Hamburg. Dr. Holger Maul steht wie viele seiner Kollegen dem nicht invasiven Pränataltest als Kassenleistung sehr kritisch gegenüber.
Dr. Holger Maul ist Chefarzt der Asklepios-Frauenkliniken Barmbek, Nord-Heidberg und Wandsbek. Der Privatdozent ist Spezialist für Geburtshilfe und Pränatalmedizin.
Wie oft führen Sie den pränatalen Bluttest durch?
Holger Maul: Ich selbst führe ihn in meiner Sprechstunde zwei- bis dreimal pro Woche durch. Meine Patientinnen sind vom Frauenarzt wegen Auffälligkeiten oder einer Vorgeschichte zu mir geschickt worden. Sie haben den Wunsch nach einer sehr frühen, aber für die Schwangere risikolosen Abklärung der häufigsten Chromosomen-Anomalien. Das bietet der Pränataltest schon ab der zehnten Woche. Die Alternative in dieser frühen Schwangerschaftswoche ist nur eine Chorionzottenbiopsie, bei der ich mit einer Nadel in die Gebärmutter und in die Plazenta der Schwangeren pikse und Gewebe entnehme.
Was halten Sie davon, dass der Test zur Kassenleistung gemacht werden soll?
Maul: Ich halte das für sehr kritisch und gefährlich. Bei mir und den meisten meiner Kollegen ist der Test eingebettet in ein diagnostisches Gesamtkonzept, bei dem die Frauen eine ausführliche Beratung bekommen und sehr genau überlegen müssen, was sie wollen. Wenn der Test zur Kassenleistung wird, führt man damit über kurz oder lang ein flächendeckendes Screening ein. 700.000 Schwangere pro Jahr werden den Test wahrscheinlich in Anspruch nehmen. Einfach so, ohne einen Gedanken daran zu verschwenden, denn es ist ja kein Risiko, dass das Kind abgeht – wie in sehr seltenen Fällen bei einer Fruchtwasseruntersuchung. Über die Folgen würden sich die Frauen vermutlich keine Gedanken machen.
Was sind denn mögliche Folgen?
Maul: Es ist zu befürchten, dass wir die Trisomie 21 und in Zukunft auch andere genetische Erkrankungen noch mehr aus unserem Leben verbannen. Solche Kinder werden dann nicht mehr geboren und jede Frau, die dennoch eines auf die Welt bringt, wird gefragt werden, warum sie keinen Test gemacht hat. Und es ist die Frage, ob das uns als Gesellschaft gut tut. Ich habe so viele Familien erlebt, die sehr glücklich mit einem solch besonderen Kind sind und die das zusammengeschweißt hat. Vor allem: Wo beginnt und endet dann die Frühdiagnostik, die zur Selektionsdiagnostik würde? Das wäre ein Dammbruch.
Wäre es der Weg in eine Welt ohne Menschen mit Behinderung?
Maul: Ja, das wäre es. Schon jetzt werden mehr als 80 Prozent der Embryos mit einer diagnostizierten Trisomie 21 abgetrieben.
Aber ist es nicht nachvollziehbar, dass Frauen kein behindertes Kind möchten?
Maul: Das kann ich nachvollziehen. Aber bei uns ist ein Lebensschutz verankert, sonst bräuchten wir den Paragrafen 218 nicht. Man kann nicht sagen, bloß weil ich kein behindertes Kind möchte, nehme ich alle Diagnostik in Anspruch und die Krankenkasse soll dafür zahlen. Jede Frau kann den Test bekommen, aber dafür muss sie Geld in die Hand nehmen und eine ausführliche Beratung erhalten. Und bei einer Risikoschwangeren wird eine Fruchtwasseruntersuchung bezahlt, wenn sie das möchte. Der Weg, um diese Sicherheit zu bekommen, sollte bewusst etwas mühsam sein, weil die Entscheidung dazu dann reifer und durchdachter ist.
Dann können sich aber nur Wohlhabende diesen nicht invasiven Bluttest leisten.
Maul: Das finde ich sehr kurzsichtig gedacht. Ein Kind zu haben ist so viel teurer, da sind die 230 Euro, die dieser Test kostet, nichts dagegen. Im Übrigen zahlen schon jetzt einige Krankenkassen den Test, wenn eine Indikation besteht, aber eben nur dann.
Angenommen der Test würde zur Kassenleistung: Könnte dann jeder Arzt den Test machen? Und ist das sinnvoll?
Maul: Wir Ärzte legen derzeit viel Wert darauf, dass eine kompetente und umfassende Aufklärung über die Folgen eines Tests und über das Recht auf Nichtwissen stattfindet. Daran sollte nicht gerüttelt werden. Bei Aufweichung dieser Regeln machen sich womöglich viele Frauen keine Gedanken darüber, wie sie mit einem auffälligen Ergebnis umgehen sollen.
Also wäre Ihnen am liebsten, wenn derzeit alles so bleibt, wie es ist?
Maul: Ja, dafür bin ich.