Hamburg . Fünf mutmaßliche G20-Randalierer wurden mit viel Applaus im Gerichtssaal empfangen. Staatsanwaltschaft zieht Vergleich mit HSV.

Draußen sichern mehr als ein Dutzend Polizisten in Schutzmontur das Gericht, aus einem mit politischen Spruchbändern behängten Pavillon dröhnt Rap-Musik. Im Strafjustizgebäude, direkt neben Hochsicherheitssaal 237, haben sich weitere Beamte hinter einer Stahltür in Position gebracht – man weiß ja nie. Nachdem mehr als 300 linke Demonstranten am Vorabend ihre Solidarität mit den fünf Angeklagten bei einer Demo bekundet haben, gilt die Sicherheitslage im Prozess um die Elbchaussee-Krawalle während des G-20-Gipfels als angespannt.

Während im Nebeneingang Wallanlagen Zuschauer die Schleuse passieren, sitzen die jüngsten Angeklagten, die Abiturienten Roni S. (18) und Khashajar H. (18), schon neben ihren Verteidigern. Als die drei übrigen Angeklagten aus der Haftanstalt nacheinander in den Saal schlendern, brandet frenetischer Jubel im Zuschauerraum auf. Ibrahim K. (24) ist der erste, den zweiten, Can Cihan N. (22) – Dutt, Dreitagebart – empfängt die Menge mit Sprechchören und tosendem Applaus. Schließlich trifft auch Loic S. (23) ein, Gelegenheitsarbeiter aus dem französischem Nancy. So laut ist es, dass einem die Ohren klingeln. „Wir sind stolz auf euch“, schreit eine Frau. Vier der fünf jungen Männer kommen aus Frankfurt und Offenbach, zwei von ihnen waren damals noch Jugendliche.

25 Minuten für Auflistung der 100 Schäden

Sie sollen sich am Morgen des 7. Juli, gegen 7.30 Uhr, an der Elbchaussee einem gewaltbereiten Autonomen-Aufmarsch angeschlossen haben. Bei den Ausschreitungen gingen mindestens 19 Autos in Flammen auf und zahllose Scheiben zu Bruch. Acht Menschen erlitten Schocks, darunter ein Busfahrer – er musste monatelang stationär behandelt werden und ist weiterhin nicht voll arbeitsfähig. Wie die übrigen rund 220 Teilnehmer trugen auch die Angeklagten die autonome Standard-Kluft: dunkle Kleidung und Vermummung.

Das Gericht unter Vorsitz von Richterin Anne Meier-Göring (2. v. l.) verhandelt gegen fünf Männer. Der Prozess, der am 8. Januar fortgesetzt wird, endet voraussichtlich im Mai 2019.
Das Gericht unter Vorsitz von Richterin Anne Meier-Göring (2. v. l.) verhandelt gegen fünf Männer. Der Prozess, der am 8. Januar fortgesetzt wird, endet voraussichtlich im Mai 2019. © dpa/Daniel Bockwoldt

Zwar konnte die Soko „Schwarzer Block“ ihnen keine einzige konkrete Tat nachweisen – für die Staatsanwaltschaft kommt es darauf aber auch nicht an: Sie legt den Männern Landfriedensbruch in einem besonders schweren Fall zur Last. Weil die Angeklagten die „mit vereinten Kräften“ begangenen Ausschreitungen gedeckt und unterstützt hätten, müssten sie sich die von der Gruppe begangenen Straftaten zurechnen lassen – darunter gefährliche Körperverletzung und Brandstiftung. Loic S. soll zudem im Schanzenviertel Polizisten mit Flaschen und Steinen beworfen haben.

Allein 25 Minuten braucht Staatsanwalt Tim Paschkowski am Dienstag, um alle 100 Schäden aufzulisten – etwas länger als jene 19 Minuten, die die Vermummten brauchten, um sie anzurichten. Sie warfen Scheiben ein, beschmierten Hauswände, legten Brände. Während sie wüteten, gingen in kürzester Zeit 100 Notrufe bei der Polizei ein. Doch sie kam nicht. An jenem Tag kämpfte sie an zahllosen Fronten gegen das Eindringen von Demonstranten in die G-20-Sicherheitszone – die Gewalttäter hatten praktisch freie Hand.

Sachschaden von rund einer Million

Entlang der Zerstörungsroute von der Elbchaussee, Höhe Donners Park, bis zur Altonaer Altstadt zündeten sie 19 Autos an, 18 weitere und ein Bus wurden teils schwer beschädigt. Die Randalierer fielen über Restaurants und Bürogebäude her, über Banken und Wohnhäuser. Unter anderem betroffen: die Schanzenbäckerei, eine Anwaltskanzlei, das Restaurant Jim Block, eine Filiale der Targobank, das mongolische Konsulat. Selbst eine Chemietoilette blieb nicht verschont. Insgesamt beziffert die Staatsanwaltschaft den Sachschaden auf rund eine Million Euro. Allein die Reparatur der bei Ikea zu Bruch gegangenen Scheiben kostete mehrere Hunderttausend Euro. Als zwei Spezialkommandos gegen 8.10 Uhr in Altona eintrafen, hatten die Randalierer eine Schneise der Verwüstung hinterlassen – und längst das Weite gesucht.

Solidaritätskundgebung mit den Angeklagten vor dem Strafjustizgebäude.
Solidaritätskundgebung mit den Angeklagten vor dem Strafjustizgebäude. © dpa/Daniel Bockwoldt

Die Verteidiger hingegen laufen in ihren Eröffnungs-Statements Sturm gegen den Vorwurf. Bei dem Aufzug handele es sich um eine „Demonstration“, sagt Anwältin Gabriele Heinecke, erkennbar schon daran, dass Teilnehmer ein Transparent mit der Aufschrift „Freiheit ist unregierbar“ mitführten.

Insofern stünden den Angeklagten auch die mit der Versammlungsfreiheit verknüpften Schutzrechte zu, wonach friedfertige Teilnehmer eben nicht für die Gewalttaten anderer in Sippenhaft genommen werden könnten. „Die Anklage trifft junge Menschen, denen das bloße Dabeisein in einer unfriedlich werdenden Demo vorgeworfen wird“, so Heinecke. Die Polizei hätte einschreiten müssen, um ihrem Mandanten und anderen „friedfertigen Teilnehmern“ das Demonstrationsrecht zu sichern. Ihr Kollege Alexander Kienzle spricht mit Blick auf die Anklage von einer „konstruierten Verantwortlichkeit“.

Staatsanwaltschaft zieht Vergleich mit HSV

Überhaupt hadern die Anwälte mit der Staatsanwaltschaft und dem Oberlandesgericht (OLG). Kalt erwischte sie, dass die Staatsanwaltschaft beim OLG noch am Freitag die Beiordnung von nur einem Pflichtverteidiger pro Angeklagtem durchgesetzt hatte – das Landgericht unter Vorsitz von Richterin Anne Meier-Göring hatte zwei erlaubt. Zuvor hatte das OLG einer Beschwerde gegen eine Haftverschonung für zwei der fünf Angeklagten stattgegeben. Der Beschluss dazu, der eine Straferwartung von nahebei zehn Jahren enthält, lese sich „hysterisch“ und sei „ideologisch gefärbt“, so die Verteidiger.

Dass die Staatsanwaltschaft mit geblähten Segeln in diesen Prozess fährt, merkt man. „Die Tathandlungen haben mit der Versammlungsfreiheit so viel zu tun wie der HSV mit der Champions League – nämlich nichts“, sagt Paschkowski. „Das einzige, was hier demonstriert wurde, waren Gewalt und Zerstörungswut.“