Hamburg. Im Rathaus wurde hart über die Rückkehr zum Abitur nach neun Jahren an Gymnasien diskutiert. Rabe sieht Schulfrieden in Gefahr.

Hart in der Sache, aber doch erstaunlich verbindlich im Ton: Die gegensätzlichen Auffassungen in der Frage einer Rückkehr zum längeren Lernen am Gymnasium (G 9) wurden in der aktuellen Stunde der Bürgerschaft zwar sehr deutlich, aber SPD, Grüne, CDU und FDP wollten die erste Verhandlungsrunde über eine Verlängerung des Anfang 2020 auslaufenden Schulfriedens direkt im Anschluss an die Debatte offensichtlich nicht schon vorab torpedieren.

CDU-Oppositionschef André Trepoll­ war bemerkenswert milde gestimmt. „Es hat in den vergangenen Jahren in unserer Stadt spürbare Verbesserungen in der Schulbildung gegeben. Dazu haben wir alle in unterschiedlicher Verantwortung beigetragen. Darauf können wir gemeinsam stolz sein, aber wir sollten uns darauf nicht ausruhen“, so Trepoll. Hamburgs Schulen brauchten eine Qualitätsoffensive, einen neuen Schulentwicklungsplan und mehr Durchlässigkeit.

Für die CDU ist die Rückkehr zu G 9 keine Strukturfrage

Dann kam der CDU-Fraktionschef aber doch ziemlich schnell auf sein zentrales Thema. „Auch das längere Lernen am Gymnasium beschäftigt die Menschen in unserer Stadt. 76 Prozent wollen das“, sagte Trepoll und zitierte damit die Abendblatt-Umfrage aus der vergangenen Woche. Der CDU-Politiker forderte, auch über die Rückkehr zu G 9 am Gymnasium im Rahmen der Verhandlungen über den Schulfrieden zu reden.

Der seit 2010 gültige Schulfrieden schließt Veränderungen der Schulstruktur ausdrücklich aus. Die Rückkehr zu G 9 sei „keine Strukturfrage, sondern eine Qualitätsfrage“, deswegen könne darüber geredet werden. „Wenn jetzt aufseiten von Rot-Grün behauptet wird, wir wollten einen Schulkrieg anzetteln, dann ist das die Verweigerung der Debatte“, so Trepoll.

Die deutlichste Replik kam von Schulsenator Ties Rabe (SPD). „Der Schulfrieden war uns bislang heilig. Wer jetzt eine neue G-8-/G-9-Debatte anzettelt, gefährdet diesen Frieden“, sagte Rabe. Die Einführung von G 9 wäre „eine tiefgreifende Veränderung, die die Gymnasien längere Zeit durchrütteln und beanspruchen kann“.

Ties Rabe vergleicht G-9-Debatte mit dem Brexit

„Wenn jetzt auch Gymnasien G 9 anbieten, besteht die große Gefahr, dass die Stadtteilschulen, die ja G 9 haben, ausbluten und dass noch mehr leistungsschwächere Kinder an den Gymnasien angemeldet und überfordert werden“, sagte Rabe. In so einem Fall bestehe die Gefahr, dass „Hamburg in einen Schulkampf hineinschlittert“.

Rabe holte weit aus und verglich die G-9-Debatte mit dem Brexit: „Ohne jede Verantwortung wird von einigen Politikern aus wahlkampfstrategischen Gründen eine von vielen Grundstimmungen instrumentalisiert und aufgeblasen. Man zündelt halt gern und nimmt gern in Kauf, dass dabei ein großer Brand ausbricht und ein gut funktionierendes Schulsystem unter die Räder kommt.“

Anjes Tjarks erinnert an Gründe für den Schulfrieden

Grünen-Fraktionschef Anjes Tjarks erinnerte daran, warum der Schulfrieden zwischen CDU, Grünen und SPD 2010 geschlossen wurde. „Es wurde ein erbitterter Streit über die Schulstruktur beendet und gleichzeitig verabredet, das Schulsystem leistungsfähiger und gerechter zu gestalten“, sagte Tjarks. Das sei geschehen, die Leistungen der Hamburger Schüler in Deutsch, Englisch und Mathematik hätten sich im Ländervergleich deutlich verbessert, und die Zahl der Schulabbrüche sei gesunken.

Tjarks zeigte sich offen für Gespräche über eine weitere Verbesserung der Schulqualität. „Wir können auch über das Thema Entschleunigung an Gymnasien reden“, sagte der Grüne. Offen blieb, was er damit genau meinte, denn eine Rückkehr zu G 9 schloss Tjarks ausdrücklich aus. Das würde dazu führen, dass Gymnasien und Stadtteilschulen kaum mehr unterscheidbar wären.

Auch FDP fordert Verbesserungen – lehnt G 9 aber ab

Wie die CDU fordert auch die FDP deutliche Verbesserungen an den Schulen, lehnt aber eine Rückkehr zu G 9 an Gymnasien ab. „Ein Jahr mehr rot-grüner Schulpolitik, wie sie jetzt ist, das kann nicht die Lösung sein. G 9 an allen Gymnasien bedeutet in jedem Fall, dass die Stadtteilschulen zu Resteschulen würden“, sagte FDP-Fraktionschefin Anna von Treuenfels-Frowein. Die Bürger forderten aber „echte Veränderungen“ am Zwei-Säulen-Modell. Die 76 Prozent aus der Umfrage seien eine „Rote Karte“ für Rabe.

„Bei G 9 am Gymnasium wäre die Stadtteilschule nur noch eine Schule zweiter Wahl und würde zu einer Haupt- und Realschule zurückgestuft“, sagte auch Linke-Fraktionschefin Sabine Boeddinghaus, die sich andererseits über die wieder angefachte Diskussion über die Schulstruktur freute. „Wir werden das Zwei-Säulen-Modell insgesamt infrage stellen und ein eigenes Schulgesetz vorlegen“, sagte Boeddinghaus, die für die Schule für alle ist.

AfD und Linke nicht bei Verhandlungen über den Schulfrieden

Während sich die CDU in der Frage G 9 am Gymnasium noch nicht festgelegt hat, ist die AfD einen Schritt weiter. „G 9 sollte als Möglichkeit angeboten werden“, sagte AfD-Fraktionschef Alexander Wolf, der kritisierte, dass AfD und Linke nicht zu den Verhandlungen über eine Verlängerung des Schulfriedens eingeladen wurden.

Das Gespräch, an dem auch Schulsenator Rabe teilnahm, dauerte rund eineinhalb Stunden. Das Treffen sei gut und konstruktiv gewesen und in offener und gelöster Stimmung verlaufen, hieß es hinterher. Über die Inhalte wurde Vertraulichkeit vereinbart.