Düsseldorf/Hamburg. Polizei durchsuchte 90 Objekte, auch im Norden. Die Hintergründe über das islamistische Netzwerk und was der Ex-HSVer sagt.

Die Polizei ging seit dem frühen Mittwochmorgen mit Razzien in neun Bundesländern gegen Einrichtungen eines bundesweiten islamistischen Netzwerks vor – auch in Norddeutschland hat es Durchsuchungen im Zusammenhang mit mutmaßlichen Hamas-Unterstützern gegeben. Wie das Bundesinnenministerium mitteilte, wurden ab 6 Uhr in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein etwa 90 Objekte durchsucht.

Ben-Hatira im Visier der Polizei

Eine der drei Wohnungen, die in Berlin durchsucht worden sind, soll laut "Bild"-Zeitung dem Ex-HSV-Profi Änis Ben-Hatira gehören. Der 30 Jahre alte Offensivspieler spielt inzwischen bei Honved Budapest in Ungarn, besitzt aber noch ein Domizil in Charlottenburg – nahe dem Olympiastadion, wo sein Heimatverein Hertha BSC beheimatet ist. Dem Bericht zufolge sei das Schloss, das Ben-Hatiras Keller sicherte, aufgebrochen worden. Ob die Polizeibeamten verdächtige Gegenstände sicherstellen konnten, ist noch unklar.

Änis Ben-Hatira vom HSV steht auf der DFL-Transferliste
Welche Verbindungen hat Änis Ben-Hatira zu Ansaar? © Witters | WITTERS

An der Spitze des in den Fokus gerückten islamistischen Netzwerks stehen die in Nordrhein-Westfalen ansässigen Vereine WWR Help und Ansaar International. Ansaar hat seinen deutschen Hauptsitz in Düsseldorf. WWR Help ist in Neuss ansässig. Ben-Hatira wird schon seit Längerem eine gewisse Nähe zu Ansaar unterstellt. Sein ehemaliger Verein Darmstadt 98 hatte sich deshalb im Januar 2017 von dem im Wedding geborenen Tunesier getrennt.

"Ich finde es stillos, dass man mich mit Sachen in Verbindung bringt, von denen ich mich klar distanziert habe – von jeglicher Form der Radikalisierung und des Terrorismus", sagte Ben-Hatira dem Nachrichtenportal t-online.de.

Zuvor hatte sich die Beweislage verdichtet, dass Ben-Hatira mehrere Hilfsprojekte von Ansaar finanzieren soll. Der frühere Hamburger (er spielte 2006 bis 2011 beim HSV) lehnte es damals ab, sich von der Organisation zu distanzieren.

Jetzt sagte er: "Ich habe nichts zu verstecken und nichts zu verbergen. Jeder ist bei mir willkommen. Das nächste Mal können sie ruhig warten bis ich in Berlin bin. Dann öffne ich gerne selber die Tür."

Durchsuchungen in Harburg und Wilhelmsburg

In Hamburg durchsuchte die Polizei nach Angaben des Bundesinnenministeriums zwei Objekte. Nach Informationen des Abendblatts handelt es sich bei den Adressen um einen Altbau an der Reinholdstraße (Harburg) und um einen Wohnkomplex am Dahlgrünring (Wilhelmsburg). Auch in der Hansestadt ist eine Gruppe des Vereins Ansaar International bereits seit längerer Zeit aktiv.

Auch in diesem Wohnblock am Dahlgrünring gab es eine Durchsuchung.
Auch in diesem Wohnblock am Dahlgrünring gab es eine Durchsuchung. © TV News Kontor

In Schleswig-Holstein waren es zwei Objekte (Pinneberg) und in Niedersachsen drei Durchsuchungs-Objekte (zwei in Hannover und eins in Melle). Festgenommen worden sei bei der Aktion im Bereich der Polizeidirektionen Hannover und Osnabrück am frühen Mittwochmorgen niemand, teilte das Innenministerium in Hannover mit. Beschlagnahmt wurden demnach Datenträger und Unterlagen, aus denen sich Hinweise auf eine mögliche Hamas-Unterstützung ergeben könnten. Diese würden nun ausgewertet.

Anhaltspunkte, dass radikalislamische Hamas finanziell unterstützt wird

Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen besteht der Verdacht, dass sich das Netzwerk gegen den Gedanken der Völkerverständigung – gemäß Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz – richtet. Es wird davon ausgegangen, dass die Organisationen dem extremistischen Milieu zuzurechnen sind. Es bestehen den Angaben zufolge Anhaltspunkte, dass die radikalislamische Hamas finanziell und propagandistisch unterstützt wird. Am 27. Februar hatte das Bundesinnenministerium ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren eingeleitet. Das Ziel: Die Verdachtslage klären und in Abhängigkeit davon gegebenenfalls weitere vereinsrechtliche Schritte einleiten.

