Hamburg. In der Affäre um Tickets für das Rolling-Stones-Konzert gibt es weitere Verdächtige: Es geht um Abgeordnete der Bezirksversammlung.
Die Affäre um die Verteilung von 100 Freikarten für das Hamburger Rolling-Stones-Konzert im Jahr 2017 an Beamte, Politiker und Abgeordnete zieht immer weitere Kreise. Nun nimmt die Staatsanwaltschaft auch Abgeordnete der Bezirksversammlung Nord ins Visier, die sich Karten haben schenken lassen. „Es wird aktuell bei der Generalstaatsanwaltschaft gegen einen Abgeordneten der Bezirksversammlung wegen des Verdachts der Abgeordnetenbestechung ermittelt“, teilte Liddy Oechtering, Sprecherin der Staatsanwaltschaft, dem Abendblatt auf Nachfrage mit. „Ob weitere Verdachtsmomente auch gegen andere bestehen, wird derzeit geprüft.“ Namen wollte die Staatsanwaltschaft in diesem Kontext zunächst nicht nennen.
Bei Abgeordnetenbestechung drohen bis zu fünf Jahre Haft
Hintergrund: Der damalige Bezirksamtsleiter Harald Rösler (SPD) hatte vor dem Konzert im Stadtpark 100 Freikarten und Dutzende Vorzugs-Kaufkarten an politische Freunde, Mitarbeiter und Bezirksabgeordnete verteilt. Bei den Freitickets gab es Stehplätze zum regulären Preis von 98,53 Euro und Sitzplätze zu 168,40 Euro
Es besteht der Verdacht, dass die Genehmigung des Bezirks für eine solche Großveranstaltung im Stadtpark mit der Zusicherung eines ungewöhnlich großen Kontingents an Gratis- und Sonderkarten zusammenhängen könnte. Laut Staatsanwaltschaft wird mittlerweile gegen 34 aktuelle oder frühere Mitarbeiter des Bezirksamtes Nord etwa wegen der Verdachts der Bestechlichkeit oder der Vorteilsnahme ermitteln. Damit ist der größte Teil der Führungsebene des Bezirksamtes betroffen.
Mit den Staatsräten Andreas Rieckhof (SPD) und Matthias Kock laufen auch Ermittlungen gegen Senatsmitglieder. Diese haben aber offenbar lediglich Kaufkarten angenommen, durch die man einfacheren Zugang hatte und eine geringe Gebühr sparte, die Karten aber bezahlte. Zudem wird laut Staatsanwaltschaft gegen Mitarbeiter des Konzertveranstalters ermittelt. Mittlerweile gibt es mindestens fünf Anklagen, unter anderem gegen die früherer Finanzstaatsrätin Elke Badde (SPD) und die kurzzeitige kommissarische Leiterin des Bezirksamtes Nord, Yvonne Nische (SPD).
Bestechlichkeitsverdacht ist neu
Dass nun auch Abgeordnete unter Bestechlichkeitsverdacht geraten sind, ist neu. Im Strafgesetzbuch heißt es im Paragrafen 108e (Bestechlichkeit und Bestechung von Mandatsträgern): „Wer als Mitglied einer Volksvertretung des Bundes oder der Länder einen ungerechtfertigten Vorteil für sich oder einen Dritten als Gegenleistung dafür fordert, sich versprechen lässt oder annimmt, dass er bei der Wahrnehmung seines Mandates eine Handlung im Auftrag oder auf Weisung vornehme oder unterlasse, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Dasselbe gilt auch für Volksvertretungen „einer kommunalen Gebietskörperschaft“ oder „eines in unmittelbarer und allgemeiner Wahl gewählten Gremiums einer für ein Teilgebiet eines Landes oder einer kommunalen Gebietskörperschaft gebildeten Verwaltungseinheit“. Damit sind auch die Bezirksversammlungen betroffen.
