Hamburg. Was Kontrolleure der Hamburger Hochbahn erleben: Viele Ausreden, zornige Schwarzfahrer – und immer mehr Gewalt.

„Die Fahrkarten, bitte“ – keinen Satz sagt Hochbahn-Kontrolleur Sebastian so häufig wie diesen. Und häufig hört er dann diese Antwort: „Ich habe mir ein Ticket gekauft“, sagt eine junge Frau. Es müsse ihr aber aus der Tasche gefallen sein – der erste Schwarzfahrer.

Die 17 Jahre alte Schülerin ist eine von acht Menschen, die Sebastian und seine Kollegen heute ohne gültigen Fahrschein antreffen. 60 Euro kostet das Schwarzfahren. „Manche halten das Geld schon passend bereit“, sagt Sebastian. Einige gäben schamlos zu, dass sie absichtlich als Schwarzfahrer unterwegs sind. „Die meisten haben aber eine Ausrede parat“, sagt der Schnelsener.

Typischen Schwarzfahrer gibt es nicht

Den typischen Schwarzfahrer gebe es nicht. „Vom Kind bis Anzugträger ist alles dabei.“ Teilweise würden die Erwischten auch versuchen, noch zu handeln. Einmal habe er auch ein „eindeutiges Angebot“ einer jungen Frau bekommen, die er als Schwarfahrer erwischt hatte, – das er natürlich abgelehnt hat.

Sebastian ist seit drei Jahren für die Hochbahn im Einsatz und versucht mit seinen Kollegen, möglichst viele der täglich rund 1,3 Millionen Fahrgäste zu kontrollieren. „Mir gefällt besonders, dass ich immer unterwegs bin und mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun habe“, sagt der 34-Jährige, der meist mit einem Team aus zehn Kontrolleuren unterwegs ist.

Wie seine Kollegen möchte auch er nur mit Vornamen angesprochen werden. „Bei so manchem Schwarzfahrer sind wir nicht gerne gesehen“, sagt Sebastian. Teilweise reagierten die Menschen ungehalten, seien sehr nachtragend.

Häufig reagieren Schwarzfahrer ungehalten

Eigentlich gehören neun Kollegen zu seiner Mannschaft. Sie sind acht Männer und zwei Frauen, die heute aber beide krank sind. „Es ist gut, Frauen im Team zu haben“, sagt der gelernte Restaurantfachmann. Kontrolleurinnen würden deeskalierend wirken.

Die verbleibenden acht haben sich an diesem Tag in zwei Viererteams aufgeteilt. Sebastians Gruppe kontrolliert auf der Linie U2 zwischen Hauptbahnhof und Niendorf-Nord. Schon nach wenigen Minuten gibt es den ersten Zwischenfall.

Als die Kontrolleure in den Wagen steigen, versucht ein junger Mann noch schnell durch die Tür zu entwischen. Doch Kontrolleur Jason stellt sich ihm in den Weg, hält den Schwarzfahrer auf. Auf die Frage, warum er abhauen wollte, grinst der aus Rumänien kommende Mann und sagt: „Kein Fahrkarte.“ Von Reue keine Spur.

Zu solchen Zwischenfällen mit uneinsichtigen Schwarzfahrern kommt es immer wieder. Und dabei nimmt seit einigen­ Jahren auch die Bereitschaft zur Gewalt zu. „Es kommt häufiger vor, dass Menschen handgreiflich werden“, sagt Gruppeneinsatzleiter Raffael.

Die Hemmschwelle sei bei vielen gesunken. Nicht nur, dass es immer weniger Menschen peinlich sei, ohne Fahrkarte erwischt zu werden, viele würden auch absichtlich provozieren. Beispielsweise die Mütze vom Kopf schlagen oder die Kon­trolleure beleidigen. In solchen Situationen sei es wichtig zu deeskalieren. „Meistens geht das dann auch glimpflich aus“, sagt der 43-Jährige. Aber nicht immer.

Kontrolleur auf die Schienen gestoßen

„Ich wurde im August vergangenen Jahres auf die Gleise gestoßen“, erzählt Raffael. Als er einen jungen Mann kon­trollieren wollte, habe dieser versucht zu entkommen, indem er ihn auf die Bahnschienen stieß. „Der hat in Kauf genommen, dass ich sterbe, um sich 60 Euro Strafe zu sparen“, sagt der gebürtige Spanier.

Zum Glück ist in dem Moment kein Zug gekommen. Der Schwarzfahrer wurde durch Sebastian und seine Kollegen festgehalten und an der Flucht gehindert. Aber auch das war nicht leicht. „Er hat mir seinen Ellenbogen ins Gesicht geschlagen“, sagt Sebastian.

Auf solche Situationen sind die Kontrolleure gut vorbereitet. Die Ausbildung dauert sechs Monate – auch Selbstverteidigung gehört dazu. Außerdem Rechtskunde, Psychologie und wie man Fälschungen erkennt.

Ein Schwerpunkt bildet das Thema „Deeskalation“. In Rollenspielen werden brenzlige Situationen simuliert, auf Video aufgenommen und anschließend analysiert, wie die Mitarbeiter reagierten.

Voraussetzung für eine Bewerbung zum Prüfdienst ist eine abgeschlossene Berufsausbildung – die Art oder Fachrichtung der Ausbildung ist dabei nicht entscheidend. Das Einstiegsgehalt liegt bei 2.530 Euro brutto. Hinzu kommen Zulagen für Sonn- und Feiertagsarbeit sowie Spät- und Nachtdienste.

Schwarzfahren nimmt zu – Zahlungsmoral ist schlecht

  • In den vergangenen 25 Jahren haben die Kontrolleure der Hochbahn rund 63 Millionen Fahrgäste überprüft – davon hatten rund zwei Millionen keinen Fahrschein. Das sind rund 3,2 Prozent.
  • In den vergangenen Jahren nahm die Schwarzfahrerquote im öffentlichen Personennahverkehr in der Hansestadt zu. Im Jahr 2018 zuletzt auf fünf Prozent. 2017 waren es noch 4,5 Prozent, 2016 sogar nur 4,2 Prozent.
  • Auch die Zahlungsmoral der Schwarzfahrer ist schlecht: von den im vergangenen Jahr verhängten Bußgeldern in Höhe von insgesamt rund 6,5 Millionen Euro – wobei sich 3,6 Millionen Euro auf die S-Bahn, 2,6 Millionen Euro auf die Hochbahn und 333.539 Euro auf die VHH verteilen – wurden lediglich rund 3,8 Millionen Euro von Schwarzfahrern beglichen.

Nach Angaben des Hamburger Verkehrsverbundes (HVV) entsteht durch Schwarzfahrer jedes Jahr wegen entgangener Fahrgeldeinnahmen ein Schaden von etwa 20 Millionen Euro.

Auch deshalb hält Kontrolleur Sebastian seine Tätigkeit für eine wichtige Aufgabe. Er sagt: „Wer sich ein Ticket kauft, soll auch das Gefühl bekommen, dass es sich gelohnt hat.“