Aus dem Bundesinnenministerium heißt es, dass Ansaar über ein bundesweites Netzwerk von örtlichen Teams sowie von Vereinigungen und Firmen verfüge, die vor allem über personelle Verflechtungen von Ansaar gesteuert werden. "WWR Help und Ansaar wiederum sind ebenfalls in den Führungsspitzen auffällig personell miteinander verflochten", teilte das Bundesinnenministerium auf Nachfrage mit.

Hamburger Gruppe warb bei Facebook um Spenden

Polizeibeamte stehen vor dem Hauptsitz des Vereins Ansaar International in Düsseldorf. Auch in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen gab es Durchsuchungen.
Polizeibeamte stehen vor dem Hauptsitz des Vereins Ansaar International in Düsseldorf. Auch in Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen gab es Durchsuchungen. © Martin Gerten/dpa

Die USA, Israel und die EU haben die Hamas, die im Gazastreifen herrscht, als Terrororganisation eingestuft. WWR-Help ruft auf seiner Internetseite zu Spenden für Bedürftige im Gazastreifen auf. Ansaar International hatte in der Vergangenheit auch für Hilfsaktionen unter anderem in Somalia, Syrien und Myanmar Spenden gesammelt. Die Hamas selbst inszeniert sich im Nahen Osten seit Jahrzehnten zunächst als Erbauer von Schulen, Pfleger von Kranken und Mäzen für Arme.

Bei Facebook verzeichnet eine Seite mit dem Titel "Ansaar International Team Hamburg" rund 700 "Gefällt mir"-Angaben. Dort werden auch regelmäßig Bilder von sogenannten Benefizflohmärkten und abgeholten Spenden verbreitet. Politische Propaganda findet auf der Seite der Gruppe dagegen nicht statt. Die Bilder der Teilnehmer der Gruppe sind unkenntlich gemacht, als Sitz der Gruppe ist eine Straße in Heimfeld angegeben.

Beide Vereine sollen intensiv kooperiert haben

Im Bericht des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes für 2017 ist von intensiven Kontakten zwischen beiden Vereinen die Rede. Bei Ansaar wurden dem Bericht zufolge zudem "intensive Kooperationen mit anderen Personen der extremistisch-salafistischen Szene" beobachtet. Der Verfassungsschutz schrieb, auffällig sei, "dass es beim Personenkreis mittlerweile einige Überschneidungen zwischen diesem Verein und dem mittlerweile verbotenen Verein Die Wahre Religion/Lies! gibt". Dies deute darauf hin, dass Ansaar International in der extremistischen Szene ein Vakuum fülle, das durch das Verbot des Lies!-Vereins entstanden sei. Dieser hatte mit Koran-Verteilaktionen Aufmerksamkeit erregt.

Spenden im Namen Allahs

"Wer unter dem Deckmantel humanitärer Hilfe die Hamas unterstützt, missachtet fundamentale Wertentscheidungen unserer Verfassung", teilte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mit. Dadurch werde auch das Engagement der vielen Hilfsorganisationen diskreditiert, die "sich unter schwierigen Rahmenbedingungen zur Neutralität verpflichtet haben". Die Ordnung des Grundgesetzes gebiete, gegen solche Aktivitäten mit Nachdruck vorzugehen.

Innerhalb der salafistischen Szene spielen Vereine eine ganz zentrale Rolle: Sie sind wichtig für die Rekrutierung neuer Mitglieder, die Gruppen vernetzen sich untereinander, über Aktionen bringen sie Geld in die Szene. Neben den Spenden-Projekten, die schon vor vielen Jahren Veranstaltungen mit extremistischen Predigern auch in Hamburg veranstaltet hatten, gibt es mittlerweile Gruppen, die sich für gefangene Islamisten einsetzen. Die Vereinigung „Lies!“ fiel viele Jahre mit Koran-Ständen in deutschen Innenstädten auf und wurde schon 2016 verboten. Der Vorwurf: Der Verein lehrt die demokratiefeindliche Scharia.

Ansaar präsentiert auf seiner Webseite Videos von Brunnenbau-Projekten in Somalia oder Spendenaktionen in Ghana und Syrien. Doch Verfassungsschützer sehen auch bei diesen „Hilfsvereinen“ eine klar islamistische Ausrichtung hinter der Fassade. So zeigt ein Video von Ansaar aus Ghana einen gemeinsamen Auftritt mit dem radikalen Braunschweiger Prediger Muhamed C.

Neben dem Spenden-Verein betreibt Ansaar in Düsseldorf einen „Umma“-Shop, in dem Kleidung verkauft wird. „Einkaufen mit gutem Gewissen“ – damit wirbt Ansaar. Erlöse würden in Hilfsprojekte fließen. Doch Verfassungsschützer gehen davon aus, dass ein Großteil der Einnahmen in Deutschland bleibe.