Hamburg. Wandsbek ändert Bebauungsplan im grünen Vorort, um dem „Missbrauch“ des Baurechts vorzubeugen und alte Strukturen zu retten.
Der Bezirk Wandsbek beugt sich der Kritik einer Bürgerinitiative und ändert das Baurecht am Volksdorfer Wald. Das soll der überbordende Nachverdichtung einen Riegel vorschieben und der „ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers“ wieder zu ihrem Recht verhelfen.
Wer glaubt, dass in der Nachbarschaft nur Einzel- und Doppelhäuser gebaut werden dürfen und feststellen muss, dass Geschosswohnungen und Reihenhäuser entstehen, der wohnt zum Beispiel im Rahlstedter Ortsteil Meiendorf.
Wer nachfragt, wie das möglich sei, wenn doch das geltende Baurecht im Wortlaut klar und deutlich nur Wohngebäude mit bis zu zwei Wohneinheiten erlaube, dem beschieden Politik und Verwaltung bisher achselzuckend, dass die „neuere Rechtsprechung“ schuld sei und ein Einzelhaus eben kein Einzelhaus, sondern gelegentlich auch mal ein Mehrfamilienhaus sei.
Den Bürgern wurde es zu bunt
Das wurde den Meiendorfern im Juni 2018 zu bunt. Sie gründeten die Bürgerinitiative „Meiendorf erhalten – Bebauungsplan beachten“ und erklärten, dass das Recht nicht beliebig gebeugt werden könne und im Übrigen im Mai 2019 Wahlen zur Bezirksversammlung anstehen. Denn die Politik hatte die beanstandete Baugenehmigungspraxis keineswegs ohnmächtig und bedauernd, sondern positiv begleitet. Jetzt macht sie kehrt.
Auf Initiative von Rot-Grün beschloss die Bezirksversammlung Wandsbek einstimmig, dass die überbordende Nachverdichtung begrenzt werden müsse, weil sie das Gesetz jahrelang „missbraucht“ habe, „die ursprüngliche Absicht des Gesetzgebers und das Rechtsempfinden der Bevölkerung verletze“ und die Grundstückspreise „durch die Baugenehmigungspraxis in geradezu absurder Weise verteuere“.
Das zu Tode definierte Einzelhaus
Zugleich erließen die Politiker eine „Veränderungssperre“, der gemäß alle neu eingehenden Bauanträge für das Gebiet zurückstellt oder nach der restriktiven alten, aber vor langer Zeit ad acta gelegten Rechtsauslegung entschieden werden müssen.
Knackpunkt ist der Bedeutungswandel des Wortes „Einzelhaus“. 1982, zur Geburtsstunde des Meiendorfer Bebauungsplanes „Rahlstedt 78“, war das Einzelhaus ein im Schnitt 130 Quadratmeter großes Heim für eine Familie. Doch um die Jahrtausendwende mutierte es unter Juristen zu einem massigen Monster. In einem Merkblatt auf der städtischen Internetseite hamburg.de heißt es zur Erklärung für die Bauprüfer der Bezirksämter: „Ein Einzelhaus ist ein allseitig freistehender Baukörper mit Abstand zu den seitlichen und rückwärtigen Grundstücksgrenzen und einer maximalen Länge von 50 Metern. Die Anzahl der Hauseingänge, Geschosse oder Wohnungen ist unerheblich. Zu den Einzelhäusern rechnen auch auf einem Grundstück stehende mehrgeschossige Wohnblocks und Hochhäuser. Ein Einzelhaus kann aus mehreren Gebäuden bestehen, solange der erforderliche Grenzabstand eingehalten ist. Mehrere aneinandergebaute Wohngebäude mit getrennten Eingängen (umgangssprachlich als Doppelhaushälften- oder Reihenhausscheiben bezeichnet) bilden insgesamt ein Einzelhaus, wenn sie auf einem gemeinsamen Grundstück stehen.“
Gerichturteil öffnet Betonschleusen
Diese Definition geht zurück auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom vom 24. Februar 2000. Ulf Hellmann-Sieg, Vorstand im Hamburger Grundeigentümerverband und Fachanwalt für Verwaltungsrecht: „Demnach definiert sich ein Einzelhaus allein durch seine Abstände zur Grundstücksgrenze.“ Außerdem war die Justiz der Meinung, dass die korrigierte Auslegung „dynamisch“ auf alle Bebauungspläne anzuwenden sei. Sie galt also auch rückwirkend. Die Betonschleusen waren geöffnet.
