Hamburg. Rechtsprechung fordert 1,50 Meter Abstand, was aber nicht überall möglich ist. Senat hält trotzdem an Streifen fest.
Schon jetzt ärgern sich die Hamburger nach der jüngsten Abendblatt-Umfrage über kein Thema häufiger als über die Verkehrssituation in ihrer Stadt. Nun könnte ein Rechtsgutachten die Verkehrsplaner vor neue Probleme stellen – vor allem bei der Förderung des Radverkehrs. Eine im Auftrag des Gesamtverbands der deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) erstellte Expertise kommt nämlich zu dem Schluss, dass Radfahrer immer mit einem Mindestabstand von 1,50 Metern überholt werden müssen – auch wenn sie auf Schutzstreifen oder Radfahrstreifen fahren. Das aber ist auf vielen der engen Straßen nur schwer möglich – was zu einem faktischen Überholverbot führen würde, also zum Beispiel dazu, dass Lkw und Busse auf langen Strecken hinter Radfahrern herfahren müssten. ohne sie überholen zu dürfen.
„Im Einklang mit der bislang einschlägig ergangenen Rechtsprechung sowie dem Grundprinzip der Verkehrssicherheit ... bedarf es bei Überholvorgängen sowie Vorgängen des Vorbeifahrens an Radfahrern unabhängig von der angeordneten Art der Radverkehrsführung eines Mindestseitenabstandes von 1,5 Metern“, so das Fazit des von Verkehrsrechtler Prof. Dieter Müller erstellten Gutachtens. „Kann dieser nicht eingehalten werden, besteht für Fahrzeugführer ... ein sogenanntes ,faktisches Überholverbot‘.“
Zu wenig Platz für zwei Radfahrstreifen
Das Gutachten stützt sich auf Gerichtsurteile etwa des Bundesgerichtshofs oder des Oberlandesgerichts Hamm. „Vor dem Hintergrund des Schutzgedankens ... der Straßenverkehrsordnung (StVO)“ spiele es „juristisch keine Rolle, ob ein Radfahrer auf einem Radfahrstreifen oder auf einem Schutzstreifen überholt wird“, schreibt Müller. „Bei beiden überholten Radfahrern muss stets der gleiche, die Sicherheit wahrende Seitenabstand eingehalten werden. Jede andere Auslegung würde den Grundgedanken der Verkehrssicherheit ... ins Gegenteil verkehren.“ Mithin: Es wäre grotesk und gefährlich, wenn das „Abmarkieren“ von Schutz- oder Radfahrstreifen den paradoxen Effekt hätte, dass Pkw, Lkw oder Busse die Radler nun mit weniger Abstand überholen dürften als ohne solche „abmarkierten“ Flächen.
Diese Rechtseinschätzung könnte angesichts der Straßenverhältnisse in Hamburg zum Problem werden. Denn auf manchen Strecken könnte zu wenig Platz für zwei Radfahrstreifen und zwei Autospuren sein, wenn auf beiden Seiten beim Überholen der Radler grundsätzlich ein Mindestabstand von 1,50 Metern eingehalten werden muss.
Folgen für den Warenwirtschaftsverkehr
„Die Rechtslage und erste Gerichtsurteile scheinen eindeutig und zeigen die unsinnige Verkehrspolitik von SPD und Grünen schonungslos auf“, sagte CDU-Verkehrspolitiker Dennis Thering. „Das bedeutet in der Praxis, dass Pkw, aber noch viel mehr der Bus- und Schwerlastverkehr den Radfahrern hinterherschleichen oder zum Überholen in die Gegenfahrbahn ausweichen müssen. Das ist brandgefährlich. Damit droht der Verkehr auf Hamburgs Hauptverkehrsstraßen systematisch zum Erliegen zu kommen.“
Das konterkariere die „millionenteure Busbeschleunigung der SPD“ und erschwere den Warenwirtschaftsverkehr. „Die Einhaltung des Mindestabstands ist bisher kaum einem Verkehrsteilnehmer bekannt und, viel schlimmer noch, die daraus folgenden Auswirkungen offensichtlich auch dem rot-grünen Senat nicht“, so Thering. Die CDU plädiere daher für „gut ausgebaute und sichere Hochbordradwege abseits der Hauptverkehrsstraßen“.
Der Fahrradclub ADFC schloss sich jetzt dem Fazit des Gutachtens an. „Wir sehen es als absolut notwendig an, dass Auto- und Lkw-Fahrer immer den vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von 1,5 bis zwei Metern einhalten müssen, wenn sie Radfahrende überholen“, sagte ADFC-Sprecher Dirk Lau. „Dass so viele Autofahrer den Sicherheitsabstand nicht einhalten, ist ein rücksichtsloses und gefährliches Verkehrsverhalten, das sich nur durch mehr Aufklärung und Kontrollen, aber vor allem durch Herstellung von Flächengerechtigkeit bekämpfen lässt.“ Der Autoverkehr müsse „deutlich mehr Platz abgeben als bisher“, so Lau. Die Forderung der CDU nach Radwegen auf Bürgersteigen führe allerdings nicht zu mehr Sicherheit.
CDU-Forderung sei kaum umsetzbar
Der ADAC prüfe derzeit die möglichen Auswirkungen des Gutachtens, sagt der Hamburger ADAC-Sprecher Christian Hieff. Klar sei, dass Autofahrer einen Radfahrer nur überholen dürften, wenn sie sicher sein könnten, dass sie ihn nicht gefährden, so Hieff. „Im Zweifelsfall muss der Autofahrer mit seinem Überholvorgang warten.“
Innen- und Verkehrsbehörde dagegen sehen „keine neuen Erkenntnisse“ durch das Gutachten. Es liefere „keine Argumente dagegen, den Radverkehr verstärkt durch Schutzstreifen und Radfahrstreifen zu fördern“. Zudem werde „das richtige Verhalten gegenüber Radfahrern wichtiges Thema der geplanten Kommunikations- und Imagekampagne sein“, die auch „ein gutes Verkehrsklima fördern“ solle. Die CDU-Forderung nach Hochbordradwegen sei kaum umsetzbar. „Durch die Barriere („Protected Bike Lanes“) entfallen Parkplätze am Straßenrand“, so die Behörden. Und: „Bäume müssten oft gefällt werden.“