Hamburg. Der Markt für Kinderausstattung und -ernährung boomt wie nie. Wie sich die Bedürfnisse von Eltern und Babys entwickelt haben.

Glänzende, übermüdete Augen, seliges Lächeln, nur noch ein Thema: das Baby. Sobald sich ein neuer Erdenbürger bei uns auf der Welt zeigt, beginnt nicht nur für die frischgebackenen Eltern eine neue Zeitrechnung, auch das Umfeld darf sich auf tägliche Updates rund um Babys Schlaf, Babys Verdauung, Babys Trinkverhalten, Babys Launen freuen.

Der Mittelpunkt des Lebens verlagert sich mit der Geburt, nichts ist mehr wie es einmal war und wenig ist so, wie man es sich vorgestellt hat. Kinderkriegen ist eben ein Abenteuer, vielleicht das letzte unserer zivilisierten Welt. Diese Gefühle und Gedanken teilen eigentlich alle Eltern, ob vor 40 Jahren oder heute.

"Eltern suchen nach fundierten Konzepten"

Und doch ist vieles anders geworden. „Gibt es denn keine Krabbelgruppen mehr?“, fragte jüngst eine frischgebackene Großmutter verwundert. Die Antwort: Jein. Krabbelgruppen heißen jetzt Delphi-Kurse (hier werden die Wahrnehmungen des Babys unterstützt), man auch geht eher zum Pekip (Version in nackig und warm) oder wählt die hawaiianische Variante mit Tanz, Kalea.

„Eltern, und damit sind heute nicht mehr nur Mütter gemeint – auch Väter spielen heute eine größere Rolle – suchen nach fundierten Konzepten. Diese müssen wissenschaftlich basiert und optimal für die Entwicklung ihres Babys sein“, erläutert Christiane Heitbrink, Markenentwicklerin beim Babyhersteller NUK die Bedürfnisse der heutigen Eltern-Generation. Mütter und Väter würden viel mehr hinterfragen, seien schon vor dem Kursus oder Kauf eines Produkts für das Kind bestens informiert. „Für uns sehr relevant ist beispielsweise der Wunsch nach alternativen Materialen. Wir haben deshalb auch Glasflaschen im Angebot sowie seit Kurzem auch Fläschchen aus Edelstahl. Übrigens auch personalisierbar – ein Megatrend, der sehr gut ankommt.“

Der Markt für Babyartikel wächst rasant

Diese Teller in Elefantenform sind sehr rutschfest.
Diese Teller in Elefantenform sind sehr rutschfest. © Done by Deer | Done by Deer

Der Markt für Baby- und Kinderartikel wächst rasant, was natürlicherweise nichts mit den steigenden Bedürfnissen eines Babys an sich zu tun hat, sondern mit dem Anspruch der Eltern. Über das eigene Kind definiert man sich selbst, möchte das Beste mitgeben – jedoch nicht sich selbst und das Eigenkonzept verlieren. Deshalb werden heute viel mehr Werte, die für Mutter und Vater Relevanz haben auf die Ausstattung für die Kinder übertragen: So suchen designinteressierte Eltern nach stylischen Lösungen im Interiour-Bereich, die sich in den Wohnungseinrichtungsstil der Prä-Baby-Phase einfügen.

Heute haben Eltern die Qual der Wahl

Und das geht heute eben auch. Gab es vor einigen Jahrzehnten beispielsweise nur die Tisch-Stühlchen-Stapel-Kombination als Hochstuhl, so saßen Filius und Filia eben darin. Worin auch sonst. Praktisch war es jedenfalls. Heute jedoch haben Eltern die Qual der Wahl, es gibt Hochstühle, die ähneln Designobjekten, in Ei-Form von Stokke oder Bloom sind multifunktional oder noch mitwachsend mit weiteren Funktionen wie Lernturm oder Sitzbank von Flippo Kids.

Nicht nur am Tisch, sondern auch auf dem Tisch soll es den Eltern gefallen und zugleich dem Entwicklungsstand des Kind zupasskommen. Eine Marke, die diese Strömung genau erkannt hat und von Dänemark aus den deutschen Markt rasant erobert ist Done by Deer. Von Snackbechern mit Silikonrand über enorm rutschfeste Teller in Elefantenform, über Bettwäsche, Wickelauflagen und Nestchen in farblich zurückhaltendem Tier-Design wird hier modernen Eltern eine Alternative in allem geboten, was vormals eher in schreienden (von Kindern geliebten) Farben zu finden war.

