Hamburg/Kiel. Experten warnen, dass die Schutzmaßnahmen angesichts des steigenden Meeresspiegels nicht ausreichen.
Die Speicherstadt trotzt seit 1888 Wind und Wetter, vor allem bei Sturmfluten. Dann werden die Straßen immer wieder überflutet. Doch wie viele Jahrzehnte noch kann Hamburgs Unesco-Weltkulturerbe den Wassermassen standhalten? Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und Kieler Wissenschaftler sind jedenfalls in Sorge um die weltweit bekannten Lagerhäuser, die auf 3,5 Millionen Eichenpfählen ruhen und bis zu zwölf Meter tief im Elbschlick stecken. Wenn der Meeresspiegel in den nächsten Jahrzehnten weiter steigt, sei der Status der Speicherstadt als Weltkulturerbe bedroht, warnen sie.
Die Kieler und New Yorker Wissenschaftlerin Lena Reimann hat gemeinsam mit dem griechischen Professor
Athanasios Vafeidis untersucht, welche Auswirkungen der steigende Meeresspiegel auf die Unesco-Weltkulturerbe-Stätten im Mittelmeerraum hat – wie Venedig, Dubrovnik und Karthago. Diese Stätten werden im Laufe des 21. Jahrhunderts durch einen steigenden Meeresspiegel gefährdet sein, so das Ergebnis.
Risiko Sturmfluten
Auf Abendblatt-Anfrage hat Lena Reimann auch die Risiken für die Speicherstadt in den Blick genommen, die seit 2015 gemeinsam mit dem Chilehaus und dem Kontorhausviertel zum Weltkulturerbe gehört. „Insbesondere die Überflutung durch Sturmfluten wird ein Risiko für die Weltkulturerbestätte in Hamburg darstellen, da große Teile nur knapp über dem heutigen Meeresspiegelniveau liegen.“ Bereits die Sturmflut von 1962 habe große Teile der Speicherstadt überflutet.
Lena Reimann: „Solche Extremereignisse werden mit einem steigenden Meeresspiegel höhere Wasserstände aufweisen als noch im Jahr 1962, die wiederum zu größeren Schäden führen können, wenn keine geeigneten Anpassungsmaßnahmen getroffen werden.“
Weitere Auswirkungen des Meeresspiegelanstiegs seien die erhöhte Küstenerosion, die an Teilen der Speicherstadt verstärkt „nagen“ werde, warnt die Forscherin. Besonders folgenreich könnte der Meeresspiegelanstieg für die Unesco-Qualifizierung der Speicherstadt als universelles Kulturerbe sein. Um diesen Status zu erhalten, sei eine „geeignete Anpassungsplanung unabdingbar“, fordert sie.
Sturmflutschutz langfristig sicher
Die Straßen in der Speicherstadt werden schon seit dem 19. Jahrhundert bei Sturmflut überflutet, das Wasser kann frei fließen. Nach Senatsangaben werden die Gebäude in der Speicherstadt bereits jetzt mit Einzelmaßnahmen geschützt. Tiefgarageneinfahrten werden zum Beispiel mit Stahltoren geschlossen. „Vor Fenster und Türen können Balken geschoben werden, sensible Haustechnik und Geräte sind oft in oberen Stockwerken untergebracht, um Schäden bei Überschwemmungen zu verhindern“, sagt Jan Dube, Sprecher der Umweltbehörde. Das Wasser könne auch im Gebäude frei fließen und nach der Flut kehre wieder Normalbetrieb ein. Für die Schließung der Tore und die Maßnahmen am Gebäude sind die Eigentümer verantwortlich. Allerdings wurde das auch schon mal vom Objektschutz vergessen.
Noch reichen die Schutzmaßnahmen aus. Doch kritisch dürfte es werden, wenn der Meeresspiegel der Nordsee wächst. Die globale Erwärmung lässt das polare Eis schmelzen und die Meeresspiegel weltweit ansteigen. Bei jedem Grad Erderwärmung steigt der Meeresspiegel um mehr als zwei Meter. „Wenn die Zwei-Grad-Grenze von Paris nicht eingehalten wird, dann wird es die Norddeutsche Tiefebene nicht mehr geben. Hamburg auch nicht“, sagte Professor Anders Levermann, Forschungsbereichsleiter am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, dem Abendblatt.
Dieser Prozess erstrecke sich zwar über Jahrhunderte. Aber er werde schon viel früher gravierende Auswirkungen haben. „In Hamburg muss man bei etwa 80 Zentimer Meeresspiegelanstieg damit beginnen, fundamental umzudenken. Dann werden die bisherigen Deiche und Flutschutzmauern nicht mehr reichen“, sagt Professor Levermann.
Um sich rechtzeitig zu wappnen, läuft derzeit in der Hansestadt ein Deicherhöhungsprogramm. In den kommenden 20 Jahren soll die Deichhöhe im Schnitt um 80 Zentimeter angehoben werden. Die bekannteste Baumaßnahme ist der Baumwall-Boulevard, der sowohl Flaniermeile als auch Flutschutzbauwerk ist. „Der zweite Bauabschnitt soll im Frühjahr fertiggestellt werden“, sagt Jan Dube.
Zweifel der Experten
Experten bezweifeln, dass die Erhöhung um 80 Zentimer lange Zeit ausreichen wird. Das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) warnt davor, dass „ein höherer Anstieg des Meeresspiegels deutlich über einen Meter hinaus bis hin zu 1,70 Metern bis zum Ende des Jahrhunderts mittlerweile nicht mehr ausgeschlossen zu sein scheint“. Dies könne dazu führen, dass „bereits getroffene Anpassungsmaßnahmen modifiziert oder neue sogar in Angriff genommen werden“ müssten.
Im Blick auf die Speicherstadt sagt Behördensprecher Dube: „Der Sturmflutschutz kann mit dem bisherigen Konzept langfristig sichergestellt werden.“ Einzelmaßnahmen an den Gebäuden ließen sich erweitern oder verstärken. Enno Isermann, Sprecher der Kulturbehörde, ergänzt: „Wir von unserer Seite können nur sagen, dass alle Baumaßnahmen eng mit dem Denkmalschutzamt und dem Welterbekoordinator abgestimmt werden – mit dem Ziel, das Welterbe langfristig zu erhalten.“