Hamburg. Polizeipräsident Ralf Martin Meyer warnt vor wachsender Computer-Kriminalität. Aber es gibt auch Erfolge im Kampf gegen Einbrecher.

Die rote Fahne mit dem Stadtwappen sowie einen an der Wand platzierten überdimensionierten Polizeistern hat Ralf Martin Meyer von seinem Schreibtisch aus immer im Blick. Im Gespräch mit dem Abendblatt schaut der Polizeipräsident zurück – und in die Zukunft

Herr Meyer, wie entwickelt sich die Kriminalität in Hamburg?

Ralf Martin Meyer: Erfreulich sind die nach wie vor rückläufige Zahlen im gesamten Diebstahlsbereich. Die Wohnungseinbruchszahlen haben sich im Vergleich zu der Zeit, als ich als Polizeipräsident angefangen habe, annähernd halbiert. Ich schätze, dass wir die Zahl auf knapp 5000 Taten in diesem Jahr reduzieren können. Das wäre ein historischer Tiefstand. Bislang war das Jahr 2005 mit 5241 Taten das Jahr mit den wenigsten Einbrüchen in Hamburg. Das werden wir in diesem Jahr voraussichtlich unterbieten. Beim Taschendiebstahl und bei den Raubdelikten sind die Zahlen ebenfalls seit Jahren rückläufig.

Die Wohnungseinbrüche gehen doch bundesweit zurück, nicht nur in Hamburg.

Alle Polizeien gehen gleichermaßen dagegen vor. Hamburg war allerdings mit seinem sehr umfangreichen Maßnahmenpaket von Beginn an mit an der Spitze der Bewegung. Das Konzept der Soko „Castle“ mit starken Observationskräften, einer operativen Analyse, dazu intensive begleitende Präventionsarbeit wie zum Beispiel die 110-Kampagne zur Sensibilisierung der Bevölkerung wurde schon 2015 auf einer Experten­tagung im Bundesinnenministerium präsentiert. Damit haben wir sicherlich auch Maßstäbe gesetzt.

Sie hatten im Herbst in einer Pressekonferenz aber auf wieder steigende Zahlen hingewiesen.

In diesen Monaten wird tendenziell mehr eingebrochen. Wir brauchen für die erfolgreiche Einbruchsbekämpfung auch Augen und Ohren der Menschen. Häufig bekommen wir aus der Bevölkerung Hinweise auf verdächtige Personen, die dann durch unsere Fahndungskräfte lokalisiert und überprüft werden. Tatverdächtige nehmen wir dann auf frischer Tat, aber auch häufig im Rahmen einer solchen Fahndung in der Umgebung aufgrund von konkreten Zeugenhinweisen fest.

Als Sie Polizeipräsident wurden, haben Sie die Bekämpfung der Einbruchskriminalität zum Schwerpunkt gemacht – obwohl viele Experten vor der Gefahr des Scheiterns warnten.

Wohnungseinbruch beunruhigt Opfer und deren Umfeld besonders stark, und wir hatten 9000 Taten, da lag es nahe, sich des Themas persönlich anzunehmen. Wir haben eigene operative Kräfte, einen ganzen Einsatzzug und zwei Gruppen MEK und Zivilfahnder bereitgestellt, über die nur die Soko verfügen durfte. Die Soko „Castle“ war der entscheidende Schritt, und auch der war alles andere als unumstritten. Am Ende ist man dann natürlich bestätigt.

Wie entwickeln sich die Zahlen in anderen Deliktbereichen?

Ich erwarte einen erneuten leichten Rückgang der Gesamtzahlen aller Straftaten. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass wir Anstiege bei Fallzahlen mit Internetbezug haben. Das bleibt eine große Herausforderung für die Polizei, der wir auch durch eine konzeptionelle Neuaufstellung in der Betrugssach­bearbeitung im LKA entgegentreten.

G 20 ist lange vorbei. Die Aufarbeitung nicht. Wie aufwendig war sie 2018?

