Hamburg. Auf dem Elbe-Seitenkanal bei Scharnebeck hatte sich ein rund 500 Meter langer bunt schillernder Ölfilm ausgebreitet.

Ein bisschen ist es wie Camping auf dem Wasser. Auf seinem knapp zehn Meter langen Kajütboot kann Rüdiger R. wahrlich nicht in Luxus schwelgen, aber er hat alles, was er zum Herumtuckern und gelegentlichen Übernachten auf der Elbe und ihren Nebenflüssen braucht. Es ist ein Vergnügen in der Idylle, das sich der pensionierte Maurer immer wieder gönnt, gern ohne Begleitung. Doch im August 2018 bekam der 72-Jährige an seinem Boot uneingeladenen Besuch, den er schwerlich einfach so wieder wegschicken konnte. Es war die Polizei.

Die Beamten waren einer Gewässerverunreinigung auf der Spur. Auf dem Elbe-Seitenkanal bei Scharnebeck, in der Nähe eines Rudervereins, hatte sich ein bis zwei Meter breiter und 500 Meter langer bunt schillernder Ölfilm auf der Wasseroberfläche ausgebreitet. Weil er diese Verschmutzung durch ein Betätigen der Lenzpumpe verursacht haben soll, muss sich Rüdiger R. jetzt vor dem Amtsgericht verantworten. Gegen einen zuvor erlassenen Strafbefehl, einem schriftlichen Urteil ohne Verhandlung über 40 Tagessätze à 50 Euro, hatte er Einspruch eingelegt. „Mir ist ein Rätsel, wie das Öl dahin gekommen sein soll“, überlegt der Angeklagte, ein Mann von kräftiger Statur, mit bedächtiger Stimme. „Denn wo kein Öl ausgetreten ist, kann auch kein Öl sein“, argumentiert er. „Die Polizisten und ich haben am Schiff alles aufgemacht, um ein Leck zu finden. Da war keins.“

Und so wittert der Hamburger eine bösartige Diffamierung. Ein Ruderer habe sein Boot kritisch beobachtet, erzählt Rüdiger R. Offenbar habe dieser ihn bei den Behörden angeschwärzt. „Der Ruderer hatte mir vorgeschlagen, dass ich ihm 100 Euro zahle. Aber wenn ich das gemacht hätte, hätte er mich bestimmt trotzdem angezeigt und sich ins Fäustchen gelacht.“ Der Vorsitzende winkt ab. Rivalitäten zwischen Wassersportlern wie Ruderern und Seglern auf der einen Seite und Motorbootfahrern auf der anderen Seite aufzulösen, sei nicht Aufgabe des Gerichts. Jedenfalls spreche viel dafür, dass Rüdiger R. Verursacher des Ölfilms sei, erklärt der Richter.

Rüdiger R. gab sich ahnungslos

In der Bilge, dem untersten Bereich eines Schiffs direkt über den Planken, sammelt sich Wasser, das häufig mit Kraftstoff vermischt ist. Wenn man die Bilge abpumpe, komme oft Öl mit heraus. „Und laut Akte ist an der Lenzpumpe Ihres Bootes eine sogenannte Wischprobe entnommen worden. Ein Gutachten hat ergeben, dass eine große Wahrscheinlichkeit besteht, dass die verunreinigende Flüssigkeit aus Ihrem Boot kommt.“ Die Miene des Angeklagten hellt sich auf. „Die gleiche Suppe? Große Wahrscheinlichkeit? Also ist es nicht erwiesen!“, triumphiert R..

Laut einem Zeugen von der Polizei gab Rüdiger R. sich seinerzeit ahnungslos, als sie ihn auf den deutlichen Ölfilm aufmerksam machten, der offensichtlich unmittelbar von seinem Boot ausging. „Oh, das habe ich gar nicht gesehen, dass hier was war“, sagte der Freizeitkapitän demnach. Und dass er keine Ahnung habe, woher die schlierige Verschmutzung kommen könne. Der Polizist und ein weiterer Beamter kamen zur Ursachenforschung an Bord. „Ich bat ihn, den Motor anzulassen und einmal im Kreis zu fahren. Da ist nichts gewesen“, erinnert sich der Zeuge. Doch am Rumpf des Bootes sei ein kleines Loch gewesen.

Analyse der Uni Hamburg

„Da war es ein bisschen schlierig.“ Der 72-Jährige erklärte den Polizisten, dass es sich hierbei um den Lenzausgang handele, also eine Öffnung zum Ablassen von Flüssigkeit, wie zum Beispiel Wasser aus dem Bootsinneren. „Aber Öl oder Diesel darf natürlich nicht abgelassen werden“, stellt der Polizist klar. Der Kollege des Zeugen machte im Bereich der Lenzpumpe die Wischprobe und war überrascht. „Das ist erstaunlich sauber bei Ihnen“, attestierte er dem Bootseigner. Zudem schöpfte der Beamte mit einem verschließbaren Glasbehälter etwas von dem schillernden Wasser vom Ostufer des Elbe-Seitenkanals. Wischprobe und das verunreinigte Wasser wurden zur Analyse zu einer chemischen Fachabteilung der Uni Hamburg gebracht. Das Ergebnis: Zwischen der Gewässerprobe und dem Kraftstoff aus Rüdiger R.s Boot gab es keine Übereinstimmung, wohl aber mit der Bilge-Wischprobe aus dem Lenzausgang. Die sei „mit großer Wahrscheinlichkeit identisch“.

Staatsanwältin und Richter versuchen den Angeklagten zu überzeugen, dass er den Einspruch gegen seinen Strafbefehl zurücknimmt. „Die Geldstrafe war sehr moderat“, meint die Anklägerin. „Im Urteil würde es für Sie teurer werden.“ Und der Vorsitzende listet auf, was alles auf eine Schuld des Angeklagten hindeutet. „Die Ölspur begann an Ihrem Boot. Und Sie haben es gehört: Die Wischprobe war identisch! Und Bilgen haben eine sehr individuelle Zusammensetzung.“ Es spreche viel dafür, dass Rüdiger R. die Bilge an seinem Standort am Elbe-Seitenkanal gereinigt beziehungsweise abgepumpt habe. Der 72-Jährige gibt sich noch immer ratlos. „Ich kann mir das nicht erklären. Aber wenn das so ist, nehme ich meinen Einspruch zurück.“ Damit wird das Urteil von 40 Tagessätzen zu 50 Euro rechtskräftig. Nachdenklich schreitet Rüdiger R. von dannen, mit wiegendem Schritt. Als fühle er sein schwankendes Boot unter seinen Füßen.