Hamburg. Der Hamburger Senat bewertet die Maßnahmen für Wohnungslose positiv. Linke kritisiert „Diskriminierung“ in Notunterkünften.
Ein nur zu zwei Dritteln ausgelastetes Winternotprogramm, mehr als 400 ehemals Obdachlose in die eigenen vier Wände vermittelt, dazu ein weiter ausgebautes Hilfs- und Beratungsangebot – das sind drei Kernpunkte, die Sozialsenatorin Melanie Leonhard (SPD) dazu veranlassten, ein positives Fazit der städtischen Maßnahmen gegen Wohnungslosigkeit zu ziehen.
„Wir tun sehr viel dafür, dass in Hamburg auch denen geholfen wird, die in eine Notsituation gekommen sind“, sagte Leonhard am Dienstag, nachdem der Senat einen Sachstandsbericht zu dem Themenfeld beschlossen hatte. „Wer seine Wohnung verliert, benötigt schnelle Hilfe. Dafür sorgen wir“, so die Senatorin. Und wer auf der Straße lebe, habe oft schon etliche schwierige Situationen hinter sich und Probleme im Gepäck. „Einfache Lösungen gibt es dann meist nicht – sondern es braucht eine Beratung und Begleitung, die sich diesen Problemen widmet.“ Dem begegne die Stadt mit vielen unterschiedlichen Unterstützungsangeboten.
Senatorin: Winternotprogramm ist ein Erfolg
Als größte Herausforderungen bezeichnete Leonhard, Menschen vor dem Abrutschen in die Wohnungslosigkeit zu bewahren. „Herzstück“ aller Maßnahmen seien dabei die 2005 ins Leben gerufenen „Fachstellen für Wohnungsnotfälle“ in den Bezirksämtern. Dem Senatsbericht zufolge haben sie von 2013 bis 2018 bei mehr als 35.000 Haushalten dazu beigetragen, eine drohende Wohnungslosigkeit abzuwenden. Die Erfolgsquote liege im Schnitt bei gut 82 Prozent, 2018 mit 78 Prozent nur leicht darunter. Leonhard kündigte an, die zuletzt bereits auf 108 Vollzeitstellen aufgestockten Fachstellen personell weiter stärken zu wollen, nannte aber noch keine Zahlen. Außerdem kündigte sie an, dass im Bezirk Altona eine weitere Tagesaufenthaltsstätte entstehen solle. Bislang gibt es davon 13 mit knapp 900 Plätzen.
Als Erfolg wertete die Senatorin auch das Winternotprogramm. Von den 760 Plätzen, die von Herbst bis Ende März zusätzlich zur Verfügung standen, seien durchschnittlich 545 Schlafplätze in Anspruch genommen worden, das entsprach einer Auslastung von knapp 72 Prozent. Darin sind auch Plätze in kirchlichen Einrichtungen, die Wärmestube und das Pik As enthalten. Betrachtete man nur die städtischen Unterkünfte in der Friesen- und der Kollaustraße, lag die Auslastung bei 67 Prozent. „In jeder Nacht gab es freie Plätze“, betont der Senat – und das, obwohl mittlerweile fest vergebene Betten, abschließbare Schränke, nächtliche Sicherheitsdienste, Waschgelegenheiten und Beratungsangebote zum Standard gehörten.
Kritik von der Opposition
Ersten Auswertungen zufolge seien während des Winternotprogramms gut 400 zuvor obdachlose Menschen in eine Unterkunft vermittelt worden. Binnen weniger Jahre ist die Zahl verfünffacht worden. Leonhard: „Ich bin froh, dass viele Menschen nicht in das Leben auf die Straße zurückkehren müssen, sondern nun eine Unterkunft haben.“
Die Opposition in der Bürgerschaft bewertete den Sachstand deutlich kritischer. „Eine Auslastung des Winternotprogramms von 67 Prozent ist kein Grund, sich auf die Schulter zu klopfen“, sagte Cansu Özdemir, Fraktionschefin der Linkspartei. „Die geringe Auslastung ist die Bilanz einer diskriminierenden Politik gegenüber zugewanderten Obdachlosen.“ Eine „sehr große Anzahl“ Obdachloser sei vom Winternotprogramm ausgeschlossen und auf die Wärmestube verwiesen worden, „wo ein normales Nächtigen nicht möglich ist“. Franziska Rath (CDU) kritisierte, dass zugesagte zusätzliche Wohnungen für vordringlich Wohnungssuchende erst ab 2020 bezogen werden könnten: „Angesichts von rund 32.000 Personen in öffentlich-rechtlicher Unterkunft ist das Ergebnis nach vier Jahren dürftig.“
„Kostenloses Rückgrat von Arbeitsausbeutung“
Wie die Sozialbehörde anfang des Jahres mitgeteilt hatte, leben gut 1900 Obdachlose in Hamburg, 900 mehr als 2009. Auf die Frage, warum das Winternotprogramm dennoch nicht ausgelastet gewesen sei, nannte Leonhard drei Gründe. Erstens wollten viele Obdachlose derartige Angebote einfach nicht annehmen. Zweitens gebe es Personen, die „nicht vollständig legal“ in Hamburg seien und daher Kontakt zu offiziellen Stellen scheuten. Drittens räumte die Senatorin ein, dass auch Obdachlose abgewiesen wurden.
Das sei unter anderem dann der Fall, wenn Arbeitgeber günstige Arbeitskräfte aus dem Ausland anheuerten und diese dann erkennbar gezielt in städtischen Unterkünften unterbringen wollten, so Leonhard. Die Stadt könne es aber nicht dulden, dass das Winternotprogramm als „kostenloses Rückgrat von Arbeitsausbeutung“ diene.