein erstes Fazit: Was treibt ihn an? Wie hat sich die Polizei im Kampf gegen die Einbrecher geschlagen? Wie begegnet er Herausforderungen durch die zunehmenden Fälle von Internetbetrug und der Bedrohung durch den Terror? Und: Meyer kommt ins Pensionsalter, wird bald 60. Sieht er für sich eine Zukunft im Chefsessel?
Hamburger Abendblatt: Herr Meyer, wie wurden Sie Polizeipräsident?
Ralf Martin Meyer: Ich wurde vom damaligen Innensenator Michael Neumann (SPD) gefragt. Zu diesem Zeitpunkt war ich etwas überrascht, denn ich war erst ein Jahr Leiter der Akademie der Polizei. Ich bin zu einem Gespräch in die Innenbehörde gebeten worden. Statt über Bildung zu sprechen kam das Angebot, Polizeichef zu werden.
Wie haben Sie reagiert?
Meyer: Ich gehöre zu den Menschen, die über so ein Angebot und die damit verbundene Verantwortung ruhig nachdenken. Ich bin dann mit meiner Frau etwa eine Woche lang verreist, um es mit ihr in Ruhe zu besprechen. Gerade bei so weitreichenden Entscheidungen ist es mir wichtig, meine Frau an meiner Seite zu haben. Anschließend habe ich zugesagt.
Wie sieht der Alltag als Polizeichef aus?
Meyer: Ich komme um 8 Uhr ins Büro, dann beginnt die tägliche Lage- und Presseauswertung: Was war in den letzten 24 Stunden los? Da sind erste Entscheidungen zu treffen. Mein Tag ist von zahlreichen Besprechungen geprägt, in denen es auch immer wieder um strategische Entscheidungen geht. Dazu kommen Pressetermine und Reden auf unterschiedlichsten Veranstaltungen. Daneben besuche ich auch immer wieder Dienststellen und spreche mit Kollegen, um über die praktischen Fragen und Probleme im Bilde zu sein. Gegen 19 Uhr ist mein Tag in der Regel im Büro beendet. Nicht selten kommen dann noch Abendveranstaltungen, beispielsweise Gespräche in Bürgerversammlungen dazu, sodass ich manchmal gegen 22 Uhr zu Hause bin. Wenn keine Abendveranstaltung vorgesehen ist, nutze ich die Zeit in der Regel noch fürs Aktenstudium, um für den nächsten Tag vorbereitet zu sein.
Sind Sie zufrieden mit Ihrer bisherigen Amtszeit?
Meyer: Wir haben inzwischen sicher extern wie intern einiges bewegt. So haben wir die Kriminalitätsentwicklung im unmittelbaren sozialen Nahbereich der Menschen in Hamburg erheblich senken können. Bei den Raubdelikten haben wir die niedrigsten Zahlen seit 1980; der Taschendiebstahl ist im gleichen Zeitraum um 15 Prozent gesunken. Und beim Wohnungseinbruch haben wir es nach den starken Rückgängen in den letzten Jahren auch in diesem Jahr geschafft, noch einmal einen Rückgang um 4,2 Prozent im ersten Quartal zu erreichen. Das sind Rekordwerte. Die Kriminalitätsrate ist so gering wie seit 30 Jahren nicht mehr. Mit unseren Maßnahmen leisten wir einen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lebensqualität und Lebenszufriedenheit der Hamburgerinnen und Hamburger.
Darüber hinaus ist es mir wichtig, dass es meinen Kollegen gut geht. Die Polizei Hamburg benötigt hoch motivierte und gut ausgerüstete Mitarbeiter, die über moderne Einsatzmittel verfügen und Perspektiven für die eigenen Karriereziele haben. Insofern liegt mein Hauptaugenmerk auch immer auf einer guten persönlichen Ausrüstung. Zur besseren Eigensicherung haben wir die Bodycam eingeführt, und vor Kurzem die neue Außentragehülle, also eine neue Schutzweste mit vielen Funktionalitäten. Das Konzept zur Nutzung eines Tasers, also eines Elektroimpulsdistanzgeräts, möchte ich zeitnah ausbauen. Die Polizei befindet sich in einem permanenten Veränderungs- und Modernisierungsprozess. Für die Zukunft ist mir wichtig, dass wir hier das Tempo hochhalten.
Sie haben ja die Einbrüche zu Ihrem Thema gemacht. Viele Polizeipräsidenten haben sich da Themen gesucht, bei denen man eher nicht Schiffbruch erleidet. War das nicht riskant?