„Heute suchen Eltern mehr und mehr nach Produkten, die Funktiona­lität und wunderschönes Design kombinieren. Wir bekommen eine Nachfrage nach simplem, schlichten und ästhetisch ansprechendem Aussehen gespiegelt, das zu den Anforderungen einer modernen Familie passt“, sagt Helene Hjorth, Chefdesignerin bei Done by Deer (gibt es z.B. im Alsterhaus) dazu.

Die Bücher von Fachautoren sind erfolgreich

Die moderne Familie, wie definiert sie sich nur? Zum einen durch Produktauswahl, das Erscheinungsbild, zum anderen auch durch die Art und Weise der Erziehung: Aktuelle Strömungen, die sich stark viral durch die sozialen Medien verbereiten und Anhänger finden, sind Konzepte, die das Kind mit seinen natürlichen Bedürfnissen, Kooperationswillen und gegenseitige Wertschätzung sowie die sichere Bindung an Elternteile und enge Bezugspersonen fokussieren. Schlagworte, die fallen sind „attached parenting“, „geborgen wachsen“, „artgerecht erziehen“. Autorinnen und Mütter wie die Kleinkindpädagogin Susanne Mierau, Fachautorin Nora Imlau oder auch der schreibende Kinderarzt Herbert Renz-Polster stärken Eltern mit ihren klaren, wissenschaftlich fundierten Konzepten den Rücken.

Auch auf dem Tisch soll es den Eltern gefallen – ein Snackbecher mit Silikonrand.
Auch auf dem Tisch soll es den Eltern gefallen – ein Snackbecher mit Silikonrand. © Done by Deer | Done by Deer

Gerade in Zeiten, wo Themen wie Vereinbarkeit von Beruf und Familie, sicheres Einkommen versus Familienzeit oder Familienleben in der Großstadt versus Landleben beleuchtet werden. Väter tragen selbstverständlich Säuglinge im Tragetuch, Mütter fungieren als Hauptverdiener, der Nachwuchs wird ohne die Hilfe von Großeltern, die in der Nähe leben, aufgezogen. Alle Lebensmodelle und Rollenverteilungen sind denkbar und werden gelebt, mit ihren jewei­ligen Vor- und Nachteilen. Bestätigung oder Hilfestellung suchen junge Eltern heute nicht mehr ausschließlich bei den eigenen Eltern, vielmehr gründen sich Online-Communitys oder Freunde werden vermehrt zu Ratgebern und dadurch zum erweiterten Familienkreis.

Eltern suchen in Online-Communitys Hilfestellung

Auch im Bereich der Babypflege setzen sich Trends durch, die bereits vom Erwachsenenmarkt erobert wurden: Bio, öko, fair. Das bemerkten auch die Macher der Traditionsmarke Weleda, die bereits 1921 gegründet wurde und einen wahren Aufschwung erlebt.

„Seit Jahren wächst der Markt der Naturkosmetik überproportional zum Gesamtmarkt“, erklärt Claudia Schiller, PR-Managerin für den Bereich Arzneimittel und Naturkosmetik, „der Trend ist auf den zunehmend kritischeren Konsumenten zurückzuführen, der Themen wie unbedenkliche Inhaltsstoffe, Tier- und Umweltschutz sowie Ökologie in den Fokus seiner Kaufentscheidung rückt. Im Bereich der Baby- und Kinderpflege bewegt sich Weleda als Pionierin der natürlichen Babypflege in einem stark konventionell geprägten Umfeld und ist hier der bedeutendste Hersteller von Naturkosmetik.“

Sehr beliebt: Babypflegeprodukte von Weleda

Bedeutet beispielsweise: Das bereits 1959 von Weleda entwickelte Babypflegeprodukt, das heutige Calendula Pflegeöl, wird aktuell stärker denn je nachgefragt. Eltern gutieren, dass die enthaltenen Calendula-Blüten in Bio-Qualität im hauseigenen Heilpflanzengarten von Hand gepflückt werden, dass für die Babyprodukte rein pflanzliche Rohstoffe verwendet werden, die keine synthetischen Duft-, Farb- oder Konservierungsstoffe enthalten und frei von Mineralölen sind. Einen höheren Preis, als der, der von den konventionell produzierenden Platzhirschen und Mitbewerbern aufgerufen wird, zahlen mittlerweile viele Eltern zum Wohle des Babys.

