Hamburg. Auf neuen Velorouten rücken Radfahrer näher an den Verkehr – und nehmen durch die körperliche Aktivität womöglich mehr Schadstoffe auf.
Es gehört zum Konzept der Fahrradstadt und soll vor allem der Sicherheit dienen: Künftig werden in Hamburg mehr Radfahrstreifen auf die Straße verlegt. Ob das auch der Gesundheit der Radfahrer dient, ist jedoch fraglich: Immerhin rücken Radfahrer so näher an Autos und Lkw heran – und damit auch an deren Abgase. Und weil sich Radfahrer körperlich stärker anstrengen, atmen sie unter Umständen tiefer ein als Fußgänger und nehmen dadurch womöglich mehr Schadstoffe auf. Mediziner und Forscher raten trotzdem nicht vom Radfahren in Hamburg ab – die positiven Effekte der Bewegung überwiegen die negativen Faktoren. Empfohlen wird aber, möglichst auf weniger belastete Nebenstraßen auszuweichen.
Dass die Hansestadt eine Fahrradstadt werden soll, dafür trommelt der Senat schon seit 2015. Und in dieser Woche haben Grüne und SPD in der Bürgerschaft noch einmal betont, das Radwegenetz müsse ausgebaut werden. Dass immer mehr Hamburger ihr Auto stehen lassen werden, ist aber längst nicht ausgemacht. Noch ist die Belastung der Luft mit Stickstoffdioxid (NO₂) durch den Verkehr so hoch, dass Hamburg an der Max-Brauer-Allee und der Stresemannstraße wohl bald die ersten Durchfahrtverbote für ältere Diesel-Fahrzeuge verhängt.
Grenzwerte der WHO werden überschritten
Auf die Frage nach der Belastung für Radfahrer antworten Wirtschafts- und Umweltbehörde ausweichend: „Die Luftqualität in Hamburg wird von Jahr zu Jahr nachweislich besser.“ Das stimmt zwar: Laut Umweltbundesamt sind die NO₂-Werte im Jahresmittel an allen vier Verkehrsmessstationen von 2016 bis 2017 leicht gesunken, doch sie lagen immer noch alle über dem EU-Grenzwert von 40 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft.
Auf diesen Umstand gehen die beiden Behörden dann auch noch ein und schreiben, es sei „trotz der geringen Überschreitung nicht auszuschließen, dass sich nach langjährigem Einatmen von erhöhten NO₂-Konzentrationen bei einigen Personen chronische Atemwegs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen entwickeln“.
Entzündungen in der Luftröhre
Das Umweltbundesamt (UBA) warnte vor Kurzem, die NO₂-Konzentrationen in der Außenluft führe zu „erheblichen Gesundheitsbelastungen“. Dabei ging es allerdings um Deutschland insgesamt. In einer Studie hatte das UBA berechnet, dass sich statistisch gesehen 6000 vorzeitige Todesfälle aufgrund von Herz-Kreislauf-Erkrankungen im Jahr 2014 auf eine Langzeitbelastung durch NO₂ in der Außenluft zurückführen lassen. Das Risiko speziell von Radfahrern wurde dabei nicht untersucht.
Nicht nur Stickstoffdioxid, auch Feinstaub kann der Gesundheit schaden und je nach Größe unter anderem Schleimhautreizungen, Entzündungen in der Luftröhre und in den Bronchien bewirken und die Thromboseneigung erhöhen. Die Feinstaub-Grenzwerte würden in Hamburg eingehalten, heißt es von Wirtschaft- und Umweltbehörde. Das stimmt zwar für die Vorgaben der EU. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt allerdings maximal drei Überschreitungen des Tagesgrenzwerts von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft. Hier zeigt sich, dass es in Hamburg 2017 laut UBA an drei Verkehrsmessstationen für die Feinstaub-Art PM10 deutlich mehr als dreimal zu einer Überschreitung des Wertes kam, den die WHO empfiehlt.
Radfahrer nehmen mehr Schadstoffe auf
Was die erhöhten Konzentrationen von Stickstoffdioxid angeht, schreiben Wirtschafts- und Umweltbehörde, dies betreffe „Fußgänger wie Radfahrer in gleichem Maße“. Ob das stimmt, ist unklar. 2016 hatten Umweltphysiker der Universität Heidelberg im Auftrag von Greenpeace in zwölf deutschen Städten die NO₂-Belastung gemessen. Hamburg war nicht darunter. In ihrem Fazit schreiben die Forscher: „Es ist generell zu schlussfolgern, dass Fahrradfahrer in der Stadt einer sehr hohen NO₂-Belastung ausgesetzt sind.“ Radfahrer hielten sich aufgrund der städtischen Radwegeführung „oft noch deutlich näher an den Emissionsquellen“ auf als Fußgänger.
