Hamburg. Andere Haltelinien, Abbiegeassistenten und Lastenräder könnten die Gefahr verringern. Den Verbänden reicht das nicht.
Es ist eine stille Prozession auf Rädern, die am Mittwochabend durch Hamburg zieht. 600 Radfahrer sind in der Spitze auf der Straße. Die Menschen tragen bunte Sommerkleider, kurze Hosen, Sneaker oder Sandalen, andere sind noch in Bürokleidung. Sie alle nehmen teil am Ride of Silence, einer stillen Tour zum Gedenken an verunglückte Radfahrer und Radfahrerinnen, organisiert vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club (ADFC), die gleichzeitig in mehreren deutschen Großstädten stattfindet.
Die Demo startet an der Sternschanze und führt durch zahlreiche Stadtteile – stets gesichert von einer Reihe von Polizisten auf Motorrädern, die die Kreuzungen sperren. Die Autofahrer reagieren meistens gelassen, viele Passanten zücken überrascht ihre Handys und machen Fotos.
An der Ecke Stresemannstraße/Kieler Straße legen zahlreiche Teilnehmer ihre Räder auf die Erde und lassen sich daneben nieder. Dasselbe geschieht wenig später am Eppendorfer Weg/Ecke Osterstraße zum Gedenken an den Unfall in der vergangenen Woche, als die 33 Jahre alte Radfahrerin Saskia S. hier von einem abbiegenden Laster überfahren wurde und starb.
Eine Wende in der Hamburger Verkehrspolitik – das fordern Verbände nach dem tödlichen Unfall an der Osterstraße. Dabei rückt der zunehmende Lkw-Verkehr in den Fokus. Politiker und Verbände fordern, die Zahl der Nutzfahrzeuge in der Stadt einzudämmen sowie den verpflichtenden Einbau von Abbiegeassistenten. „Schwerlastverkehr in Wohn- und Geschäftsvierteln verträgt sich nicht mit der Idee einer Fahrradstadt“, sagt Dirk Lau vom ADFC.
Der Fahrrad-Club setzt ebenso wie der Verkehrsclub Deutschland Landesverband Nord auf generelle Entschleunigung und Tempo 30 und auf weniger Autoverkehr zugunsten des Rad-, Fuß- und öffentlichen Nahverkehrs. Dann würden auch sich unsicher fühlende Radfahrer sicherer auf den Straßen fahren. Dirk Lau: „Wenn der Senat will, dass das Fahrrad das bevorzugte Verkehrsmittel auf Kurzstrecken werden soll, muss er eine Wende in seiner Verkehrspolitik einleiten.“
Lkw-Verkehr raus aus der Stadt?
Wie diese aussehen könnte? Zum einen müssten laut Ewald Aukes, verkehrspolitischer Sprecher der FDP-Bürgerschaftsfraktion, zunächst die Verkehrsströme in der Stadt analysiert werden. Es bringe nichts, die unterschiedlichen Verkehrsteilnehmer gegeneinander auszuspielen. Andere wiederum fordern, den Lkw-Verkehr so weit wie möglich aus den innerstädtischen Quartieren rauszuhalten. Dabei könnte Skandinavien wieder als Vorbild dienen. „Hamburg soll dem Beispiel Oslos folgen und den privaten Autoverkehr und Lkw-Transitverkehr aus dem Stadtzentrum verbannen“, so Dirk Lau. Oslo fördere den Kauf eines elektrischen Lastenfahrrades mit 1000 Euro. Die letzten Meter von dezentralen Verteilstationen bis zur Anlieferung könnten mit Cargobikes oder Elektrokleintransportern geschehen, so die Vision des ADFC.
Unterstützung kommt von den Grünen. Deren verkehrspolitischer Sprecher Martin Bill, der an der Rad-Demo teilnahm, sagt: „Wir wollen den Transport mit Lastenrädern fördern sowie durch intelligente Transportsysteme Verkehre minimieren.“
Wie berichtet, wird der Lkw-Verkehr in Hamburg in den kommenden Jahren um bis zu 41 Prozent zunehmen. „Ein Lkw-Umfahrungskonzept könnte helfen, die Situation zu verbessern“, so Christian Hieff vom ADAC Hansa. Das Problem: Hamburg fehlt es an Umgehungsstraßen. Alternativen wie der Einsatz von Lastenfahrrädern seien zwar begrüßenswert, doch in der Realität würden diese den Lkw-Lieferverkehr nicht ersetzen können.
Das Ziel, so Susanne Meinecke von der Verkehrsbehörde, sei es ohnehin, Lkw möglichst auf Hauptverkehrsstraßen zu bündeln und so die Nebenstraßen zu entlasten. Der Lkw-Anteil liege in den Nebenstraßen in der Regel bei unter vier Prozent. Vermeiden lasse sich Lkw-Verkehr aber nicht. Von Tempo 30 auf Hauptverkehrsstraßen hält Dennis Thering, Verkehrsexperte der CDU-Bürgerschaftsfraktion, nichts: „Ausweichverkehre in umliegenden Wohngebieten sind die Folge. Das gilt vor allem für den Durchgangsverkehr von Lkw.“
Kreuzungen sind noch zu sehr für Autos gebaut
Immerhin treibt Hamburg im Bundesrat eine Initiative voran, Abbiegeassistenten bei Lkw verpflichtend vorzuschreiben. Dabei warnen Sensoren die Fahrer, wenn sich neben ihnen Fußgänger, Radfahrer, Motorroller oder Autos im toten Winkel befinden. Darüber hinaus fordert Hamburg auch, dass der Bund die Nachrüstung von Bestandsfahrzeugen finanziell fördert.
Neben Abbiegeassistenten und der Eindämmung des Lkw-Verkehrs in der Stadt appellieren der ADFC und andere Initiativen an die Stadt, die gefährlichsten 50 Straßenkreuzungen innerhalb eines Jahres sicherer für Radfahrer und Fußgänger zu machen. Sie stammten, so Sebastian Bolenz von der Initiative „Hamburg dreht sich“, noch aus der Zeit der autogerechten Stadt. Zum Schutz der Radfahrer gehöre es auch, die Haltelinien für den Radverkehr generell vor die Haltelinie für den Autoverkehr zu rücken. „Sie sind wichtig, um die Sichtbeziehungen zu erhöhen, und verhindern, dass der Radfahrer im toten Winkel verschwindet“, so Christian Hieff.
Bei aller Technik und verkehrspolitischen Möglichkeiten komme es auf den Menschen an: „Wir brauchen einen Wertewandel, bei dem Rasen nicht als sportlich, sondern als asozial, Rücksichtnahme nicht als uncool begriffen werden“, so Karin Reich vom Verkehrsclub Deutschland Landesverband Nord.