Hamburg. Der Weihnachtsstern war Lieblingspflanze des Azteken-Kaisers. Der könnte zornig werden, weil die Modeblume oft im Müll landet.

Weihnachtssterne. Leuchtend rot und auch noch runtergesetzt. Auf das Wort „Prozente“ wird bei meiner Frau Anke, die offenbar als Schnäppchenjägerin geboren ist, im Gehirn ein Schalter umgelegt. Fünf Euro das Stück. Im Topf. Für die Fensterbank im Wohnzimmer unserer Wohnung in der Stadt. Gar nicht gut für die Pflanze, versuchte ich einzuwenden. Zu warm, zu trocken. Das war ein wenig geschwindelt, weil ich Weihnachtssterne für überzüchtet und künstlich halte.

Abendblatt-Autor Karl Günther Barth
Abendblatt-Autor Karl Günther Barth © HA | Klaus Bodig

Moderne Gentechnik hat die Pflanze, die ursprünglich aus den Tropenwäldern Süd- und Mittelamerikas stammt, inzwischen zwar ziemlich wohnzimmerfest gemacht. Sie dauerhaft als Zimmerpflanze zu halten ist nun aber wirklich etwas kompliziert. Zugluft bekommt ihr so wenig wie künstliches Licht, das richtige Gießen ist eine Wissenschaft für sich. Und sie auf Balkon oder Terrasse auszuwildern wie eine Nordmanntanne im Container nach Weihnachten ist eine gärtnerische Herausforderung. Weswegen auch die über 30 Millionen Weihnachtssterne, die pro Saison in Deutschland verkauft werden, nach dem Fest irgendwann in der Biotonne verschwinden. Oder auf dem Kompost. Nachhaltigkeit ist was anderes.

Stand mit Schnäppchen

Aber wie bekomme ich meine Frau von dem Stand mit den Schnäppchen weg? Ich habe ihr noch Zweige von Schmuck-Mahonien aus unserem kleinen Mühlenpark im Wendland versprochen. Mit gelben Blüten, gerade aufgegangen. Für die Bodenvase, für die ich schon die Mädchenkiefer mit ihren langen, weichen Nadeln beschnitten und Ilex-Zweige mit gelben und roten Früchten geopfert habe.

Der Weihnachtsstern. Euphorbia pulcherrima. Das schönste aller Wolfsmilchgewächse. Der Berliner Botaniker Carl Ludwig Willdenow hat der Pflanze, die Alexander von Humboldt 1801 von seinen Reisen nach Südamerika mitgebracht hatte, später den botanischen Namen gegeben. Da ahnte er natürlich nicht, dass sie fast 200 Jahre später ein weltweiter Verkaufshit werden sollte.

Euphorbia pulcherrima heißt übrigens in der Sprache der Azteken Cuetlaxochitl – und war, so weiß es die Legende, die Lieblingspflanze des Azteken-Kaisers Montezuma (1465–1520). Weil spanische Konquistadoren sein Reich in Mexiko eroberten und seinen sagenhaften Goldschatz erbeuteten, soll er sie mit einem Fluch belegt haben. „Montezumas Rache“ heißt eine Durchfall-Erkrankung, die Reisende nach dem Genuss von ungewaschenen Lebensmitteln befällt. Angesichts der Tatsache, dass die Nachkommen seiner Lieblingspflanze jährlich weltweit milliardenfach auf dem Müll landen, erhält der Name der Krankheit womöglich eine neue, ökologische Bedeutung.

Blume der Heiligen Nacht

Der Vater des Weihnachtssterns in seiner heutigen Form war allerdings ein Deutscher: der Magdeburger Lehrer Albert Ecke, der 1902 mit seiner Familie in die USA auswanderte und in Hollywood, was damals noch ein Dorf war, eine Ranch gründete. Nicht um Rinder zu züchten, sondern Pflanzen. Denn Ecke war Mitglied der sogenannten Reformbewegung und Vegetarier. Er verkaufte das Aztekenkraut in der Weihnachtszeit zunächst als Schnittblume, sein ungleich geschäftstüchtigerer Sohn Paul kam auf die Idee, die Pflanze als Weihnachtssymbol zu vermarkten, und nannte sie „Christmas Star“, was in den USA besser klang als „Flor de Nochebuena“, „Blume der Heiligen Nacht“, wie das Wolfsmilchgewächs im christianisierten Mexiko mittlerweile hieß.

Das Geschäft mit „Christmas Star“ explodierte gerade, als es den Eckes gelang, Weihnachtsterne im Topf zu züchten, mit denen US-Präsidenten zu Weihnachten das Weiße Haus schmückten. Die Eckes hatten Läden und Verpackungshallen am berühmten Sunset Boulevard, aus denen später Striptease-Lokale und ein Revuetheater wurden. Klassische Züchtung und Gentechnik haben aus Montezumas Lieblingspflanze längst Weihnachtssterne mit Blüten in Pink, Rosa, Gelb und Weiß gemacht – und die Ecke Group ist längst Teil eines internationalen Konzerns. Die Produktion wanderte von Kalifornien (zu teuer) erst nach Guatemala und San Salvador. Die weltweit meisten Weihnachtssterne kommen mittlerweile aus Afrika.

Mit den Amis kam nach dem Zweiten Weltkrieg der Weihnachtsstern auch nach Deutschland. 1950, lange bevor Valentinstag und Halloween über die Deutschen kamen, begannen Gartenbetriebe aus der Heimat von Albert Ecke mit der Produktion und Züchtung eigener Sorten. Die meisten Stecklinge kommen allerdings heutzutage aus Afrika, nur die wenigsten deutschen Gartenbetriebe produzieren sie noch selber.

Den nächsten Brief aus der Mühle gibt es erst wieder im neuen Jahr. Ein schönes Weihnachtsfest,

herzlichst Ihr Karl Günther Barth