Hamburg. Im mächtigen Kreisverband Hamburg-Nord zeichnet sich ein Nein zum längeren Lernen am Gymnasium ab. Andere Parteien warten ab.

Es war ein stürmischer Rollen- und Stimmungswechsel, wie das politische Leben ihn bisweilen mit sich bringt: Eben noch hatten sie sich im Plenum der Bürgerschaft bei den heißen Eisen der Schulpolitik einigermaßen kräftig beharkt, jetzt saßen sie direkt nebenan im stillen Raum A mit Blick auf Rathausmarkt und Mönckebergstraße, um über die Verlängerung des 2020 auslaufenden Schulfriedens zu verhandeln: die Fraktionsvorsitzenden Dirk Kienscherf (SPD), André Trepoll (CDU), Anjes Tjarks (Grüne) und Anna von Treuenfels-Frowein (FDP) sowie Schulsenator Ties Rabe (SPD).

Im Schulfrieden von 2010 hatten CDU, Grüne und SPD (damals in der Opposition) vereinbart, dass die Schulstruktur aus Grundschule, Gymnasium und Stadtteilschule unangetastet bleiben soll. Während SPD und Grüne als Senatsparteien verständlicherweise ein großes Interesse an der Verlängerung des Schulfriedens haben – die häufig umkämpfte Bildungspolitik wäre damit ein Stück weit aus dem Wahlkampf herausgenommen –, wollen CDU und FDP als Opposition ihre Hand zum Frieden nur bei substanziellen Verbesserungen für die Schulen reichen.

Zusätzliche Komplikation

Die aktuelle Lage ist zusätzlich kompliziert geworden, seit CDU-Fraktionschef Trepoll seine Partei aufgefordert hat, über die Rückkehr zum ein Jahr längeren Lernen am Gymnasium (G9) zu diskutieren. In Hamburg wird G9 bereits flächendeckend an den Stadtteilschulen angeboten, die ein Alleinstellungsmerkmal verlieren würden. Trepoll liebäugelt mit der Rückkehr zu G9 am Gymnasium auch deswegen, weil die schleswig-holsteinische CDU nicht zuletzt mit genau dieser Forderung den Regierungswechsel an der Kieler Förde erreicht hat. Zuletzt hat Trepoll Rückenwind für seinen Vorstoß durch die Abendblatt-Umfrage bekommen, nach der 76 Prozent für eine Rückkehr zu G9 am Gymnasium sind.

Bis auf die AfD, die für ein Optionsmodell plädiert, ist keine andere Partei für eine Verlängerung der Schulzeit. „Wer jetzt eine neue G8/G9-Debatte anzettelt, gefährdet den Schulfrieden“, hatte Schulsenator Rabe in der Bürgerschaftsdebatte gesagt und davor gewarnt, dass die Stadtteilschulen „ausbluten“ könnten. Kienscherf unterstellte Trepoll, er versuche nur, nach dem „letzten Strohhalm“ zu greifen, um von den 14 Prozent wegzukommen, die die CDU bei der Sonntagsfrage erhalten hatte. Für von Treuenfels-Frowein würde ein G9-Angebot an Gymnasien bedeuten, dass die Stadtteilschulen zu „Resteschulen“ würden. Doch auch in Trepolls Partei ist die Rückkehr zu G9 umstritten. Die Schulpolitiker, darunter auch die stellvertretende Fraktionsvorsitzende Birgit Stöver, sind gegen die Abkehr von G8, das die CDU 2002 zusammen mit FDP und Schill-Partei gestartet hatte.

Kritik vom Kreisverband Hamburg-Nord

Doch Gegenwind kommt auch aus dem mächtigen Kreisverband Hamburg-Nord. Dem Kreisparteitag in der kommenden Woche liegt ein Antrag der Bürgerschaftsabgeordneten Richard Seelmaecker und Jens Wolf sowie des Ex-Schulstaatsrats Reinhard Behrens vor, der Klartext spricht. „Würden die Gymnasien wieder auf G9 umgestellt werden, erzeugte dies eine organisatorische Großbaustelle, die zulasten der Qualität ginge“, heißt es in dem Antrag und weiter: „Durch die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums würden die Stadtteilschulen schnell zu Restschulen ohne jede Abiturperspektive zurückschrumpfen.“ Außerdem gebe es keine wesentlichen Unterschiede zwischen den Lernständen nach acht und nach neun Jahren Gymnasium.

Die Annahme des Antrags gilt als sicher. Der CDU-Kreischef und Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß unterstützt zwar Trepolls Initiative, über die Rückkehr zu G9 zu diskutieren, weil viele Menschen das Thema bewege. „In der Schulpolitik zentral sind aus meiner Sicht jedoch in erster Linie Antworten auf Fragen, wie der häufig schlechte Zustand der Schultoiletten verbessert werden soll, wie die digitale Infrastruktur modernisiert und wie der Lehrermangel beendet wird. Das sind die drängenden Themen an Hamburgs Schulen. Eine flächendeckende Rückkehr zu G9 am Gymnasium halte ich nicht für zielführend“, sagt Ploß. Peng.

Bedenken auch in Altonaer CDU

Auch in den anderen Kreisverbänden der Union wird diskutiert. In der Altonaer CDU gibt es ebenfalls erhebliche Bedenken gegen den Vorstoß von Trepoll. Im größten Kreisverband Wandsbek wird hingegen mit einer mehrheitlichen Zustimmung gerechnet. „Ich freue mich, dass die Partei diskutiert. Das trägt zur Belebung der innerparteilichen Demokratie bei“, sagt Trepoll.

Das eine ist die Debatte über die Sachfrage. Es gibt aber auch Stimmen in der Union, die an der strategischen Perspektive der Rückkehr zu G9 zweifeln. So müsste, heißt es, eigentlich zuerst die wichtigste offene Frage in der CDU geklärt werden: Wer wird Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020? Er oder sie müsste bei einer so zentralen Frage wie der Schulstruktur ein entscheidendes Wort mitreden können. Eine programmatische Vorprägung könnte den Kreis potenzieller Kandidaten weiter einschränken.

In drei Wochen wird weiterverhandelt

Es gibt Christdemokraten, die auf eine andere Zahl aus der Abendblatt-Umfrage hinweisen. Auf die Frage nach den größten Problemen in Hamburg nannten nur 18 Prozent Schulen und Bildungspolitik, was eher für Zufriedenheit mit der Lage spricht. Kann die Union also mit einem Schulthema aus ihrem Umfrage-Jammertal herauskommen oder geht das nicht eher an Interessen und Bedürfnissen der meisten Menschen vorbei? Andererseits: Ein Nein der Partei zu G9 am Gymnasium könnte Trepoll beschädigen, der ja weiterhin als möglicher Spitzenkandidat gilt.

In drei Wochen trifft sich die Fünferrunde der Fraktionschefs und des Schulsenators zum zweiten Gespräch über den Schulfrieden. Dabei soll es erst einmal nicht um den Streitfall G8/G9 gehen. Vielleicht ganz gut, noch hat sich die CDU ja nicht festgelegt.