Meyer: Das ist für mich kein Auswahlkriterium. Wir hatten zu Beginn meiner Amtszeit relativ schlechte Einbruchszahlen und waren auf dem Weg zu 9000 Taten pro Jahr. So konnte es nicht weitergehen. Ich habe nach vielen Besprechungen und Beratungen vorgeschlagen, eine Sonderkommission zu gründen. So entstand die Soko „Castle“. Flankierend kamen Maßnahmen zur Auswertung und Analyse und eine 110-Kampagne hinzu, die die Öffentlichkeit sensibilisierte. Am Ende waren wir damit sehr erfolgreich. Zwischenzeitlich haben wir die Einbruchszahlen halbiert. Rückblickend muss man natürlich sagen, dass es ein persönliches Risiko war, das Thema mit meiner Person zu verknüpfen. Viele Experten sagten mir: Das Thema bekommst du nicht in den Griff. Davon habe ich mich aber nicht beeindrucken lassen, es ging mir nie darum zu überlegen, was passiert, wenn das Thema schiefgeht. Wenn man so denkt, sollte man lieber nicht Polizeipräsident werden.
Es gibt nicht nur positive Entwicklungen. Auch negative. Cold Case zum Beispiel ...
Meyer: Die Cold Cases Unit ist und bleibt ein wichtiges Instrument in der Verbrechensbekämpfung. Nachdem eine Richterin des Landgerichtes Hamburg im Rahmen einer Urteilsbegründung zu einem versuchten Mord aus dem Jahr 1980 schwere Vorwürfe gegen die von der Cold Case Unit geführten Ermittlungen erhob, dachten wir am Anfang, dass es sich um Vorwürfe handelt, die wir auf einer rein fachlichen Ebene aufarbeiten können. Wenn bei komplexen Ermittlungen Fehler passieren, müssen diese analysiert und daraus Schlüsse gezogen werden. Aber diese Ebene haben wir längst verlassen. Inzwischen befinden wir uns auf der Ebene von erhobenen Vorwürfen zu mangelnder Führung und Zusammenarbeit innerhalb des LKA. Für mich ist es jetzt geboten, diesen Vorwürfen sachlich nachzugehen. Die Öffentlichkeit hat einen Anspruch darauf, dass wir die Dinge genau analysieren und die richtigen Konsequenzen ziehen. Auf dieser Basis habe ich entschieden, eine Untersuchung durch eine externe Arbeitsgruppe vornehmen zu lassen.
Macht man sich selbst Vorwürfe, wenn ein Thema so schiefgeht?
Meyer: Vorwurf ist nicht das richtige Wort. Aber ich gucke natürlich schon, was hätten wir wann wo besser machen können und müssen. Ich hatte zunächst wie gesagt die Einschätzung, es handelte sich um ein einzelnes Ermittlungsverfahren, das auf den Prüfstand gestellt werden muss. Zumal es ja auch immer die Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft gegeben hat. Möglicherweise ist das Problem, was jetzt zu untersuchen ist, jedoch vielschichtiger. Darauf muss man flexibel reagieren und damit umgehen.
Gibt es auch Kriminalitätsfelder, die Ihnen Sorge bereiten?
Meyer: Alle Delikte rund um das Internet. Hier haben wir es mit Massendelikten zu tun, an deren Bearbeitung wir klug herangehen müssen. Es sind da meines Erachtens zwei Dinge im Auge zu behalten. Gelingt es uns, diese Vielzahl der Fälle zu sortieren? Und schaffen wir es, uns um die Täter zu kümmern, die Wiederholungs- oder sogar Intensivtäter sind? Beides versuchen wir mit unserem neuen Konzept umzusetzen, das sich auf die Fälle konzentriert, die auch anklagereif sind. Das ist eigentlich das gleiche Prinzip wie bei anderen Deliktsfeldern. Wenn man die Mehrfachtäter bekommt, hat man die Chance, die Entwicklung positiv zu beeinflussen. Hierbei benötigen wir die richtige Balance zwischen hochqualifizierten Betrugsermittlern und Angestellten, die gerade in der Ermittlungsunterstützung wertvolle Arbeit leisten. Deswegen werden wir die Betrugsbekämpfung neu strukturieren und die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft deutlich effizienter gestalten.
Was ist mit der Terrorgefahr?
Meyer: Wir müssen in diesem Bereich hochsensibel bleiben, sind klug beraten, aus den bisherigen Vorfällen zu lernen. So haben wir nach dem Messerattentat von Barmbek im Staatsschutz den Umgang mit Hinweisen verändert. Trotzdem muss man sich darüber im Klaren sein, dass man nicht jede kurzfristige Radikalisierung auf das Radar bekommt. Auch wenn wir mit allen Kräften dagegen steuern, kann es möglicherweise doch wieder passieren. Ich hoffe aber, wir erkennen und verhindern alles rechtzeitig. Es bleibt ein Restrisiko, das mitschwingt.
Was ist das persönliche Fazit nach fünf Jahren Polizeipräsident?
Meyer: Es macht viel Freude, in einer Stadt wie Hamburg Polizeipräsident zu sein. Aber es ist auch eine hohe Verantwortung damit verbunden. Das spüre ich jeden Tag. Heute sehe ich, dass wir schon eine ganze Menge geschafft haben, aber auch noch einiges vor uns liegt. Ich werde Ende des Jahres 60, bis 66 geht meine Aufgabe. Das heißt für mich: Noch nicht ganz Halbzeit!