Hamburg. Aus Rache tötete der Angeklagte sein Kind vor den Augen der Mutter und erstach auch sie. Besondere Schwere der Schuld festgestellt.
Er hat sich widersetzt. Er hat sich verweigert. Er hat sich abgewendet und sich die Ohren zugehalten. An den meisten der letzten Verhandlungstage hat Mado Bido M. nur zu deutlich demonstriert, dass er am liebsten gar mehr dabei wäre in diesem Prozess um die Tötung zweier Menschen am Jungfernstieg.
Aus Wut vielleicht oder weil er sich schlecht behandelt fühlte? Doch am Freitag, bei der Urteilsverkündung, verhält sich der 35-Jährige überraschend ruhig. Im schwarzen Anzug sitzt der angeklagte Mann aus Niger wie ein Musterschüler da und nimmt das Strafmaß mit unbewegter Miene zur Kenntnis: lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes in zwei Fällen. Der Vorsitzende Richter bescheinigt dem Angeklagten, dieser habe „etwas Furchtbares angerichtet“.
Und tatsächlich ist das Verbrechen, das Mado Bido M. begangen hat, auch in einer Stadt wie Hamburg, in der gewaltsame Tötungen von Menschen jedenfalls nicht eine absolute Seltenheit darstellen, etwas, das die Menschen in besonderem Maße erschüttert und entsetzt hat: Ein Mann sticht mit einem langen Messer auf seine frühere Partnerin und die kleine gemeinsame Tochter ein - mitten im Herzen der Stadt, am Bahnhof Jungfernstieg und vor den Augen vieler Passanten. Die Verletzungen der beiden Opfer sind so schwerwiegend, dass Mutter und Tochter trotz schneller Rettungsversuche keinerlei Chance haben. Mariam stirbt durch einen extrem tiefen Schnitt in den Hals. Noch heute müssen einige der Leute, die Zeugen der Bluttaten vom 12. April vergangenen Jahres wurden, therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen. M
Schlimmes Leid über viele Menschen gebracht
Mit der Tötung der kleinen Mariam, die nur 21 Monate alt wurde, und deren Mutter Sandra P. habe Mado Bido M. schlimmes Leid über viele Menschen gebracht, sagt der Vorsitzende Richter Joachim Bülter. Zusätzlich zur lebenslangen Haft stellt die Kammer die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten fest. Das bedeutet, dass eine vorzeitige Entlassung aus dem Gefängnis nach 15 Jahren praktisch ausgeschlossen ist. Das übliche Maß der Schuld sei unter anderem wegen der Tötung gleich zweier Menschen „deutlich überschritten“, so der Richter. Die Verbrechen seien aus niedrigen Beweggründen und heimtückisch erfolgt. Insbesondere Mariam, die gemeinsame Tochter des Angeklagten und der getöteten Sandra P., sei „besonders hilflos und schutzbedürftig“ gewesen. Die Tötung seiner Tochter habe Mado Bido M. begangen, um sich an Sandra P. zu rächen, weil er geglaubt habe, sie habe ihm das Kind entziehen wollen. Er habe seine „uneingeschränkte Macht“ demonstrieren wollen und die kleine Mariam „ als Objekt seiner Rache instrumentalisiert“. Das Motiv von Mado Bido M. für den Mord an dem kleinen Mädchen stehe „auf tiefster Stufe“ und sei „besonders verwerflich“. Zudem seien beide Morde in der Öffentlichkeit begangen worden, und die Tat an Mariam sei durch eine besonders „plakative und demonstrative Tötungsart“ erfolgt.
