Hamburg. Das denkmalgeschützte Inventar der Ise-Apotheke soll Teil einer Ausstellung werden. Aber in Gänze findet sich bisher kein Abnehmer.
Oben riecht es nach Kümmeltee, unten nach Erkältungssalbe. „Toll, oder?“, sagt Lucia Mötting, als sie durch dieses heilsam duftende Reich führt. Zwei Etagen voller Apothekengeschichte: alte Waagen hier, ein historischer Destillierapparat da und immer wieder Mörser und Gefäße. In mehr als 100 Jahren hat sich nicht nur eine angenehme Mischung aus Wick Vaporub und Kräutergarten über das hölzerne, dunkel gebeizte Mobiliar gelegt, es hat sich auch einiges angesammelt. „Das ist ein Stück Hamburger Pharmaziegeschichte“, sagt Mötting. Aber es gibt da ein kleines Problem.
Die historischen Schränke und Regale in der Ise-Apotheke in Harvestehude gelten als Zeugnis der Apothekenbaukunst. Das komplette Inventar steht unter Denkmalschutz. Und Lucia Mötting, 68 Jahre alte Besitzerin des Unikats, ist der größte Fan dieses Schmuckstücks. Die Stadt Hamburg drückt sich in ihrer Beschreibung etwas sachlicher, aber keineswegs weniger anerkennend aus. In der Denkmalliste ist für das Apotheken-Interior die Identifikationsnummer 18.779 vergeben. Bezeichnung: Einrichtung Ise-Apotheke. Typ: wandfeste Ausstattung, Offizin, Inventar.
Pachtvertrag bis 2019
Die Krux an Denkmal „Nummer 18.779“ ist, dass es irgendwann, wenn die Apotheke nicht mehr betrieben wird, als Ganzes in ein Museum wechseln soll, sich bislang aber kein Museum findet, das sich dieses historisch wertvollen Inventars vollständig annehmen möchte. Etwas anderes kommt für die Apothekerin im Ruhestand aber nicht infrage. Sie will weder Einzelstücke veräußern noch an Privatleute verkaufen. Das Prachtstück soll der Nachwelt in einer Ausstellung erhalten bleiben.
Angesehen hätten sich das Denkmal bereits Vertreter des Museums für Hamburgische Geschichte, des Altonaer Museums oder das Medizinhistorischen Museum am UKE. „Für Einzelstücke hatte ich auch Zusagen“, sagt Mötting. „Aber ich möchte die Apotheke nicht zerpflücken. Ich habe hier mehr als 30 Jahre gearbeitet, das ist mein Kind.“ Mötting war die vierte Besitzerin seit der Gründung und besteht darauf, die Einrichtung aus mehreren Hundert Einzelteilen nur in Gänze abzugeben.
Die 1910 von Friedrich Beyer errichtete Apotheke im Eckhaus an Klosterallee und Isestraße hat einen gültigen Pachtvertrag bis 2019. Derzeit wird sie von Möttings Nachfolger Torsten Mendel betrieben, ist auf traditionelle chinesische Medizin und Heilmethoden spezialisiert und läuft nicht Gefahr, demnächst geschlossen zu werden. Die Pächterin möchte mit ihrem Anliegen nur das historische Inventar bewahren.
Einrichtung im Wesentlichen gut erhalten
Entworfen wurde die Einrichtung im Gründungsjahr der Apotheke von den Innenarchitekten W. Schmidt & Sohn, der Charakter ist kaum verändert worden. Nicht grundlos begründet die Kulturbehörde, der das Denkmalamt unterstellt ist, die Unterschutzstellung damit, dass es sich um eine in Hamburg seltene „Apothekeneinrichtung dieser Art, diesen Umfangs und aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg“ handelt. Zumal die „Einrichtung der Ise-Apotheke im Wesentlichen gut erhalten“ sei.
Laut Behörde waren die Inneneinrichter von damals keine Unbekannten. Auf sie geht auch die Ausstattung des ehemaligen Cafés und der London-Taverne im Bieberhaus (Hachmannplatz 2) sowie des Stadt-Cafés im Versmann-Haus (Mönckebergstraße 29/31) zurück. Allerdings sind diese Einrichtungen, die der Architekten- und Ingenieur-Verein Hamburg in seinem Werk „Hamburg und seine Bauten 1914“ veröffentlicht hatte, nicht mehr erhalten. Die Apotheke ist ihr letztes Vermächtnis.
An der Wand legt ein Dreieckstuch aus dem Ersten Weltkrieg Zeugnis vom Wert des Denkmals ab. Der Apothekerin im Ruhestand gehört das gesamte Inventar, sie ist nach wie vor Mieterin der Räume. Nun will sie für den Fall der Fälle gewappnet sein. Was aber nicht so einfach ist, wie sie jetzt erfahren muss.
Deutsches Apothekenmuseum hat abgesagt
Offizin und Rezeptur sind original, würden auch Abnehmer finden, aber eben nur einzeln. Allein die Armada an Apothekengefäßen in allen Größen und Formen wäre Sammlern sicher ein kleines Vermögen wert. Auch der historische Trockenschrank, die Destillierapparatur, die Mörser, die Kassen und Waagen – alles aus den Gründungsjahren – machen jede Menge her und haben ihren Wert. „Ich möchte das aber eben nicht bloß verkaufen, sondern an ein Museum übergeben“, sagt Mötting.
In 108 Jahren ist kaum etwas aus dem Bestand verloren gegangen. Wie viele Lösungen, Emulsionen, Salben, Cremes, Pasten, Pulver und Zäpfchen hier hergestellt wurden, kann niemand sagen. Aber es waren sehr viele. Hannelore Hoger und Jan Fedder dienten die herrlich altmodischen Räume als Drehort. Doch selbst aus dem Deutschen Apothekenmuseum in Heidelberg kam eine Absage für das Inventar.
Die aus vier Jahrhunderten stammenden Bestände des Museums im Schloss Heidelberg sind bereits gut gefüllt. Und ein Besuchermagnet. Etwa 700.000 Menschen wollen jährlich die Arzneimittelsammlung, die Barockapotheken, die Biedermeierstücke und all die Waagen und Keramiken sehen. Für Zuwachs aus Hamburg sei kein Platz. Der Publikumszuspruch zeigt aber, dass alte Apotheken kein reines Nischenthema sind. Was also tun?
Eine Schenkung oder Leihgabe ans Museum sei dabei nicht unkompliziert, sagt Enno Isermann, Sprecher der Kulturbehörde. Gleichzeitig würdigt er das Ansinnen von Lucia Mötting: „Wir begrüßen das Engagement der Eigentümerin, die Einrichtung als Ganzes zu erhalten und versuchen, sie dabei auch nach unseren Möglichkeiten zu unterstützen.“ Das Denkmalschutzamt sei mit der Eigentümerin im Gespräch, werde sich demnächst nochmals mit ihr treffen. Vielleicht gebe es weitere Möglichkeiten des Erhalts.
Nichts Weniger wünscht sich Lucia Mötting, wenn sie ein letztes Mal an ihrer Materialkammer, dem Offizin und der Rezeptur entlanggeht. „Hier hängt mein Herz dran.“