Hamburg. BUND moniert, dass kaum eine der 2013 beschlossenen Maßnahmen umgesetzt wurde. Senat muss noch 2019 neuen Plan vorlegen.

Ist der 2013 beschlossene Lärmaktionsplan (LAP) des Hamburger Senats nur eine politische Beruhigungspille – und in Wahrheit tut die Stadt fast nichts für Lärmgeplagte? So jedenfalls stellt es jetzt der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) dar – und verweist darauf, dass die allermeisten der 2013 beschlossenen Maßnahmen zur Lärmminderung bis heute nicht umgesetzt worden seien. Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) habe bei einer BUND-Veranstaltung kürzlich vor vielen Zuschauern eingeräumt, dass „etwa 90 Prozent der vorgesehenen Maßnahmen des LAP nicht umgesetzt“ seien, sagte BUND-Landesgeschäftsführer Manfred Braasch dem Abendblatt. Dafür habe der Senator die Wirtschafts- und Verkehrsbehörde verantwortlich gemacht.

Der BUND verweist in seiner Kritik darauf, dass laut LAP 2013 für die 40 lautesten Straße geprüft werden sollte, ob Lärmschutz für geplagte Anwohner durch Tempolimits möglich und verhältnismäßig sei. Bis heute sei Tempo 30 aber lediglich an sechs Straßen eingeführt worden – und das nur nachts, so Braasch. Innen- und Umweltbehörde verwiesen am Dienstag darauf, dass kürzlich vier weitere Straßen hinzugekommen seien, bei denen die Polizei Tempo 30 nachts angeordnet habe: Bramfelder Chaussee, Holstenstraße, Braamkamp und Tarpenbekstraße. Die Wirtschafts- und Verkehrsbehörde betont, dass alle 40 Straßen geprüft worden seien, aber im rot-grünen Koalitionsvertrag 2015 ein Tempo-30-Versuch für nur zehn Straßen festgelegt worden sei.

Was ist mit den "ruhigen Gebieten"?

Der BUND kritisiert auch, dass die Stadt in den fast sechs Jahren seit Inkrafttreten des LAP nicht ein einziges „ruhiges Gebiet“ offiziell ausgewiesen habe, wie es die EU-Umgebungslärmrichtlinie verlange und wie es schon 2013 im LAP erwähnt worden sei. Auf eine Kleine Anfrage des FDP-Umweltpolitiker Kurt Duwe hatte der Senat im Sommer 2018 geantwortet, dass die „Abstimmung der festzusetzenden Gebietskulissen“ für diese „ruhigen Gebiete“ noch immer „ausstehe“. Daran habe sich bis heute nichts geändert, sagte Umweltbehördensprecher Jan Dube am Dienstag.

Dasselbe gelte für die Umsetzung der zwölf im LAP 2013 genannten Pilotprojekte zur Lärmminderung an großen Straßen. Darin waren etwa Schallschutzwände, Fahrbahnverlegungen, Umgestaltungen von Kreuzungen oder Verkehrsinseln vorgesehen. Von den zwölf Projekten waren bis zur Senatsantwort im Juni 2018 nur vier Maßnahmen zumindest teilweise umgesetzt – acht dagegen gar nicht. Auch daran hat sich laut Umweltbehörde nichts geändert.

120.000 Hamburger sind stark belastet

„Der Senat und insbesondere die drei zuständigen Behörden für Wirtschaft, Umwelt und Inneres haben beim Thema Verkehrslärm versagt“, urteilt angesichts dieser Zahlen BUND-Chef Manfred Braasch. „Dabei nimmt die Anzahl der Betroffenen sogar noch zu; 120.000 Menschen in Hamburg leben in gesundheitsschädlich verlärmten Stadtteilen. Selbst einfache Maßnahmen wie Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen werden nicht umgesetzt.“ Straßenverkehr sei dabei die größte Lärmquelle, zuletzt nähme aber die Belastung durch Flug-, Schienen- und Industrielärm zu. Braasch verweist auf Studien, nach denen vor allem Menschen mit geringeren Einkommen von Lärm belastet seien.

„Nun soll ein neuer Lärmaktionsplan kommen, aber Papier ist geduldig“, so der BUND-Chef. „Konsequenter Lärmschutz braucht politischen Gestaltungswillen, ausreichend Finanzmittel und eine Verkehrswende weg vom Auto.“ Tatsächlich arbeitet der Senat dieser Tage an der von der EU für 2019 verlangten Fortschreibung des Lärmaktionsplans. „Derzeit wird der Plan in der Umweltbehörde erstellt, und es laufen Abstimmungen mit anderen Behörden und Bezirken zu einzelnen Zielen und Maßnahmen“, so Umweltbehördensprecher Dube. „Nach einem ersten Senatsbeschluss kann der Plan öffentlich ausgelegt und dann gegebenenfalls mit Änderungen vom Senat beschlossen werden und in die Umsetzung gehen.“

Behörde will erste "ruhige Gebiete" ausweisen

Für die Behörde und Umweltsenator Jens Kerstan sei „der Schutz der Hamburgerinnen und Hamburger vor gesundheitsschädlichem Lärm ein wichtiges Anliegen“, so Dube. „Es ist klar, dass wir wirksame Lärmschutzmaßnahmen erreichen müssen. Dafür sollen jetzt in der aktuellen Fortschreibung des Lärmaktionsplans konkrete Verabredungen über wirksame Maßnahmen auch zur Bekämpfung des Straßenverkehrs- und des Fluglärms enthalten sein und erstmals auch ,ruhige Gebiete‘ ausgewiesen werden.“ Diese „konkrete und detaillierte Planung“ verlange „eine intensive und aufwendige Abstimmung mit anderen Ressorts“, so der Kerstan-Sprecher. Mithin: Es zeigt sich, dass SPD und Grüne bzw. die von ihnen geführten Behörden auch beim Lärmschutz möglicherweise nicht überall an einem Strang ziehen.

Ein zentrales Problem auch bei diesem Thema: Hamburg hat als eine der letzten deutschen Metropolen noch immer kein eigenes computergestütztes Verkehrsmodell, mit dem sich die Verkehrsentwicklung in größeren und kleineren Räumen berechnen und für die Zukunft prognostizieren lässt. Das bereits 2015 vom Senat in Auftrag gegebene Verkehrsmodell sollte 2017 in Betrieb gehen, ist aber bis heute noch nicht einsatzfähig. Laut Verkehrsbehörde soll es nun im Sommer 2019 fertig sein.