Arg- und Wehrlosigkeit ausgenutzt
Mit dem Verbrechen habe Mado Bido M. zudem die vier weiteren Kinder der 34 Jahre alten Frau, die sie mit anderen Männern hatte, zu Halbwaisen gemacht. Er habe das Recht „in die eigene Hand genommen“ . Auch bei Sandra P. habe der seit 2013 in Hamburg lebende Mann deren Arg- und Wehrlosigkeit mit einem Stich in den Rücken ausgenutzt. Er habe dem möglichen „tödlichen Ausgang“ der schweren Verletzung „gleichgültig gegenüber gestanden“. Dass die Tat im Affekt begangen sein könne, schließt das Gericht aus. Auch habe bei dem Angeklagten mitnichten eine eingeschränkte Steuerungsfähigkeit bestanden. So hatte indes die Verteidigung argumentiert und eine Verurteilung zu einer zeitlich begrenzten Haftstrafe wegen Totschlags gefordert. Die Schwester von Sandra P. und der älteste Sohn der Getöteten erleben die Urteilsbegründung mit. Insbesondere, als die eigentliche Tat erneut geschildert wird, laufen der Schwester Tränen über das Gesicht. Später wird Rechtsanwältin Claudia Krüger, die die Schwester, die Mutter und den Sohn des Opfers vertritt, über das Urteil sagen: Trotz des schwerwiegenden Verlustes seien sie „sehr zufrieden mit der juristischen Aufarbeitung dieser Tragödie“. Die Strafe, die das Gericht verkündet hat, sei „das Maximum, was wir rechtlich erreichen konnten“.
Durch „schwarze Magie und Voodoo“ entzweit
Zum Ende der Urteilsverkündung wendet sich auch der Vorsitzende an die Angehörigen: Er wünsche ihnen, dass sie „irgendwann zur Ruhe kommen mögen“ und eines Tages „die Schwere des Verlustes überwinden“ könnten. Hintergrund für die Tat war nach Überzeugung des Gerichts, dass Mado Bido M. uneingeschränktes Umgangsrecht für seine Tochter gefordert hatte und eine Art Besitzanspruch an ihr zu haben glaubte. Sandra P. hatte mittlerweile einen neuen Partner, den sie als den „sozialen Vater“ ihrer Tochter bezeichnet hatte. Mado Bido M. hatte nicht einsehen wollen, dass der aktuelle Freund der Mutter uneingeschränkten Umgang mit Mariam haben könne und er nicht. Der 35-Jährige hatte angenommen, dieser Mann habe Mado Bido M. und Sandra P. durch „ schwarze Magie und Voodoo“ entzweit. Er hatte wiederholt betont, unter anderem bei einer Verhandlung vor dem Familiengericht, dass Mariam „sein Blut“ sei. Und er hatte gedroht, er würde sich, Sandra P. und der Tochter etwas antun. Unter anderem hatte er daran erinnert, wie ein Jahr zuvor ein zwei Jahre altes Mädchen in Neugraben-Fischbek umgekommen war: weil dessen Vater ihr nahezu den Kopf abgetrennt hatte. Diese Drohungen hatten Sandra P. zwar verunsichert, doch sie hatte nicht ernsthaft geglaubt, sie oder ihre Tochter seien in Gefahr.
„Ich bitte um Vergebung“
Als sich die ehemaligen Partner am 12. April in einer S-Bahn eher zufällig getroffen hatten, war ein Streit zwischen ihnen ausgebrochen und eskaliert. Auf dem Bahnhof Jungfernstieg schließlich zog Mado Bido M. ein Messer, das er bereits zu Hause eingesteckt hatte, aus seinem Rucksack, tötete mit Messerstichen zuerst seine Tochter und dann auch deren Mutter. Danach hatte sich der 35-Jährige der Polizei gestellt. Schon beim ersten Notruf hatte er gesagt, er habe „einen Fehler mit seiner Tochter gemacht“. Die sei „jetzt tot“. Zum Prozessauftakt hatte er gesagt, seine Taten seien „bei Gott eine Sünde“. Der Angeklagte hatte in seinem letzten Wort kritisiert, dass er nicht in sein Heimatland Niger zurückkehren dürfe. Die Taten, die er begangen hat, seien aber „eine Sünde“, wiederholte er. „Ich bitte um Vergebung.“