Da das Bezirksamt sich bisher weigert, eine Liste aller Kartenbezieher zu veröffentlichen, sind nicht alle Bezirksabgeordneten bekannt, die Freikarten bezogen haben. Eingeräumt hat dies aber bereits der aktuelle SPD-Fraktionsvorsitzende Thomas Domres, der laut eigenen Angaben das Konzert mit Gratiskarten besuchte – zusammen mit seiner Frau Anja Domres, der Vizechefin des Landesamtes für Verfassungsschutz und Kreisvorsitzenden der SPD in Hamburg-Nord. Auch Abgeordnete von CDU und Linke sollen Karten angenommen haben.
Vertrag nicht veröffentlicht
Der Bezirk und die für die Bezirksaufsicht zuständige Finanzbehörde von Senator Andreas Dressel (SPD) haben bisher nicht für eine Veröffentlichung des Vertrags gesorgt, den der Bezirk 2017 mit dem Konzertveranstalter geschlossen hat – obwohl dies laut Transparenzgesetz geschehen muss, wie auch der Bezirk einräumt. Begründet wird dies damit, dass das Gesetz ja keine Frist für die Veröffentlichung setze. Zudem liege der Vertrag bei der Staatsanwaltschaft und sei Gegenstand der Ermittlungen.
Dabei gibt es immer mehr Fragen zu der Vertragsgestaltung, wie auch die „Hamburger Morgenpost“ berichtete, nach deren Darstellung der Bezirk den Stones den Stadtpark um bis zu 800.000 Euro günstiger als üblich überließ.
Das Bezirksamt hat sich mittlerweile eingebunkert. Fragen von Journalisten zur Stones-Affäre werden kaum mehr beantwortet. Sprecher Daniel Gritz wollte am Donnerstag keine Auskunft darüber geben, wie viel Geld der Konzertveranstalter FKP Scorpio für die Nutzung der Festwiese an das Bezirksamt gezahlt hat. Auch die Fragen, ob die entsprechende Gebührenordnung angewendet worden sei und wie hoch der Preis danach hätte sein müssen, wollte Gritz nicht beantworten. Er verwies auf das „laufende Ermittlungsverfahren“.
Die Hamburger „Gebührenordnung für die Verwaltung und Benutzung der öffentlichen Wege, Grün- und Erholungsanlagen“ wird immerhin nicht geheimgehalten. Es ist ein umfangreiches Werk, das Berechnungsspielräume zulässt. Man kann den Tribünenraum gesondert berechnen, man kann die 112.000 Quadratmeter große Konzert-Fläche aber auch komplett als Platz für Veranstaltungen einstufen. Dennoch sollte am Ende schon ein Betrag zwischen 500.000 und knapp einer Million Euro stehen.
Verschiedene Zahlen kursieren
Dass dieser Betrag tatsächlich bezahlt wurde, ist zumindest zweifelhaft. Denn in einer Behördendrucksache werden andere Zahlen genannt. Das Bezirksamt hatte vor dem Konzert erklärt, die Einnahmen aus der Vermietung der Festwiese würden in den Stadtpark investiert werden. Im vergangenen Oktober fragte der CDU-Bezirksabgeordnete Bernd Kroll nach, welche Maßnahmen „aus den eingenommenen Gebühren für das Konzert der Rolling Stones“ umgesetzt und welche Kosten dabei entstanden seien. Kroll bekam tatsächlich eine Antwort. „Die durch die Einnahmen vorgesehenen Arbeiten sind bereits ausgeführt“, heißt es etwas ungelenk in der Drucksache 20-6116. Dann folgt eine sechs Punkte umfassende Liste mit Arbeiten und Auftragssummen. Zählt man alles zusammen, erhält man diese Zahl: 110.000 Euro. Das ist sehr viel weniger, als die Gebührenordnung zulässt.
Geschenk auf Kosten der Steuerzahler
Sollte dies tatsächlich der vom Bezirksamt verlangte Preis gewesen sein, hätte der SPD-geführte Bezirk Mick Jagger und Co ein echtes Geschenk gemacht – auf Kosten der Hamburger Steuerzahler.