Hamburg. Hamburger Lernsoftware erhält Zukunftspreis der Cornelsen-Stiftung. Entwicklung zusammen mit der Schule Kielkamp in Bahrenfeld.

Wenn Schüler mit Mathematik zu kämpfen haben, könnte das auch am Lehrmaterial liegen, sagt Torben Rieckmann. Der 29 Jahre alte Doktorand an der Fakultät für Erziehungswissenschaften der Universität Hamburg setzt sich für einen besonders einfachen Zugang zum Rechnen ein. Er hat inklusive Lernmaterialien entwickelt, gemeinsam mit der Schule Kielkamp in Bahrenfeld. Diese Schule mit dem Förderschwerpunkt „Geistige Entwicklung“ besuchen etwa Schüler mit Trisomie 21 (Down-Syndrom). Insbesondere an sie richtet sich eine Mathe-App namens „Mathildr“, die aus Rieckmanns Arbeiten hervorgegangen ist.

Nun hat das für Tablets ausgelegte Lernprogramm eine besondere Auszeichnung erhalten: den Zukunftspreis der Cornelsen-Stiftung. Das Preisgeld von 3000 Euro, sagt Torben Rieckmann, helfe ihm und dem jüngst gegründeten Hamburger Verein „Guter Unterricht für alle“ dabei, die Software kostenlos anzubieten. Der wissenschaftliche Mitarbeiter der Universität versichert, es steckten keine finanziellen Interessen hinter der App, die auch dank der Unterstützung seines Vaters Rolf Rieckmann und des Grafikers Dennis Krohn entstand. „Es handelt sich in erster Linie um ein soziales Engagement“, sagt Rieckmann. „Auch Menschen mit Down-Syndrom wollen und können rechnen lernen – und zwar besser, als man ihnen gemeinhin zugetraut. Sie möchte ich unterstützen.“

Vorstellung von Mengen vermitteln

Zudem wolle er Erkenntnisse aus dem Unterricht mit der Software für seine Doktorarbeit nutzen, sagt Rieckmann. Ausgangspunkt für die Entwicklung der App war ihm zufolge eine 2016 veröffentlichte Studie der Universität Hamburg, an der 1294 Kinder, Jugendliche und Erwachsene mit Trisomie 21 teilgenommen hatten. Die Vergleichsgruppe bildeten 624 Kinder, Jugendliche und Erwachsene ohne Trisomie 21. Im Rahmen der Studie untersuchten die Wissenschaftler um Rieckmanns Doktorvater Prof. André Frank Zimpel unter anderem den Aufmerksamkeitsumfang.

Die Mathe-App Mathildr arbeitet mit Zweierbündelungen. Kirschen machen das Rechnen einfach.
Die Mathe-App Mathildr arbeitet mit Zweierbündelungen. Kirschen machen das Rechnen einfach. © Guter Unterricht für alle e.V.

Dabei geht es darum, wie viele Informationen von Menschen gleichzeitig verarbeitet werden können und in welcher Form dies am besten gelingt. Um mit Grundschülern im Mathematikunterricht das Zählen zu üben und ihnen eine Vorstellung von Mengen zu vermitteln, werden Mengen in vielen Schulbüchern in Fünfergruppen aufgegliedert. Bei der Menge 8 etwa werden fünf Punkte in einer Reihe gruppiert. Die Schüler lernen vorher, das eine volle Reihe immer für die Menge 5 steht. Diese Fünferbündelung überfordert allerdings viele Schüler mit Down-Syndrom, wie die Hamburger Studie zeigte. Diese und auch andere Schüler profitierten von einer einfacheren und dazu bildlichen Darstellung, sagt Torben Rieckmann. Deshalb setzt er bei der Mathe-App ­Mathildr auf Zweierbündelungen.

Würfelform ist gut geeignet

Dabei wird die 0 als Kreis dargestellt, die 1 als Kirsche. Zwei Kirschen werden durch Stängel gebündelt. „Die Kirschstängel unterstützen die Unterscheidung von geraden und ungeraden Zahlen“, erläutert Rieckmann. Die Zahlen beziehungsweise Kirschen werden zudem in Mengenbildern dargestellt, die an einen Spielwürfel erinnern.

Bei Tests verschiedener Mengenbilder habe sich herausgestellt, dass Schüler mit Down-Syndrom mit der Würfelform besonders gut umgehen könnten, sagt Rieckmann. Die Kirschen müssen in einer festen Reihenfolge platziert werden, damit die Mengenbilder für die Schüler erkennbar bleiben – eine andere Reihenfolge lässt die Mathildr-App nicht zu. Pro Würfel lassen sich bis zu zehn Kirschen unterbringen. Ein Zwanzigerfeld besteht also aus zwei Zehnerfeldern. Wenn sie die Mengenbilder erlernt haben, könnten die Schüler die Mengenbilder in Gedanken aufrufen und verändern, sagt Rieckmann. „So können die Mengenbilder dazu beitragen, das Kopfrechnen zu fördern.“

Fester Bestandteil des Mathe-Unterrichts

An der Schule Kielkamp ist die Software zur Mengendarstellung inzwischen fester Bestandteil des Mathe-Unterrichts. Das Programm sei sehr gut gemacht, heißt es von der Cornelsen-Stiftung: „Hier unterstützt Digitalisierung sinnvoll und nachhaltig bei der Differenzierung und einem inklusiven Unterricht“, sagte Cornelsen-Geschäftsführer Wolf-Rüdiger Feldmann bei der Preisverleihung. Sein Verlag ist an der Software nicht beteiligt.

Erhältlich ist die App zum Download für Android-Geräte im Google Play Store und für iOS-Geräte im Apple App Store. Rieckmann bietet über das Deutsche Down-Syndrom InfoCenter auch weiteres, allerdings kostenpflichtiges Unterrichtsmaterial an, das auf dem Mathildr-System basiert.

Der App-Entwickler Torben Rieckmann ist Doktorand an der Universität Hamburg.
Der App-Entwickler Torben Rieckmann ist Doktorand an der Universität Hamburg. © Privat | Privat

Die Einnahmen dienten nur der Bewerbung und Weiterverbreitung der App im Rahmen des gemeinnützigen Vereins „Guter Unterricht für alle“, sagt Rieckmann. Der Doktorand will das Programm ständig weiterentwickeln. „Ohne die Mitarbeit von Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen mit Lernschwierigkeiten wäre dies nicht denkbar“, sagt er.

Mehr Infos im Internet: www.mathildr.de