Hamburg. Rita F. und Carola D. sind Nachbarinnen - und einander spinnefeind. Ein Streit um einen Müllsack ließ die Fehde eskalieren.
Im Grunde genommen wollen sie das Gleiche. „Ich will in Frieden leben.“ So formuliert es die eine. „Ich will einfach nur meine Ruhe.“ Das sagt die andere. Doch so sehr sich die beiden Frauen offenbar nach einem harmonischen Miteinander sehnen, so sehr sind ihre als Friedensangebot verbrämten Botschaften tatsächlich Kampfansagen. Denn Rita F. und Carola D. (Namen geändert) sind Nachbarinnen - und einander spinnefeind.
„Frieden“ und „Ruhe“, so schwingt es unausgesprochen mit, könne es nur für eine geben. Sprich: Die andere soll wegziehen. Wenn Rita F. von ihrer kleinen Wohnung in Barmbek erzählt, klingt es, als schildere sie eine Oase der Ruhe. 26 Jahre lang, berichtet die 57-Jährige, wohnt sie bereits dort. Und 25 davon waren schön. Bis Carola D. und ihr kleiner Sohn nebenan einzogen.
Auseinandersetzung um einen Müllsack
Seitdem fühlt sich die Akademikerin durch Lärm und Streit in ihrem Wohlbefinden gestört. Vor einem Jahr schließlich ließ eine Auseinandersetzung um einen Müllsack die Fehde eskalieren und brachte Rita F. auf die Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft der Frau vor, ihre Nachbarin als „Penner-Olle“ und „Nutte“ beleidigt zu haben. Zudem soll sie der 23-Jährigen ins Gesicht gespuckt haben, was bei dieser heftige Ekelgefühle ausgelöst habe.
Schon beim Verlesen der staatsanwaltschaftlichen Vorwürfe macht sich die missmutig dreinblickende Angeklagte, eine Frau mit kinnlangem grauen Haar, geschäftig Notizen. Als sie an jenem Mittag vom Einkaufen kam, habe ein Müllsack der Nachbarin im Weg gestanden, sodass sie nicht vorbei und zu ihrer Wohnung habe gehen können, erzählt Rita F. Da habe sie die 23-Jährige aufgefordert, ihn zu entfernen. „Sie sagte, ich solle warten. Aber ich konterte, dass ich hier nicht die Müllabfuhr bin.“ Schon lange gebe es von der Nachbarin Ruhestörung, „mittags, nachts, die ganze Zeit. Das wollte ich mir nicht mehr bieten lassen.“ Also habe sie den Abfallbeutel „mit voller Wucht“ gegen die Wohnungstür der Nachbarin geworfen. „Dann sagte ich ihr, dass ich jetzt zur Hausverwaltung gehe. Das war’s.“
„Ich spucke nicht“
Carola D. habe auch weitere Bewohner gegen sie aufgehetzt, klagt die Hamburgerin. „Das Wort ,Penner-Olle‘ kenne ich überhaupt nicht“, verwahrt sich die Angeklagte gegen die Vorwürfe. Auch „Nutte“ habe sie nie gesagt. „Und ich spucke nicht“, betont Rita F. „Aber ich habe ihr irgendwann mal gesagt, ich wünschte, sie würde ausziehen, weil ich in Frieden leben will. Ich bin nicht sonderlich stressresistent.“
Den Zeugenauftritt ihrer missliebigen Nachbarin mustert die Angeklagte durch ihre schwarzumränderten Brillengläser voller Groll. Doch Carola D. würdigt die 57-Jährige keines Blickes. Sie habe gerade ihre Wohnung geputzt und einen etwa halb gefüllten Müllbeutel nach draußen gestellt, als Rita F. „wie eine Furie so doll an die Tür donnerte, dass meine Garderobe vom Haken fiel“, erzählt die 23-Jährige. Den Begriff „Penner-Olle“, mit dem Rita F. sie bedacht habe, habe sie gar nicht gekannt. „Und dann nannte sie mich auch noch Schlampe oder Nutte und spuckte mich an. Das geht gar nicht“, zeigt die Hausfrau ihren Widerwillen. Sie habe sich entsetzlich geekelt. Wegen der Beleidigungen habe sie Rita F. gefragt, „ob sie noch ganz bei Sinnen ist. Ich habe zu ihr auch ,blöde Kuh‘ gesagt, also nichts Schlimmes“, räumt die Zeugin ein.
Triumphierendes Lächeln
Sie halte sich nur noch möglichst wenig in ihrer Wohnung auf, vor allem, weil auch ihr drei Jahre alter Sohn inzwischen Angst vor der Nachbarin habe. „Ich will einfach nur meine Ruhe haben.“ Deshalb versucht sie, innerhalb Hamburgs eine andere Wohnung zu finden. „Die Nachbarin sagte, ich gehöre nicht in dieses Haus. Sie ist bisher die Einzige, die sich über mich beschwert hat.“ Bis heute benehme sich Rita F. feindselig. „Ich habe ihr neulich mal die Tür aufgehalten, da sagte sie, ich solle mich verpissen.“ Aussage gegen Aussage: Am Ende spricht das Gericht die Angeklagte frei. Die Schilderung der Zeugin sei zwar schlüssig, ebenso aber auch die Darstellung der Angeklagten, begründet der Vorsitzende das Urteil. „Das Gericht muss sich, um zu verurteilen, sicher sein“, dass sich die Tat so zugetragen hat. „Und das sind wir nicht.“
Ein triumphierendes Lächeln stiehlt sich in die Züge von Rita F. Doch nur Augenblicke später wird ihre Miene wieder säuerlich – als der Richter zu einem freundlichen Miteinander mahnt. „Wir können Ihnen nur wünschen, dass Sie und Ihre Nachbarin es schaffen, etwas friedlicher miteinander umzugehen.“