Sämtliche Bebauungs- und Baustufenpläne, in denen das Wort Einzelhaus für Beschränkungen von Baumaßen oder Mengen von Wohneinheiten pro Grundstück gebraucht worden war, änderten ihre Bedeutung. Die sogenannte „Zweiwohnungsklausel“, die die Anzahl der Wohneinheiten pro Gebäude in vielen Hamburger Bebauungsplänen limitierte, wurde atomisiert. Denn im „Einzelhaus“ finden laut Definition ja mehrere „Gebäude“ Platz. Die Richter hatten gesehen, was das anrichten konnte. Hellmann-Sieg: „Schon 1998 hatte das oberste Verwaltungsgericht einen Ausweg aus dem Dilemma aufgezeigt. Es ist nämlich durchaus möglich, die Zahl der Wohnungen an die Grundstücksgröße zu koppeln und zum Beispiel je 500 Quadratmeter Grundstück nur eine Wohnung zuzulassen.“
Die Politik ließ es laufen
Die Politik hätte also korrigierend eingreifen und ihre aus richterlicher Sicht handwerklich unsauberen Bebauungspläne reparieren können. „Das ist kein Hexenwerk und hätte keine 18 Jahre dauern müssen“, sagt Hellmann-Sieg.
Die Politik nutzte aber lieber den Spielraum, der sich jetzt eröffnete. Die SPD profilierte sich als Motor des Wohnungsbaus und begrüßte jede zusätzliche Wohneinheit auch am Stadtrand. Die Grünen trugen es mit. Das verschärfte die klassischen Interessengegensätze in Einfamilienhaus-Gegenden wie den Walddörfern oder den Elbvororten, deren Bewohner seit Jahrzehnten gegen das „Zubetonieren“ ihrer zumeist durch Einzel- und Doppelhäuser charakterisierten Wohnviertel kämpfen.
Jetzt reagiert die Politik - für einen Einzelfall
Jetzt schließen Politik und Verwaltung die Betonschleusen in Meiendorf mit ihrem Beschluss auf genau dem Weg, den die Rechtsexperten empfohlen und die Politiker angeblich nie gefunden haben. Er sieht zwar ein förmliches Verfahren vor, das aber auf den Textteil beschränkt ist und insofern wenig Arbeit macht.
Schon entstehen weitere Begehrlichkeiten. Die traditionell eigenheimerfreundliche CDU regt an, sich gleich drei betroffene Volksdorfer B-Pläne und einen in Wohldorf-Ohlstedt genauer anzusehen. Doch Rot-Grün in Wandsbek winkt ab. Die Korrektur des Baurechts für Meiendorf sei ein Einzelfall und kein Muster. Es gehe um die „besondere Situation“ des nahen Volksdorfer Waldes und seinen Wasserhaushalt, sagt Wandsbeks Grünen-Fraktionschef Oliver Schweim. Deshalb wolle und könne man in der Nachverdichtungsfrage „nicht pauschalisieren.“
So wichtig ist das Rechtsempfinden auch wieder nicht
Die im Beschluss der Bezirksversammlung noch konstatierte Unverträglichkeit von Recht und Rechtsempfinden der Bürger, in der Antragsbegründung ausdrücklich als ein Hauptgrund für die Korrektur des B-Plans angeführt, soll also jenseits der Stadtteilgrenzen von Meiendorf nicht mehr gelten und ausgehalten werden.
In den Elbvororten hat man gleich andere Wege beschritten. Es seien „großflächig Mileuschutz- und Erhaltensverordnungen“ erlassen worden, hieß es aus der CDU Altona. Auch der Denkmalschutz spiele eine „erhebliche Rolle“. Deshalb sei „schon eine Abrissgenehmigung oft kaum zu erwirken“. Um die Betonflut einzudämmen, wurden also Rechtsnormen aus ganz anderen Themenfeldern benutzt. Denn es war etwas vorhanden, was in Wandsbek lange nicht vorhanden war: politischer Wille.