Hamburg. Am Dienstag stehen erste Verdächtige wegen Taten an der Elbchaussee vor Gericht. Kein Verfahren hat vorab für so viel Zoff gesorgt.

Am Abend vor dem Beginn des Prozesses um die Krawalle auf der Elbchaussee während des G-20-Gipfels kochen die Emotionen hoch. Gegen 18.30 Uhr am Montag setzt sich der Aufzug an der Roten Flora in Marsch, Motto „Gemeinsam gegen Repression“. In einem Aufruf kritisieren die Organisatoren, dass schon die Teilnahme an einem Protest als Straftatbestand gewertet werde – so wie bei den nun Angeklagten.

In der Spitze sind laut Polizei 320 Teilnehmer auf der Straße, gesichert wird die kurze Route von einem massiven Polizeiaufgebot und mehreren Wasserwerfern, Auf dem Weg zum Ziel der Demonstration, der Untersuchungshaftanstalt (UHA) am Holstenglacis, brennen linke Demonstranten Pyrotechnik ab; lautstark und auf Transparenten fordern sie Freiheit für drei Insassen. Weil sie sich an den Ausschreitungen an der Elbchaussee beteiligt haben sollen, stehen die drei und zwei weitere Männer von Dienstag (9.30 Uhr) an vor dem Landgericht. Ihnen drohen bis zu zehn Jahre Haft.

Bereits vor dem Start der Demo hatte CDU-Innenexperte Dennis Gladiator Kritik an dem von Andreas Blechschmidt, Sprecher der Roten Flora, angemeldeten Aufzug geübt: „Die Solidarisierung mit den gewalttätigen und menschenverachtenden Angriffen entlang der Elbchaussee ist unerträglich.“

Größter G-20-Prozess beginnt am Dienstag

Der Prozess gilt als der bisher größte im Zusammenhang mit dem G-20-Gipfel. Die Staatsanwaltschaft legt den fünf jungen Männern aus Hessen und Frankreich zur Last, sich am Morgen des 7. Juli 2017 einem Trupp von rund 220 vermummten Autonomen angeschlossen zu haben. An der Elbchaussee soll der sogenannte „schwarze Mob“ 19 Autos angezündet haben, geschätzter Sachschaden: eine Million Euro. Ein Busfahrer erlitt einen schweren Schock. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten unter anderem schweren Landfriedensbruch und Brandstiftung vor.

Zum Prozessauftakt erwartet die Polizei rund 80 bis 120 Zuhörer, überwiegend aus dem linksextremistischen Spektrum, 20 bis 40 davon könnten zur Unterstützung der vier hessischen Angeklagten aus dem Frankfurter Raum anreisen. Um den starken Zuschauerstrom zu kanalisieren, erreichen die Zuhörer den Gerichtssaal nur über den Nebeneingang Wallanlagen. Dort müssen sie eine Schleuse passieren und ihre Sachen wegschließen. Auch Demo-Ausrüstung – Transparente oder Trillerpfeifen etwa – müssen draußen bleiben. Im Saal und vor dem Strafjustizgebäude, wo es ebenfalls linke Solidaritätsaktionen geben wird, sollen Polizeibeamte postiert werden.

Die Szenen aus anderen G-20-Verfahren vor Augen, fürchtet Jan Reinecke, Hamburger Landeschef des Bundes deutscher Kriminalbeamter (BDK), um die Unversehrtheit seiner Kollegen. In der Vergangenheit seien bei Verfahren mit G-20-Bezug Polizeizeugen von Zuschauern durch polizeifeindliche Zurufe geschmäht worden. „Ich erwarte, dass das Gericht die Polizeibeamten im Zeugenstand schützt und Anfeindungen rigoros unterbindet“, sagte Reinecke dem Abendblatt. Bei „Ungebühr“ kann das Gericht etwa ein Ordnungsgeld gegen Störer verhängen oder sie aus dem Saal schmeißen.

Ankläger bauen Druck auf Strafkammer auf

Vorläufig hat die Strafkammer Termine bis zum 10. Mai 2019 anberaumt. Bis dahin hält es die Polizei für möglich, dass Anschläge mit Prozess-Bezug begangen werden. Die herausragende Bedeutung der Verhandlung zeigt sich noch woanders: Kein anderes G-20-Verfahren hat innerhalb der Justiz im Vorfeld für so viel Zoff gesorgt.

Erst tat die Staatsanwaltschaft, was sie sonst nie tut: Sie stellte einen Befangenheitsantrag gegen die drei Richter in diesem Verfahren (wir berichteten). Zwar lief das Ablehnungsgesuch ins Leere. Doch gegen die Entscheidung der Kammer über eine Haftverschonung für zwei Angeklagte hatte sich die Behörde bereits im November erfolgreich beim Oberlandesgericht (OLG) beschwert.

Dann, am vergangenen Freitag, setzten sich die Ankläger gegen die Kammer von Richterin Anne Meier-Göring abermals durch. Auf eine weitere Beschwerde hin hob das OLG eine Entscheidung des Gerichts auf, wonach – mit Blick auf die Verhandlungsdauer – jedem Angeklagten zwei Pflichtverteidiger zustehen. Jetzt darf jeder Angeklagte doch nur von einem Anwalt vertreten werden – das zeugenschaftliche Beweisprogramm halte sich in Grenzen, es seien vor allem Akten und Videoaufnahmen zu sichten, so das OLG.