Hamburg . Viele Kinder an Hamburger Schulen sprechen nur unzureichend Deutsch. Nun sollen die Lehrer in vielen Fächern darauf eingehen.
Auf den ersten Blick sehen die Sportgeräte der Grundschule Ohrnsweg in Neugraben/Fischbek so aus wie in anderen Schulen auch. Auf den zweiten Blick fällt auf, dass der Barren einen blauen Punkt hat und das Reck einen grünen. Auch der Tisch im Klassenzimmer hat einen blauen Punkt. Die Farben bezeichnen die Artikel (der, die das). Für die Schüler, deren Muttersprache nicht Deutsch ist, sind die Artikelfarben eine kleine, aber wichtige Hilfe, die Alltagssprache zu lernen.
Zwei Jahre lang haben 43 Schulen – darunter die Grundschule Ohrnsweg – an dem Modellprojekt „Deutsch als Zweitsprache im Fachunterricht“ teilgenommen. Ziel ist es, dass Schülerinnen und Schüler mit schwachen Deutschkenntnissen in allen Fächern neben dem eigentlichen Lernstoff auch lernen, besser Deutsch zu sprechen.
Rabe: Schulsystem auf Herausforderungen eingestellt
Mathe-, Naturwissenschafts- und Gesellschaftslehrer der teilnehmenden Schulen wurden auf die neue Aufgabe mit Fortbildungen intensiv vorbereitet. „Der Fachunterricht soll kein Deutschkurs werden“, sagte Marika Schwaiger, die am Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung (LI) für den Bereich Deutsch als Zweitsprache und Sprachförderung zuständig ist. Eher gehe es darum, dass Lehrer umdenken und erkennen, wo Verständnislücken aufgrund von Sprachproblemen entstehen können. Laut Schwaiger sind es zum Beispiel bei Textaufgaben im Mathe-Unterricht weniger die Fachbegriffe, die Probleme bereiten. „Diese Begriffe sind in anderen Sprachen oft ganz ähnlich. Anders ist es bei Wörtern wie in, an, auf oder doch“, sagte Schwaiger.
Im Unterricht wird etwa der „Textaufgaben-Fächer“ aus kleinen Papierstreifen eingesetzt, mit dem in kleinteiligen Schritten anhand von Leitfragen der Inhalt des Textes erarbeitet werden kann. „Erst im neunten Schritt wird dann gerechnet“, erläuterte Schwaiger. „Wir haben sehr viele Schüler, die von Zuhause bei der Sprachentwicklung zu wenig Rückenwind mitbekommen. Hinzu kommen die Schüler, die im Zuge der Flüchtlingswelle nach Deutschland gekommen sind “, sagte Schulsenator Ties Rabe (SPD). Das Schulsystem habe sich auf diese Herausforderungen eingestellt – unter anderem mit speziellen Unterrichtsmaterialien, die bereits von anderen Ländern übernommen würden, und dem Modellprojekt. „Wir nutzen dabei die große Ressource aller Fächer. Zugleich mit dem jeweiligen Fach wird immer auch die deutsche Sprache unterrichtet“, so Rabe.
Schulen melden Erfolg, Opposition übt Kritik
Nach Auskunft der teilnehmenden Schulen ist das Projekt sehr erfolgreich. Deswegen soll der Ansatz jetzt Schritt um Schritt auf andere Schulen ausgeweitet werden – auf freiwilliger Basis. Die Sprachförderung wendet sich an drei Schülergruppen: zum einen an die Flüchtlingskinder, von denen 5700 in den Regelklassen und 3100 in den einjährigen Vorbereitungsklassen unterrichtet werden, zum anderen an die anderen Schüler mit Migrationshintergrund und schließlich die Schüler, die aus deutschsprachigen Familien stammen, aber trotzdem schlecht Deutsch sprechen.
„Senator Rabe muss nun doch zugeben, dass die bisherigen Sprachfördermaßnahmen nicht ausreichen und der Übergang von Vorbereitungs- in Regelklassen nicht so reibungslos verläuft, wie er gern behauptet“, sagte Birgit Stöver, schulpolitische Sprecherin der CDU-Bürgerschaftsfraktion. Stöver fordert, dass bislang nur befristet in der Flüchtlingsbeschulung beschäftigte Lehrkräfte mit der Qualifikation „Deutsch als Zweitsprache“ eine langfristige berufliche Perspektive als Lehrer erhalten. „Ich begrüße die Pläne der Behörde ausdrücklich, die Förderung der sprachlichen Reife in den Mittelpunkt des gesamten Fachunterrichts zu stellen und das laufende Modellprojekt aus weitere Schulen auszuweiten“, sagte Linke-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus.
„Senator Rabe verspricht Rückenwind für die Schüler, liefert aber nur ein laues Lüftchen“, sagte dagegen FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein. Das Modellprojekt reiche bei Weitem nicht aus. „Außerdem erwarten wir, dass der Senator den Nachweis der Wirksamkeit der bisherigen Sprachfördermaßnahmen bringt“, sagte von Treuenfels-Frowein.