In kaum einem anderen Segment wie der Kinderernährung lässt sich erkennen, dass Eltern heutzutage höhere Ansprüche, mehr Fachwissen, aber auch die Qual der Wahl durch eine Masse an Wahlmöglichkeiten haben: Fertigbrei, Gläschen, passierte Nudelgerichte in Beutelform, Pulver zum Anrühren, mit Aufkochen oder ohne, welches Herstellungsverfahren, Zutaten in welcher Qualitätsstufe, laktosefrei, bio oder doch selber kochen?

Bei der Nahrung geht der Trend zu mehr Natürlichkeit

Die Wahl der Art der Ernährung hat viel mit dem Lebenswandel, den Alltagsumständen des Elternpaares zu tun, dennoch scheint sich im Bereich der Fertignahrung für Kleinkinder eine Strömung durchzusetzen: Eine Hinwendung zu mehr Natürlichkeit im Supermarkt- oder Drogerieregal. „Die Fertignahrung entspricht einfach nicht mehr dem Anspruch der heutigen gesunden Ernährung“, sagt Sebastian Haupt. „Convenience-Produkte werden in der Regel seit den 80er- und 90er-Jahren gleich hergestellt.“

Nicht mehr zeitgemäß, meint Haupt, der Mitinhaber der seit März 2018 am Markt agierenden Firma Tummy Love ist und sogenannte Frucht-Gemüse-„Quetschies“ herstellt. „Ist dir schon mal aufgefallen, dass Babynahrung oft bis zu zwei Jahre haltbar ist?“, fragt Haupt provokativ. Das liege daran, dass solche Produkte mithilfe ex­tremer Temperaturen von bis zu plus 120°C konserviert werden. „Dadurch gehen viele Vitamine und andere Nährstoffe verloren. Statt Hitze setzen wir auf das ,kalte‘ Hochdruck-Konservierungsverfahren HPP“, sagt er.

Bei der Hitze-Konservierung gehen viele Vitamine verloren

Dadurch würden unliebsame Bakterien und Keime zerstört, die natürlichen Inhaltsstoffe der Zutaten blieben aber verschont. Geschmacklich ist auf jeden Fall ein Unterschied feststellbar, dazu fällt positiv auf, dass auch die Breifarbe genauso aussieht wie die Inhalte. Allerdings müssen die höherpreisigen Quetschbeutel (Einzelpreis ca. 2,49 Euro) im Kühlschrank aufbewahrt werden, weshalb sie auch per Express-Versand mit besonderen Kühlakkus nach Hause verschickt werden.

Übrigens auch ein Trend, den die Mütter der 80er-Jahre sich vielleicht gewünscht hätten: Online-Abos für Babyprodukte. Heute kommen personalisierte Öko-Windelpakete z. B. über Amazon monatlich ins Haus und auch für Milchpulver bieten Firmen wie Löwenzahn organics mittlerweile zugeschnittene Lieferungen.

Zähneputzen wird zum Kinderspiel

Und auch das leidige Thema Zähneputzen ist nicht mehr nur aufs Bad beschränkt – mit Produkten wie der Playbrush-Zahnbürste, einer elektrischen Kinderzahnbürste oder einem Aufsatz für die Handzahnbürste, welcher jeweils per Bluetooth mit dem elterlichen Handy oder Tablet verbunden wird, können durch die Putzbewegungen des Kindes Spiele gespielt werden. Dadurch bekommt das meist ungeliebte Zähneputz-Ritual schon fast Event-Charakter, zum anderen lenkt die App durch individuelle Anweisungen zwischendurch die Führung der Zahnbürste. Was dennoch am Ende bleibt: Eltern müssen nachputzen. Morgens und abends. Und das war auch in den 80ern schon so.