Und es kann noch einen weiteren Unterschied geben: „Radfahrer atmen durch ihre erhöhte körperliche Aktivität die Luft unter Umständen tiefer ein als Fußgänger und nehmen dadurch womöglich mehr Schadstoffe auf“, sagt Katrin Süring, Medizinerin beim Umweltbundesamt. Vor allem an Hauptverkehrsstraßen könne die NO₂- und Feinstaubbelastung höher sein. Es komme aber auf den Abstand zu den Autos an, sagt Süring weiter: „Die Schadstoffbelastung kann schon wenige Meter neben der Straße geringer ausfallen.“ In Nebenstraßen sei die Konzentration von Stickstoffoxiden und Feinstaub ohnehin meistens niedriger, sagt Süring. „Deshalb empfehlen wir Radfahrern, durch Nebenstraßen zu fahren.“
Vermehrt Radwege auf der Straße
In Hamburg ist das an vielen Stellen möglich, aber längst nicht überall – insbesondere, wenn man jeden Tag mit dem Rad in die Innenstadt fahren muss. Hinzu kommt: Vorgesehen ist, dass in Hamburg künftig vermehrt Radfahrstreifen auf der Straße angelegt werden sollen. Damit rücken Radfahrer an etlichen Stellen näher an Autos heran. In der Heidelberger Studie heißt es: „Die Stickstoffdioxid-Belastung für Fahrradfahrer ist besonders hoch bei Radwegen auf der Straße.“
Die von den Forschern in anderen Städten gemessenen Werte lassen sich aber nicht auf Hamburg übertragen. Die Forscher betonen unter anderem auch, es komme darauf an, wie viele Autos gerade unterwegs seien. Dennoch: Müsste Rot-Grün das Konzept der Radfahrstreifen mit Blick auf die Erkenntnisse des UBA und die Heidelberger Studie nicht überdenken?
Radfahrstreifen dienen vor allem der Sicherheit
Der Straßenraum sei nun mal begrenzt, sagt Martina Koeppen von der SPD-Fraktion. „Dies führt auch zu Nutzungskonflikten zwischen Fuß-, Rad- und Autoverkehr, die unter anderem durch Radstreifen auf der Fahrbahn aufgelöst werden.“ Mit dem Ausbau von 14 Velorouten würden in Hamburg aber „weitgehend abseits der Hauptverkehrsstraßen Alltagsrouten für die Radfahrer realisiert“.
Martin Bill von den Grünen sagt: „Die Radfahrstreifen dienen der Sicherheit von Rad- und Fußverkehr und dem Komfort des Radfahrens; hier setzten wir bundesweit geltende Standards und Regelwerke um.“ Er betont ebenfalls, dass „auch attraktive Fahrradstraßen abseits der Hauptverkehrsstraßen“ gebaut würden, etwa im Leinpfad in Winterhude.
Herzinfarktrisiko erhöht
Solange es aber noch nicht so weit ist, können Radfahrer insbesondere in der City Luftschadstoffen kaum aus dem Weg gehen. In welchem Verhältnis stehen die gesundheitlichen Vorteile des Radfahrens und die Belastung durch Schadstoffe in der Luft? „Es dient der Gesundheit und auch der Umwelt mehr, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren als mit dem Auto“, sagt Medizinerin Katrin Süring vom Umweltbundesamt. „Radfahren fördert die Durchblutung und trainiert die Muskulatur. Wegen Luftschadstoffen sollte man jedenfalls nicht auf das Radfahren verzichten.“
Das sieht auch Prof. Annette Peters so, Direktorin des Helmholtz-Forschungszentrums für Gesundheit und Umwelt in München. „Selbst wenn man sich auf den Einfluss einer lebenslangen Aussetzung bezieht, überwiegen die positiven Effekte“, sagt die Forscherin. „Kollegen aus den Niederlanden haben berechnet, dass Fahrradfahren die Lebenserwartung durch die Bewegung deutlich verlängert, was nicht durch den Schaden der Luftschadstoffe aufgewogen wird.“ Sie selbst habe mit Kollegen in einer Studie gezeigt, dass sich bei Aufenthalten im Verkehr das Herzinfarktrisiko deutlich, aber nur vorübergehend, erhöht. „Dies lässt sich auch für das Fahrradfahren nachweisen“, sagt Peters.
Radfahrer können selbst bei einer hohen Schadstoffbelastung der Luft noch fahren, sagt auch Dirk Lau vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club Hamburg. Mit einer Einschränkung: „Sehr lange Fahrten bei extrem schlechter Luft würden wir allerdings nicht empfehlen, insbesondere nicht Kindern oder älteren Menschen.“