Hamburg. Disteln sind nicht nur robust, sondern auch sehr vielseitig. Züchter kürten sie nun sogar zur „Staude des Jahres 2019“.
Bauern haben Disteln auf ihren Äckern so gern wie andere Menschen Pickel auf der Nase. Auf ihnen lastet sogar ein biblischer Fluch. Nach dem Sündenfall hatte ein wütender Gott Adam und Eva bei der Vertreibung aus dem Paradies „Dornen und Disteln“ für ihre Felder prophezeit. Ein Teufelskraut sozusagen. Auch heute noch, wo der Bauer nicht mehr im „Schweiße seines Angesichts“ seine Felder bestellt, sondern mit Maschinen. Die gemeine Acker-Kratzdistel (Cirsium arvense) ist ein wahrer Überlebenskünstler. Mit ihrer Pfahlwurzel holt sie sich noch aus fünf Metern Tiefe Wasser, wenn andere Pflanzen längst verdorrt sind. Wird sie nicht rechtzeitig bekämpft, kann eine einzelne Pflanze in drei bis vier Jahren mithilfe von Ausläufern ganze Nester bilden.
„Und so ein Unkraut soll man auch noch anpflanzen?“, fragte mich meine Frau Anke einigermaßen entsetzt. Sonst sagt sie ja, politisch korrekt, lieber Wildkraut statt Unkraut. Aber bei den Disteln nimmt sie es dann nicht mehr so genau. Ich konnte sie beruhigen. Als die deutschen Staudenzüchter kürzlich die Distel zur „Staude des Jahres 2019“ kürten, hatten sie weniger die fiese Kratzbürste aus unseren Äckern im Sinn, sondern die ganze Pflanzengruppe der Disteln. Und da gibt es edle Arten und Sorten aus der Familie der Korbblütler, die schon seit Jahrtausenden auch als Heil- oder Gewürzpflanze geschätzt werden.
Disteln sind absolut schneckensicher
Dornen haben alle Disteln, mehr oder weniger. Piksende Fortsätze an den Blatträndern, manchmal auch an Stängeln und sogar Blütenkelchen. Sie schützen sich damit gegen Fressfeinde. Sie sind damit, ganz nebenbei, auch absolut schneckensicher. Manche sind ein- oder zweijährig, die meisten aber mehrjährige krautige Pflanzen. Manche lieben feuchte Wiesen, die meisten kommen sogar mit trockenen Böden zurecht, am besten in voller Sonne. Womit sie nahezu ideale Pflanzen für den Klimawandel sind, mit superheißen und supertrockenen Sommern. Wie beispielsweise in diesem Jahr. Dabei sind Disteln ökologisch ausgesprochen wertvoll. Bienen würden am liebsten nur edle Kratzbürsten wie die eleganten Kugeldisteln (Echinops) oder das bizarre Mannstreu (Eryngium) pflanzen. Auch Hummeln und Schmetterlinge fliegen wegen des Nektarreichtums geradezu auf sie.
Die Färberdistel, die über einen Meter hoch werden kann, stammt aus Kleinasien und wurde schon 3500 v. Chr. zur Färbung der Mumienleinwände der Pharaonen genutzt. Die feinen gelben Blütenröhrchen hat man später auch bei uns zum Färben und Würzen von Speisen verwendet – weshalb man Carthamus tinctorius auch als „Safran des kleinen Mannes“ bezeichnete. Üble Geschäftemacher haben damit bis vor Kurzem noch den teuren, echten Safran gestreckt und sich eine goldene Nase verdient. Heute wird aus den Samen das beliebte Distelöl hergestellt.
Die Elfenbeindistel blüht lange im Juli und August
Im Gegensatz zur einjährigen Färberdistel sind die auch als Mannstreu bekannten Edeldisteln meist mehrjährig. Ein Gartenstar ist Eryngium giganteum. Die Elfenbeindistel, die 40 bis 80 Zentimeter groß wird und reich verzweigt ist, blüht lange im Juli und August. Die silbrig-weißen Blüten glitzern sogar im Mondlicht. Gärtnerlatein? Schau’n mer mal. Ausgesprochen langlebig ist die „Spanische Edeldistel“ (Eryngium bourgatii). Sie wird nur 30 bis 40 Zentimeter hoch – sehr apart mit den graugrünen, weiß geäderten Blättern. Gut für Steingärten, aber auch für die Vase mit ihren zartblauen Blüten. Bestens auch als Trockenblume geeignet.
Bei Freunden habe ich in diesem Sommer eine weiße Kugeldistel gesehen. Echinops sphaerocephalus „Arctic Glow“, die bis zu einem Meter hoch werden kann, hat alle Chancen, meine Lieblingsdistel zu werden. Sehr dekorativ, eine Hungerkünstlerin für trockene Zeiten und beliebt bei Bienen und Schmetterlingen. Keine Stacheln hat die Kugeldistel Echinops ritro „Veitch’s Blue“. Die wird bis zu 80 Zentimeter hoch und für öffentliche Anlagen empfohlen. Damit muss sie sehr pflegeleicht sein.
Die gewöhnliche Eselsdistel kann majestätische zwei Meter erreichen
Mein Favorit aber ist die Gewöhnliche Eselsdistel. Die kann majestätische zwei Meter erreichen. Dazu passt Purpur als Blütenfarbe. Schon im Pflanzjahr, wenn die Blattrosetten erst wenige Zentimeter lang sind, bildet sie eine bis zu einem Meter lange Pfahlwurzel aus. Im zweiten Jahr entwickeln die fleischigen Blätter mit bis zu 50 Zentimetern eine mächtige Größe. Der botanische Name leitet sich aus den griechischen Wörtern onos für Esel und porde für Wind oder Blähung ab. Obwohl Esel von den Blättern Blähungen bekommen und furchtbar pupsen müssen, können sie nicht von ihnen lassen.
Bis zum nächsten Wochenende, herzlichst Ihr Karl Günther Barth