Die Vorbereitungen der Sitzungen des Sonderausschusses waren für uns sehr aufwendig, die intensive Aufarbeitung aber auch notwendig. Leider hatte nicht jeder Akteur eine so steile Lernkurve in der Aufarbeitung wie wir, auch wenn das wünschenswert wäre. Wir befinden uns jetzt in der Umsetzungsphase und bauen beispielsweise bei der Bereitschaftspolizei die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit weiter aus und bilden sie für besondere Lagen wie dem Agieren auf Dächern aus.

Von den Ausschreitungen auf der Elbchaussee wurde die Polizei überrascht – weil ihr Erkenntnisse aus der militanten Szene fehlten, gewonnen durch verdeckte Ermittler?

Wenn wir es in ganz Europa nicht hinbekommen, anlässlich eines Ereignisses wie der Elbchaussee Erkenntnisse zu bekommen, die auf eine solche organisierte und koordinierte Tat hindeuten, haben wir ein Problem. Dann muss man sich fragen, wie man das zukünftig verbessert. Wir sind schließlich von etwa 200 Leuten, die vor allem von auswärts kamen, sich sehr geschickt, entschlossen und sehr konspirativ verhalten haben, überrascht worden.

Solche Ausschreitungen wären ohne Unterstützung aus Hamburg nicht möglich gewesen. Fehlte also auch der Hamburger Polizei Insiderwissen?

Wir können mit dem, was wir an Erkenntnissen haben, nicht zufrieden sein. Deshalb bin ich nach wie vor der Auffassung, dass wir unsere Erkenntnisse aus der Szene noch optimieren müssen. Ein verbesserter Einsatz verdeckter Ermittler bleibt für mich eine der wesentlichen Aufgaben.

Bei der Aufarbeitung und der Verfolgung der Straften um den G-20-Gipfel setzt die Soko „Schwarzer Block“ auf eine umstrittene Gesichtserkennungssoftware. Der Datenschutzbeauftragte ist strikt dagegen. Wie wird dieser Konflikt nun gelöst?

Polizei und Staatsanwaltschaft sind einig, dass der Einsatz der Gesichtsanalysesoftware, so, wie er durchgeführt wurde, durch die Strafprozessordnung gedeckt ist. Der Datenschutzbeauftragte in Hamburg sieht das nicht so. Er beschreibt auch, was diese Software theoretisch zu leisten imstande wäre. Wir sagen, dass ausschließlich beurteilt werden muss, wie wir diese Software tatsächlich einsetzen. Das weitere Prozedere sehe ich relativ gelassen. Es gibt ja nur zwei Optionen. Entweder wird unsere Auffassung bestätigt und wir verfahren wie bisher oder sie wird widerlegt. Dann wäre der Gesetzgeber gefordert, rechtliche Anpassungen zu prüfen.

In welchen Fällen können Sie sich den Einsatz der Gesichtserkennungssoftware noch vorstellen?

Sie könnte etwa bei Terroranschlägen ergänzend eingesetzt werden. Aber es kommt beispielsweise auch ein Einsatz im Zusammenhang mit besonderen Risiko-Fußballspielen in Betracht.

Können Sie den Datenschützer und seinen Widerstand verstehen?

Das ist die Rolle des Datenschutzbeauftragten, er kontrolliert die Verwaltung. Polizei und Staatsanwaltschaft müssen den Strafanspruch des Staates durchsetzen und dazu die Strafprozessordnung anwenden. Strafprozessuale Ermittlungen folgen ja keinem Selbstzweck. Sie werden schwieriger und aufwendiger und bewegen sich zunehmend in einem Spannungsfeld mit datenschutzrechtlichen Anforderungen. Das bleibt ein ständiger Diskussions- und Aushandlungsprozess, in dem auch der Gesetzgeber gefragt ist, der ein Austarieren zwischen Datenschutz und Ermittlungsmöglichkeiten vornehmen muss. Wir haben gerade über Weihnachten einen Serien-Sexualstraftäter festgenommen, bei dessen Ermittlung und Identifizierung wir Erkenntnisse aus gespeicherten Daten genutzt haben. Damit erfüllen wir auch unseren Schutzauftrag gegenüber der Bevölkerung. Auch dieser Aspekt gehört zur Diskussion im Zusammenhang mit dem Datenschutz.

Was planen Sie an Brennpunkten wie in St. Georg oder auf St. Pauli?

Ein Thema ist Videoüberwachung, da, wo sie sinnvoll und geeignet ist. Der Hansaplatz befindet sich aktuell bereits in der Prüfung. Wenn ich mir darüber hinaus die Gewaltdelikte auf St. Pauli anschaue, passieren diese häufig an Wochenenden in den frühen Morgenstunden an bestimmten Orten. Dort können wir die vorhandene Videoüberwachung noch weiter ergänzen, was noch zu prüfen wäre. Wir haben sie bereits an der Südseite der Straßenzüge Talstraße, Hamburger Berg und an der Großen Freiheit im Einsatz. Davon verspreche ich mir, dass es uns gelingt, Taten zu verhindern, mehr Täter zu identifizieren und St. Pauli sicherer zu machen.

Fehlende Dokumente in der Akte, „hoch dubios“ erscheinende Zeugenaussagen, möglicherweise „verbotene Ermittlungsmethoden“ – die scharfe Kritik der Vorsitzenden Richterin Anne Meier-Göring im verloren gegangenen „Cold-Case-Prozess“ hat das Vertrauen in die Polizeiarbeit erschüttert.

Wir gehen mit diesen Vorwürfen professionell um und untersuchen in einer Arbeitsgruppe den zur Rede stehenden Sachverhalt. Wir haben aus fürsorgerischen Gründen bereits personelle Veränderungen vorgenommen und werden nach Abschluss der Untersuchung weitere Maßnahmen ergreifen. Aktuell haben wir die Kripo München um Bewertung gebeten, weil uns ein externer Blick wichtig ist. Das Ergebnis steht aus. Das Instrument einer Cold-Case-Einheit ist gut und richtig, es steht aus meiner Sicht nicht zur Debatte.

Was sind die großen künftigen Projekte?

Wir befinden uns in einer Digitalisierungsoffensive. Wir arbeiten auf die neue Einsatzleitstelle hin und wollen die Polizei digital werden lassen, damit die Beamten vor Ort die Möglichkeiten nutzen können. Das hat eine viel ökonomischere Abarbeitung von Vorgängen zum Ziel. Das ist auch wichtig für die Kriminalitätsbekämpfung. Wenn ich aktuelle Einsatzdaten schnell vor Ort transportieren kann, kann ich schneller reagieren oder Entwicklungen, beispielsweise eine Häufung von Einbrüchen, noch früher und auf breiter Ebene gegensteuern. Wir werden dann auch präsenter sein, weil weniger Zeit für administrative Dinge verwendet werden muss. Hinzu kommt die personelle Verstärkung für lokale Sicherheitsaufgaben durch 100 Angestellte im Polizeidienst. Dabei spielt die neue Ausstattung eine Rolle, mit der die Polizei für den Bürger erkennbarer wird. Vom Januar an werden die im Schichtdienst arbeitenden Kollegen monatlich etwa 300 Euro mehr bekommen.

Alles das braucht Personal. Bekommen Sie genug geeignete Bewerber?

Hamburg hat einen klaren Standortvorteil. Es ist eine attraktive Stadt, in der viele Menschen arbeiten und leben wollen. Dennoch merken auch wir im Bereich des mittleren Dienstes, dass es insgesamt weniger Bewerber gibt und wir nicht mehr nur die Spitze der geeigneten Bewerber abschöpfen können. Wir sind aber derzeit in der Lage, alle Stellen mit geeigneten Bewerbern zu besetzen. Im Bereich des Bachelorstudiums zur Kommissarlaufbahn haben wir überhaupt keine Probleme mit der Bewerberanzahl.

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